Crashkurs in Geschichte der BNR von Belsat
25. März 2020 | Mikola Dsjamidau, BELSAT
Wie entstand die Belarusische Volksrepublik? Warum sind die weiß-rot-weiße Flagge und das Wappen Pahonja die nationalen Symbole von Belarus? Warum wurde das historische Datum zum Tag der Protestaktion? Und wie wurden die Proteste zu einem Konzert?
Von einem unabhängigen Belarus ist seit dem 19. Jahrhundert die Rede
Die Idee eines unabhängigen belarusischen Staates entstand in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Der patriotische Adel versuchte, sie während des Aufstandes von 1863 umzusetzen. Doch der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen, die Anführer hingerichtet, und die vom zaristischen Militär organisierten Repressionen entmutigten die aufstrebende Jugend für lange Zeit, für einen eigenen Staat zu kämpfen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die nationalen belarusischen Kräfte wieder aktiv. Junge Intellektuelle begannen, sich in patriotischen Kreisen zu organisieren. 1903 erschien die erste politische Partei – Belarusische Revolutionäre Hramada [A.d.R: Gemeinschaft] und im Jahr 1906 erschien die Zeitung „Nascha Niwa“. Zusammengenommen hat dies die Verbreitung der Idee eines unabhängigen Staates unter den Belarusen stark beeinflusst. Die Februarrevolution und der Sturz des zaristischen Regimes gaben den Belarusen die Chance, einen unabhängigen Staat zu gründen.
Die Bolschewiki wollten kein unabhängiges Belarus
Bereits im Sommer 1917 begannen belarusische Aktivisten, sich für die Autonomie von Belarus innerhalb Russlands einzusetzen. Die Pläne wurden jedoch durch die Ereignisse im Oktober zunichte gemacht – die Bolschewiki stürzten die provisorische Regierung und besetzten bald darauf Minsk. Die „Roten“ weigerten sich, einen Dialog mit den nationalen Eliten aufzunehmen und lösten den ersten Allbelarusischen Kongress, auf dem die Belarusen das Schicksal ihres Volkes bestimmen wollten, gewaltsam auf.
Aber die Bolschewiki konnten die Macht nicht in ihren Händen halten. Die belarusischen nationalen Eliten vereinigten sich mit den polnischen Patrioten, die in Minsk und auf dem gesamten Gebiet des heutigen Belarus recht zahlreich waren. Während der Offensive der kaiserlichen Truppen, vom 19. bis 21. Februar 1918, vertrieben die Belarusen zusammen mit den polnischen Freiwilligentrupps die „Roten“ aus Minsk. Am 21. Februar gibt das Exekutivkomitee des Allbelarusischen Kongresses die Erste Charta an die Bevölkerung von Belarus heraus, in der es sich zur provisorischen Regierung in den belarusischen Gebieten erklärt. Dabei ging es zum ersten Mal nicht um Autonomie, sondern um die Gründung eines unabhängigen Staates.
Am 9. März wird die Zweite Charta und am 25. März – die Dritte Charta der Belarusischen Volksrepublik (BNR) herausgegeben, in denen die Unabhängigkeit proklamiert und die zur BNR gehörenden Territorien festgelegt werden.
Die Symbole des Staates waren die weiß-rot-weiße Flagge und das Wappen Pahonja.
Durch die deutsche Okkupation der belarusischen Gebiete wurde der Traum der nationalen Aktivisten Wirklichkeit.
Verweigerung der internationalen Anerkennung
Das erste ernsthafte Problem für die BNR war die internationale Anerkennung. Niemand sonst auf der Welt hatte jemals von Belarus gehört. Es waren vor allem Ukrainer, die die Unabhängigkeit des Landes anerkannten und begannen, eng mit der Regierung der Volksrepublik zusammenzuarbeiten. Die Unabhängigkeit war nur formal, da das Gebiet von den Truppen des Kaisers besetzt war, die selbst die Unabhängigkeit nicht anerkannten. Die Führung der BNR schrieb sogar einen Brief an den deutschen Machthaber und bat um die Anerkennung der Unabhängigkeit. Dieser blieb jedoch gegenüber der Bitte der Belarusen kalt.
Der Leiter des Volkssekretariats der BNR Jazep Varonka schrieb zu diesem Thema:
…Die unmenschlichen Bemühungen der belarusischen Staats- und Regierungschefs, Belarus wenigstens in das Umfeld der Kleinstaaten zu stellen und die Anerkennung der Unabhängigkeit der Belarusischen Volksrepublik zu erreichen, haben zu nichts geführt.
Die deutsche Regierung erklärte sich nur bereit, Kulturprojekte zu finanzieren.
Bald wurde Deutschland im Ersten Weltkrieg besiegt und musste aufgrund eines internationalen Friedensabkommens seine Truppen aus den besetzten Gebieten abziehen. Die Bolschewiki hingegen versuchten, die verlorenen Gebiete zurückzugewinnen. Die BNR-Regierung war Ende Dezember 1918 gezwungen, von Minsk nach Hrodna zu fliehen, das von Polen besetzt war.
Eine Republik – zwei Regierungen
Am 1. Januar 1919 gründeten die Bolschewiki in Smolensk als Gegenpol zur BNR die Weißrussische Sozialistische Sowjetrepublik. Ein paar Wochen später zog deren Regierung nach Minsk um. Und es gab bereits eine Spaltung in der BNR-Regierung, die für den jungen Staat fatal war. Im Juli 1920 verließen beide Rada das Territorium von Belarus: die Wiarchounaja Rada [A.d.R.: Oberster Rat] unter der Leitung von Anton Luzkevitsch zog nach Polen und die Narodnaja Rada [A.d.R.: Volksrat], deren Leiter Vaclau Lastousky war – nach Kaunas.
Nach diesen Ereignissen befand sich die BNR-Regierung im Exil. Während des sowjetisch-polnischen Krieges hatten die Belarusen erneut die Chance, ihre Unabhängigkeit zu erreichen. Doch weder der Angriff von Ataman Bułak-Bałachowicz noch der Aufstand in Slutsk brachten einen Erfolg.
Zwischen Polen und Russland
Am 18. März 1921 wurde in Riga ein Friedensvertrag zwischen Polen und Sowjetrussland unterzeichnet. Die beiden Mächte teilten die belarusischen Länder untereinander auf, wobei sie die Meinung der Belarusen völlig ignorierten. Der westliche Teil der belarusischen Gebiete entlang der Linie Baranawitschy-Slonim-Pinsk wurde an Polen abgetreten. Den Bolschewiken gehörte der östliche Teil entlang der Linie Minsk-Slutsk und Turau, wo die Weißrussische Sozialistische Sowjetrepublik (BSSR) entstand.
1924 beschloss die Regierung der UdSSR, das Territorium der Republik zu vergrößern, indem sie einige belarusische Gebiete wieder dazu zählte. Für eine kurze Zeit wurde die BSSR zum Zentrum der belarusischen Kulturentwicklung. Angesichts dieser Ereignisse übergaben die damaligen Leiter der Rada der BNR im Exil im Oktober 1925 ihre Befugnisse an die Regierung der BSSR ab und erkannten die Minsker Regierung als alleiniges kulturelles und politisches Zentrum an.
Die Rada BNR selbst existiert jedoch auch jetzt noch im Exil. Sie wird seit 1997 von Yvonka Survilla geleitet.
Wie kam es zum Tag der Freiheit und was bedeutet das?
In der Sowjetunion erinnerte man sich erst Ende der 1980er Jahre an die BNR, als das nationale Bewusstsein in Belarus wieder merklich wuchs. Historiker wetteiferten miteinander, um die Tätigkeit der Gründungsväter der BNR zu studieren, und stimmten überein, dass die Proklamation der Volksrepublik vom 25. März 1918 der Beginn der belarusischen Staatlichkeit war und die nationalen Aktivisten damals alles taten, um einen unabhängigen belarusischen Staat zu schaffen.
Für belarusische Patriot*innen entwickelt sich dieser Tag zu einem echten Feiertag.
Ab Mitte der 1990er Jahren, nachdem Alexander Lukaschenko an die Macht kam, bekam dieses historische Datum politische Obertöne, und der Feiertag wurde zum Anlass für Straßenproteste, bei der denen Belarusen von der Regierung die Einhaltung der Gesetze forderten und den Widerstand gegen die Diktatur leisteten.
Somit erhielt dieses historische Datum einen zweiten Namen – „Tag der Freiheit“.
Bis 2018 reagierten die belarusischen Behörden ziemlich hart auf die Kundgebung vom 25. März. Die Teilnehmer wurden festgenommen, mit Geldstrafen belegt und ins Gefängnis gebracht. Der hundertste Jahrestag der BNR war die einzige Ausnahme – die Behörden gaben damals die Erlaubnis, ein großes Konzert in Minsk zu veranstalten, das von etwa 50 Tausend Menschen besucht wurde.