Ältere Menschen werden Gewalt ausgesetzt, aber protestieren weiter; Miss Belarus im Gefängnis schwer schikaniert; Kinder von Swetlana Tichanowskaja glauben, dass ihr Vater tot sei
30. November 2020 | BYHelp-Mediagroup
Festnahmen beim „Marsch der Weisheit“ in der Hauptstadt
Am 30. November, am Montag, gingen traditionell Großeltern in verschiedenen Städten auf die Straße, um die Gewalt zu verurteilen, die jetzt in Belarus stattfindet.
Die größte Demonstration fand wie immer in Minsk statt. Dieses Mal haben die Einsatzkräfte nicht nur friedliche ältere Menschen bedrängt, um sie am Weitergehen zu hindern, sondern kesselten sie ein und hielten sie gewissermaßen als Geiseln fest. Die älteren Menschen wurden erst dann freigelassen, nachdem die persönlichen Daten von jedem von ihnen erfasst worden waren. Mehreren Teilnehmern wurde unwohl und für sie mussten Krankenwagen gerufen werden. Während im Verlauf des Marsches anderer Gruppen wurde ein unbekanntes Gas gegen die Teilnehmer eingesetzt. Aus den ins Netz gelangten abgehörten Gespräche der Einsatzkräfte kann man deutlich hören: „Komm schon, tu was dafür, damit sie nicht mehr auf die Straße gegen.“
Das Menschenrechtszentrum „Wjasna“ berichtet, dass am Montag, dem 30. November, mindestens 20 Personen auf dem Rentnermarsch festgenommen wurden.
Rentner marschieren mit Jugendlichen gegen Gewalt
Heute wurde ein 72-jähriger Rentner zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt. Der Richter hielt eine solche Bestrafung für angemessen, da der Mann sich gegen den Polizisten aus der Spezialeinheit OMON wehrte, als er zum Polizeitransporter gebracht wurde. In den Erklärungen zu dem Fall heißt es: „Hat dem Polizisten zum Zeitpunkt der Festnahme mindestens zweimal ins Gesicht geschlagen… Körperverletzung, die nicht zu einer kurzfristigen Gesundheitsstörung oder einer geringfügigen anhaltenden Minderung der Arbeitsfähigkeit geführt hat.“ Der Rentner wird nicht in ein Gefängnis gesteckt, sondern verbüßt seine Strafe im Hausarrest unter Einhaltung definierter Regeln.
In einem Interview sprach die 61-jährige Nina Priwalova auch über ihre Teilnahme an den Protesten, über Festnahmen und Inhaftierungen. Nina hat lange mit Waisenkindern gearbeitet. Im August 2020 sah sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit eigenen Augen, wie wehrlose Menschen mit Schlagstöcken geschlagen wurden. Sie konnte ihre Gefühle nicht zurückhalten und drückte ihre Empörung gegenüber den Einsatzkräften aus. Dafür wurde Tränengas gegen sie eingesetzt, sodass Nina mit einer Hornhautverbrennung ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Nach ihrer Entlassung ging Nina weiter zu den Märschen, weil sie die Jugend von heute liebt und glaubt, dass Rentner sie unterstützen müssen. Während eines der Märsche, als Nina weiß-rot-weiße Bänder schwenkte, wurde sie verhaftet und zu 12 Tagen Haft verurteilt. Die ältere Frau verbrachte eine schwere Zeit in einer kalten Zelle, ohne warmes Wasser, ohne die notwendigen Medikamente, und wurde an Covid erkrankt freigelassen. Nach ihrer Genesung wurde Nina zur Ausländerbehörde einbestellt. Es ist wahrscheinlich, dass sie abgeschoben wird, da die Frau die russische Staatsbürgerschaft besitzt. Aber Nina hat vor nichts mehr Angst, sie ist bereit, in der Region Smolensk in der Nachbarschaft zu ihrem Heimatland zu leben, und sie wird den belarusischen Pass beantragen, wenn sich in Belarus alles ändert.
Und dies ist bei weitem nicht die einzige Geschichte über die schreiende Ungerechtigkeit, die im heutigen Belarus herrscht.
Berichte über Haftbedingungen von „Miss Belarus“
Seit vielen Tagen befindet sich „Miss Belarus 2008“ Wolha Chischynkowa wegen Teilnahme an friedlichen Protesten im Gefängnis. Insgesamt wird sie mehr als einen Monat im Gefängnis verbringen und sollte am 11. Dezember freigelassen werden. In dem berüchtigten Zentrum für vorläufig Festgenommene in der Akreszina-Gasse erhält Wolha keine Briefe oder Pakete, in den ersten Tagen ihrer Haft erhielt sie nicht einmal Zahnbürste und Zahnpasta. Die Gefangenen dürfen nicht zum Spazierengehen an die frische Luft, und dürfen nicht duschen. Eine schmutzige Matratze zu haben ist schon eine Wohltat. Eine der Methoden, um prominente Personen zu schikanieren, besteht darin, sie in Zellen mit Obdachlosen zu bringen, damit sie dem unerträglichen Geruch und einer möglichen Infektion mit Parasiten ausgesetzt sind. Um zumindest ein wenig gegen unhygienische Bedingungen und einen unerträglichen Geruch zu anzukämpfen, wäscht die belarusische Schönheit die Köpfe obdachloser Frauen im Waschbecken, berichteten die Medien. Chischynkowa hat sich dieses Jahr offen gegen Gewalt und für neue Präsidentschaftswahlen geäußert. Infolgedessen war sie gezwungen, die Nationale Schönheits-Akademie zu verlassen.
„Ist Papa sicher nicht tot?“ – Haft von Sergej Tichanowski, Ehemann von Swetlana Tichanowskaja und ehemaliger Präsidentschaftkandidat verlängert
Heute wurde die Haft des Bloggers ehemaligen Präsidentschaftskandidaten und Ehemann von Swetlana Tichanowskaja, Sergej Tichanowski, um weitere drei Monate verlängert. Somit wird er mindestens bis Ende Februar 2021 im Gefängnis bleiben.
Sergej wurde am 29. Mai festgenommen. Jetzt ist er beschuldigt, Aktionen organisiert zu haben, welche die öffentliche Ordnung schwer verletzen (Strafgesetzbuch Artikel 342, Teil 1), die Arbeit der zentralen Wahlkomisson behindern (Strafgesetzbuch, Artikel 191) sowie der Aufstachelung zu rassistischer, ethnischer, religiöser oder andere sozialer Feindseligkeit (Strafgesetzbuch, Artikel 130, Teil 3). Tichanowski ist schon seit sechs Monaten im Gefängnis.
„Schon seit einem halben Jahr ist Sergej Tichanowski im Gefängnis. Schon seit einem halben Jahr kommuniziere ich mit meinem Mann nur durch Anwälte und Briefe. Im ganzen halben Jahr hörte ich seine Stimme nur einmal. Seit einem halben Jahr fragen die Kinder, wann ihr Vater zurückkehren wird. Kürzlich fragte mich meine Tochter: „Ist Papa sicher nicht tot?“ Es ist erschreckend, wenn ein fünfjähriges Kind solche Fragen stellt. Umso schrecklicher ist es, dass viele Familien dieser Angst ausgesetzt sind“, kommentiert Swetlana Tichanowskaja die neue Schikanierung ihrer Familie.
Die erste belarusische Online-Schule für Kinder wurde von Belarusen in der Ukraine organisiert
Belarusische Umsiedler organisierten die erste belarusische Online-Schule für Allgemeinbildung in der Ukraine. Hauptorganisatorin war die belarusische Schauspielerin Anastasija Spakowskaja, die, nachdem sie aus politischen Gründen Belarus verlassen musste, mit dem Problem der Kindererziehung konfrontiert war. Die Schule wird aus 4 bis 10 Klassen mit vertieftem Lernen der Mathematik, Englisch und IT bestehen. Die meisten Fächer werden für Schüler auf Russisch unterrichtet – außer der Geschichte von Belarus, belarusischer Sprache und Literatur, die auf Belarusisch sein werden. Nach Abschluss der Ausbildung erhalten die Kinder ein staatlich anerkanntes ukrainisches Zertifikat.
Gemäß dem Veranstalter, ist eine solche Schule eine Notwendigkeit für belarusische Familien, die aufgrund der politischen Situation gezwungen waren, aus dem Land auszuwandern.
For more information on the events of 30 November 2020, please visit Infocenter Free Belarus 2020: