Konfrontation von Regierung und Medizinern dauert an, Lukaschenko-Regime setzt Terror gegen friedliche Bürger fort, Pawel Latuschko über Szenarien für einen Machtwechsel
11. November 2020 | BYHelp-Mediagroup
Verletzungen der Protestierenden ähneln Kriegsverletzungen
Die Konfrontation zwischen Ärzten und Behörden geht weiter. 200 Mediziner haben einen gemeinsamen Aufruf zur Verteidigung ihrer festgenommenen Kollegen unterzeichnet. Auch Entlassungen von Protestierenden gingen heute weiter.
Die Ärzte berichteten auch über die Verletzungen, mit denen das Städtische Notfallkrankenhaus Minsk seit den Protestaktionen vom 8. November zu tun hat. Bei den meisten von ihnen handelte es sich um geschlossene Schädel-Hirn-Verletzungen, Gehirnerschütterungen und Quetschungen des weichen Gesichtsgewebes.
Natallja Katschanawa, Vorsitzende der Oberen Kammer des Parlaments, traf sich mit den Leitern medizinischer Einrichtungen, wo sie gegenüber den Protestierenden erklärte: „Es wird keinen Dialog auf der Straße geben. Machen Sie ihnen das klar“. Zur Antwort schrieb der wichtigste Spezialist für Infektionskrankheiten auf seiner Facebook-Seite: „Nicht dafür verbringen wir seit März Tag und Nacht in den Kliniken, helfen Patienten mit COVID-19, stecken in Schutzausrüstung und versuchen überhaupt ein paar Plätze für professionelle, spezialisierte Hilfe einzurichten, um diese dann mit Hunderten Patienten zu belegen, deren von Ihren Handlangern herbeigeführten Wunden und Verletzungen die Meisten von uns bis jetzt nur aus Lehrbüchern für Kriegsmedizin kannten“.
Von der Polizei getöteter Genadz Schutau [russ. Gennadij Schutow] ist Verdächtigter in Strafverfahren
Warum und wie sind bei den Protesten im August Menschen ums Leben gekommen? Es gibt nach wie vor keine Informationen über strafrechtliche Ermittlungen zu Todesfällen und Verletzungen im Zusammenhang mit den Protesten vor. Den Angehörigen von Aljaksandr Wichor, der in Homel starb, wurde gesagt, dass die Todesursache Herzprobleme waren. Die Untersuchungen nach den Anzeigen der Angehörigen von Aljaksandr Tarajkouski [russ. Alexander Tarajkowskij] und Genadz Schutau sind noch im Gange. Gleichzeitig ist Genadz Schutau, der am 19. August an einer Schussverletzung starb, Verdächtiger in einem Strafverfahren wegen Widerstands gegen die Polizei.
Seit Frühjahr 2020 wurden mehr als 900 Strafverfahren gegen Beteiligte des Präsidentschaftswahlkampfes, Aktivisten ihrer Wahlkampfstäbe, und Teilnehmer der friedlichen Proteste nach den Wahlen eingeleitet. Wegen der Misshandlungung und Tötung belarusischer Zivilisten wurde kein einziges Verfahren eingeleitet.
Sportler und kinderreiche Mütter in Gefahr
„Schon vier Tage lang gibt es keinen Kontakt zu Andrej Krautschanka und Iwan Ganin. Nur aufgrund von Freiwilligenlisten wurden sie vermutlich am 11. November zu 10 Tagen Haft verurteilt. Leider ist dies alles, was über die Athleten bekannt ist! Nach der Art und Weise zu urteilen, wie die Athleten festgenommen wurden, scheint es, als ob Ganin und Krautschanka als Geiseln gehalten werden“, heißt es auf der Instagram-Seite der Freien Sportlervereinigung SOS_BY_2020.
Andrej Krautschanka, olympischer Silbermedaillengewinner von 2008, und der mehrfache Kickboxmeister von Belarus Ivan Ganin, die am Sonntag in Minsk festgenommen wurden, sind Mitglieder der Freien Sportlervereinigung SOS.BY und haben wiederholt gegen Gewalt und Wahlbetrug Stellung bezogen.
Die Behörden leiteten Untersuchungen gegen Wolga Schadzejewa, Chefredakteurin der Modezeitschrift Pret-a-Portal und Mutter von 5 Kindern, ein. Vor zwei Jahren wurde ihr der Mutterorden verliehen, eine staatliche Auszeichnung.
Am Tag zuvor hatte Wolga an einer Solidaritätskette teilgenommen. Die Behörden überprüfen die „Bedingungen für die Erziehung der Kinder“ mit dem Ziel der Erpressung und Einschüchterung: Die Kinder könnten ihr von den Sozialdiensten weggenommen werden.
Pawel Latuschko über zwei Szenarien für einen Machtwechsel in Belarus
Pawel Latuschko, im Exil befindlicher Anführer der Protestbewegung, sagt, dass das „Zivilgesellschaftliches Krisenmanagement“ zwei Szenarien für den Machtwechsel in Belarus entwickelt habe.
Das wirksamste Szenario zur Überwindung der Krise ist die „verfassungsmäßige Option des Machtwechsels durch einen gesellschaftlichen Dialog“.
Wenn dieses Szenario unmöglich ist, kommt ein gesellschaftlich-rechtlicher Mechanismus zur Anwendung, der auf der Tatsache beruht, dass alle staatliche Gewalt in Belarus von dem Volk als Souverän ausgeht. Die Umsetzung dieses Szenarios „geschieht durch die Vereidigung der vom Volk gewählten Präsidentin Swetlana Tichanowskaja“.
Koordinationsrat führt keinen Dialog mit Jury Waskrassenski [russ. Jurij Woskressenski] und hat keine Entwürfe für Gesetzesänderungen eingereicht
Jury Waskrassenski hat die Registrierung einer neuen Institution namens „Runder Tisch der Demokratischen Kräfte“ angekündigt.
Er wurde auf persönlichen Befehl von Alexander Lukaschenko aus der Haft entlassen, um Gespräche mit der Opposition zu führen und Vorschläge für Verfassungsänderungen zu machen.
Laut Waskrassenski wurde er von Vertretern des Koordinationsrates kontaktiert, die ihm zahlreiche Vorschläge zur Änderung der Verfassungsgesetzgebung und anderer Rechtsdokumente übersandt hätten. Waskrassenski weigerte sich jedoch, konkrete Personen zu benennen. Die Reaktion des Koordinationsrates war prompt: Er stellte fest, dass man „keinen Dialog mit Jury Waskrassenski aufgenommen und keine Vorschläge für Gesetzesänderungen übermittelt habe“.
For more information on the events of 11 November 2020, please visit Infocenter Free Belarus 2020: