Peinigung von Israelis in belarusischen Gefängnissen
17. August 2020 | Darya Kostenko, Details
Mindestens drei israelische Bürger wurden in den letzten Tagen von Lukaschenko’s Einsatzkräften verhaftet. Zwei von ihnen besitzen auch eine belarusische Staatsbürgerschaft, welche bei der Wiedereinwanderung nach Israel beibehalten wurde. Über die Haftentlassung von Artyom, einem von ihnen, erfuhr unsere Redaktion einige Stunden vor dieser Publikation. Wir wussten, dass er misshandelt wurde. Den Familien von Gefangenen wurde angedroht, dass Kontakt zu Presse nur zu noch brutaleren Peinigungen führen wird. Der 40-jährige Israeli Alexander Fuhrmann wurde auch der Folter unterworfen. Er wurde drei Tage in einer Folterkammer gehalten. „Ich muss jetzt meine Mission erfüllen und erzählen, was da passiert“, sagte Alexander unserer Redaktion.
Teil 1. Minsk
Enkel einer Frau, die eine Katastrophe überlebt hat, musste in Minsk Folter erleiden
Alexander Fuhrmann wurde im Jahr 1998 nach Israel repatriiert, hat seinen militärischen Dienst bei der „Givati“ Brigade abgeleistet, studierte an der Hebräische Universität, arbeitete bei Bituah Leumi und bei der Israelischen Bank. Er lebt in Modiin, leitet ein datenanalytisches Team bei einer großen Finanz-Platform, Investing.com.
„Wir haben diese Reise seit einem Jahr geplant“, erzählt Alexander. „Ich wollte meiner Frau Minks zeigen, die Stadt, in der ich groß geworden bin. Wir wollten auch Polesien besuchen, wo meine Familie herkommt. Mein Großvater ist im Jahr 1941 in die rote Armee eingetreten und fiel irgendwo bei Mogilev, wir wissen nicht wo er begraben wurde. Sein Name ist im Museum Yad Vashem. Meine Großmutter hat durch ein Wunder die deutsche Okkupation überlebt. Viele aus ihrer Familie sind dabei zu Tode gekommen.“
Alexander’s Frau und Sohn sind schon im Juli nach Belarus gekommen, direkt nach dem Beginn der Schulferien. Sie besuchten Alexander’s Familie. Er selber kam am 7. August nach Belarus. Er mietete eine Wohnung im Zentrum von Minsk und wolle seiner Frau die Hauptstadt zeigen, in der er seine Kindheit und Jugend verbrachte.
Am 10. August machten die Eheleute einen Spaziergang, der in einem Alptraum endete
„Wir waren durch den Stadtpark spaziert: eine saubere ruhige Stadt, kein Aufruhr. In einem großen Buchladen zentral auf der Nezalezhnosti Allee haben wir drei russischsprachigen Bücher für unseren Sohn gekauft (er liest sonst überwiegend auf hebräisch).
Danach haben wir auf der Allee einen gelben Bus gesehen, daneben viele Geschützschilder, auf den ,Polizei‘ stand. Ich dachte, es könnte ein interessantes Bild sein, und habe ein Foto gemacht.“
„In dieser Sekunde springen sieben Einsatzkräfte aus jenem Bus, drehen mir die Arme auf den Rücken und fangen an mich mit Schlägen zu traktieren, alles vor den Augen meiner Frau. Sie schrien ,Warum hast du diese Fotos gemacht?‘ Ich habe versucht zu erklären, dass es eine künstlerische Fotografie sei, aber sie haben nicht zugehört und haben nur geschrien: ,Du hast diese Fotos gemacht, um einen Angriff zu planen!‘
Ich habe gesagt, dass ich ein Israeli bin, dass sie die israelische Botschaft kontaktieren sollen. Zurück kam nur wildes Fluchen und vulgäre antisemitische Witze. Sie haben gesagt, dass meine Beschneidung nicht komplett gewesen sei und dass diese ,wiederholt werden muss‘. Sie haben mit Mord gedroht. ,Wenn du einen Aufstand machst und forderst, die Botschaft anzurufen, wirst du diesen Bus nicht lebend verlassen‘.
Der Bus stand auf der zentralen Allee, und sie haben alle gefangen die vorbeiliefen, und ich konnte nur drinnen sitzen und das Ganze beobachten. Ich habe gesehen, wie ein junger Mann aus dem Lebensmittelgeschäft mit seinen Einkäufen rauskam und – bähm – er wurde geschnappt.
Sie haben die Straße und den U-Bahn-Ausgang gesperrt, aber da waren Menschen, die in der Nähe wohnen, die von der Arbeit nach Hause gingen. Leute haben die Polizei gefragt, wie der Weg nach Hause sei. Die Einsatzkräfte antworteten nur ,Wir werden euch das jetzt erklären‘, packten diese Menschen und verprügelten sie.
Ich habe gesehen, wie ein Rentner verhaftet wurde, nur weil er eine Baseballkappe mit der belarusischen Symbolik trug. Gefangene, die diskutiert haben, bekamen die Hände mit Kabelbindern verbunden. Die, die grob geantwortet haben, wurden brutal geschlagen.“
Mir hat meine Erfahrung bei den israelischen Einsatzkräften geholfen
Alexander blieb im Bus bis 20 Uhr. Danach wurden die Verhafteten verprügelt und ins Polizeitransporter umgeladen.
„Sie haben den Polizeitransporter dem Bus gegenüber so positioniert, dass man aus den Häusern nebenan nicht sehen konnte, was mit uns gemacht wurde. Ich habe selber einen Tag davor solche Verhaftungen gesehen. Jetzt weiß ich, was dabei mit den Menschen gemacht wird.
Du musst deine Hände hinter dem Rücken verschränken, dich nach vorne beugen, sodass dein Kopf so tief wie möglich hängt. Sie schreien nach dir, wenn du rauskommen darfst. Auf dem Weg zum Polizeitransporter gehst du durch eine Kolonne – du wirst mit Schlagstöcken auf die Beine und den Bauch geschlagen, mit dem Knie in den Magen.“
„Ich bin ein Armeemann, meinen militärischen Dienst habe ich zu Beginn der 2000er bei der ,Givati‘ Brigade abgeleistet, ich wollte im Jahr 2006 nach Livan zum Militär einziehen, mein bester Freund fiel dort. In diesem Moment hat mir meine militärische Erfahrung geholfen. Ich wusste, wie ich die Schläge annehmen sollte, um Schaden zu vermindern. Die Polizei peilte meinen Magen an, ich nahm die richtige Pose ein, und der Tritt schlug fehl. Dafür bekam ich sofort einen Schlag mit dem Schlagstock.
Wir wurden verprügelt und in den Polizeitransporter geworfen. Auf beiden Seiten rechts und links besitzen die Wagen ,Wassergläser‘ – kleine Fächer für eine Person. Hinten- ein Fach für 4 Personen, wir waren aber zu zehnt, eng aneinander gereiht. Ich habe gehört, wie eine Frau im ,Wasserglas‘ geschrien hat: ,Ich bin herzkrank, mir ist schlecht, machen Sie auf!‘ Die Einsatzkräfte haben nur gelacht und mit Schimpfwörtern geantwortet.
Ein junger Mann hat gesehen, wie diese Frau verhaftet wurde. Sie sei Anwältin, ehemalige Dozentin an der Belarussischem Staatlichen Universität, sie habe Lukaschenko gewählt. Ihr Ehemann und Sie hätten einen Laden in einem Einkaufszentrun, nicht weit weg von der Allee, sie wollten dorthin gehen. Als ihr Ehemann gesehen habe, dass die Straße gesperrt sei, habe er bei den Polizisten spaßeshalber gefragt: ,Warum dürfen wir nicht dahin, ist da Coronavirus?‘
Einige Einsatzkräfte hätten sich mit Schlägen auf ihn gestürzt und ihn in den Polizeitransporter reingezogen. Die Frau sei zu ihnen gelaufen, habe geschrien und versucht, ihren Mann zu befreien. Dann hätten einige Offiziersschüler, die den Einsatzkräfte zur Unterstützung da waren, diese Frau brutal mit Schlägen traktiert, ins Gesicht, in den Bauch, obwohl sie schon auf dem Boden lag.“
Wenn es eine Hölle gibt, „Akrestina“ ist noch schlimmer
Die Gefangenen wurden zur Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten Sowjetskij gefahren. Laut Alexander beteten die Verhafteten auf dem ganzen Weg, um nicht zu einem anderen Ort gebracht zu werden, zu der berüchtigten Haftanstalt auf der Akrestina Straße in Minsk. Alltagssprachlich nur „Akrestina“ genannt – in der Regel werden die Verhafteten bei den Demonstrationen dorthin gebracht. Über diesen Ort erzählt Alexander folgendes:
„ ,Akrestina‘ ist eine Folterkammer. Es gibt die Hölle, aber ,Akrestina‘ ist wie man hört noch schlimmer. Ich habe Geschichten über Analverletzungen bei Männern gehört. Männer kommen da raus, können nichts sagen, weinen nur. Ich habe viele solcher Aussagen gesammelt.“
In belarusischen Medien gibt es bereits Nachrichten über sexuelle Misshandlung von Gefangenen. So erzählt der 14-jährige Timur, der aktuell auf der Intensivstation des 3. Kinderkrankenhaus in Minsk liegt, dass einem Verhafteten ein Schlagstock in das Rektum eingeführt wurde. Ein anderer Verhafteter, ein 14-jähriger Junge wurde in der Genitalregion geschlagen. Timur selber wurde ein Schlagstock in den Mund gesteckt. Sie versuchten seine Augen einzudrücken, er wurde schwer verprügelt – die Aussagen stammen von der Redaktion TUT.BY.
Ein Teil der Verhafteten, unter diesen auch Alexander, wurde in der Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten Sowjetskij ausgeladen – dort wurden sie erneut geschlagen. Sie wurden mit den Händen hinter dem Rücken und dem Gesicht zur Wand positioniert und weiter traktiert. Laut Alexander wurden neben ihm weitere 61 Gefangene dieser Gewalt unterzogen. Sie wurden für jede kleine Bewegung geschlagen, selbst wenn sie nicht mehr vor Schmerz, Müdigkeit oder erlittenen Traumata stehen konnten.
„Wir standen so gebeugt, dass sich unsere Köpfe auf der Höhe unserer Bäuche befanden. Hände gehoben und zur Seite gestreckt. Die Beine standen geöffnet- doppelt so breit wie unsere Schulterspanne. Nach 5 Minuten in dieser Position schlafen die Beine, Arme und der Nacken ein – der Rücken und die Wirbelsäule schmerzen
Diese Peinigungen wurden persönlich von dem Leiter der Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten Sowjetskij kommandiert. Er hat selber mit besonderer Leidenschaft Menschen geschlagen. Neben mir stand ein junger Mann mit gebrochenem und geschwollenem Arm, sodass er diesen nicht mehr hochhalten konnte. Der Leiter der Bezirksverwaltung kam zu ihm und sagte ihm unter Fluchen: ,Verstehst du nicht, dass du deine Arme oben halten sollst?‘ Der junge Mann antwortete er könnte dies nicht, da sein Arm gebrochen sei. Daraufhin packte der Leiter seinen Arm, zog ihn ruckartig nach oben und schlug ihn gegen den Zaun. Ich habe diesen Leiter später auf der Internetseite des Innenministeriums wiedererkannt“, so erzählte Alexander.
Unsere Redaktion hat die persönlichen Daten und ein Bild von diesem Mann herausgefunden: Leiter der Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten Sowjetskij der Stadt Minsk, Sergey Leonidowitsch Kalinnik.
„Er hat geschrien: ,Ach, du bist ein Israeli!‘ und hat mich mit dem Schlagstock in den Bauch geschlagen“
Nachdem das Polizeiprotokoll geschrieben wurde, wurden den Gefangenen alle persönlichen Gegenstände und Personalien entnommen. Die ganze Zeit habe Alexander gesagt, dass er israelischer Staatsbürger sei und darum gebeten die Botschaft zu kontaktieren, als Antwort kam lediglich Lachen und Spott.
Im Anschluss wurden die Gefangenen in den Innenhof der Bezirksverwaltung gebracht, wo sie gezwungen wurden sich mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vorne über Stacheldraht gebeugt aufzustellen. Der Draht wurde so auf den Boden gelegt, dass jeder Schlag auf den Rücken die Gefangenen auf diesen niederfallen lies und verletzte. Geschlagen wurde für jede Bewegung.
„Du stehst am Zaun in der unbequemen Position, vor dir auf dem Boden ist Stacheldraht. Wenn du anfängst zu fallen – fällst du mit dem Gesicht darauf. Wir hatten Angst uns zu bewegen; für den Versuch dein eingeschlafenes Bein zu wackeln bekommst du Schläge mit dem Schlagstock. Zum Glück ist bei uns keiner gefallen.
Einer von den Polizisten ist riesig groß gewesen- mit seinem Helm und der Maske war er nicht zu identifizieren. Er hat die Gefangenen angeschrien, dass sie ihre Köpfe noch tiefer beugen sollen und hat jeden geschlagen. Ich habe gesehen wie er an mir vorbeilief und versucht meinen Kopf so tief wie möglich zu halten. Ich hoffte er würde mich nicht anfassen, aber nein – er hat mich trotzdem geschlagen.
Ich sagte ihm ich sei ein Israeli und fordere, dass die Botschaft über mich informiert würde. Er hat geschrien: ,Ach, du bist ein Israeli!‘ und hat mich mit dem Schlagstock in den Bauch geschlagen. Hätte ich geschwiegen hätte ich diesen Schlag nicht bekommen. Er hat sich zu seinen Kollegen umgedreht und sagte: ,Guckt mal, wir haben hier einen Israeli. Er ist gekommen um unser Land zu zerstören!‘ “
„Bei geringstem Anlass eröffnen wir das Schussfeuer“
Im Innenhof der Bezirksregierung wurde den Gefangenen gesagt: „Ihr befindet euch in einem Hochsicherheitsobjekt und bei geringstem Anlass eröffnen wir das Schussfeuer“.
„So standen wir bis 4 Uhr morgens, ungefähr einmal in 2 Stunden bekamen wir eine Flasche Wasser für alle. Ich konnte meinen Durst nicht löschen, sonst hätte es nicht für die anderen gereicht. Ich gab meinen Anteil weiter – erstens, damit die anderen mehr bekamen und zweitens, damit ich nicht auf Toilette musste.“
Laut Alexander wurde das Spiel guter Polizist, schlechter Polizist begonnen zu spielen, sobald jemand auf die Toilette geleitet wurde.
„Derjenige, der dich zur Toilette begleitet fängt an höflich mit dir zu reden, fragt dich wen sie für dich anrufen und über die Inhaftierung informieren sollen. Als ob er nett sei und dir gerne helfen würde. Ich habe den Begleitpolizisten gebeten die israelische Botschaft zu kontaktieren, er antwortete: ,Natürlich, wir sind gesetzlich verpflichtet dies zu tun‘. Davon war ich so berührt, dass ich ihm sagte: ,Ich werde für sie und ihre Familie an der Klagemauer eine Notiz hinterlassen‘. Er rief niemanden an – es war nur ein Spiel. Ich habe erkannt, dass sich bei mir das Stockholm Syndrom im Bezug zu diesem Mann entwickelte und versuchte mich von diesen Gedanken zu befreien.“
„Es war unerträglich kalt“
Im Innenhof der Bezirksregierung hörte wir Explosionen und Schüsse in der Nähe des Einkaufszentrums „Riga“ – dort war eines der Protestzentren in der Nacht vom 10. auf den 11. August. Nur als Ex-Soldat der israelischen Einsatzkräfte konnte ich diese Laute erkennen, für die Belarusen waren diese neu.
„Von dort haben wir die Explosionen und Schussfolgen gehört. Als Ex-Soldat erkannte ich sofort, dass es sich um Blendgranaten und Gummigeschosse handelte. Wir versuchten uns flüsternd auszutauschen – die anderen fragten sich was passiert sei und ich versuchte es ihnen zu erklären.“
Vor dem Sonnenaufgang fiel die Temperatur auf 10 Grad, aber die Gefangenen standen nach wie vor im Innenhof.
„Ich trug lediglich ein T-Shirt und eine knielange Jeans-shorts. Die Temperatur sank und mir war fürchterlich kalt. Uns wurde erlaubt sich auf den Asphalt zu setzen, Hände hinter dem Kopf. Aber wenn du dich bei 10 Grad auf den kalten Boden setzt, wird dir nur kälter.
Ich bin ein Mann und habe verschiedenes im Leben gesehen – somit kann ich mit solchen Situationen umgehen. Aber unter uns war eine 51-jährige Frau, Natalia, und sie machte das selbe durch. Ich weiß nicht wie sie das ertragen hat.
Wir haben auf den Sonnenaufgang gewartet, wie auf die Ankunft des Messias. Uns allen war es fürchterlich kalt.“
Alexander erzählt, dass unter ihnen ein geistig behinderter Junge mit Pflegestufe 2 gewesen sei, welcher sich wie ein 6-jähriger verhielt. Sein Name ist Artyom Schimanskiy. Zu dem Zeitpunkt der Publikation dieses Textes wurde er immer noch nicht wieder freigelassen.
„Als er aufgefordert wurde seine Arme zu heben, lächelte er und sagte: ,Ich will das nicht tun, ich bin müde, ich kann nicht mehr stehen‘. Dafür wurde er mit Schlagstöcken verprügelt und noch mehr bestraft als wir. Wir alle verstanden, dass er sich aufgrund seiner Krankheit so verhielt. Warum die Polizisten das nicht verstanden haben ist für mich ein Rätsel.
Als die Sonne rauskam wurde es wärmer – es war so eine Freude. Wir durften uns wieder auf den Asphalt setzten und sogar auf die Arme stützen, dabei aber nur nach vorne gucken. Wir konnten uns entspannen. Aber dieser Junge Artyom… Er hat sich die ganze Zeit umgedreht und gelächelt, als ob das irgendein Abenteuer wäre. Für seinen Ungehorsam haben sie uns alle bestraft. Wir wurden wieder aufgefordert uns gebeugt hinzustellen, und dies für eine Stunde. Eine kollektive Bestrafung dafür, dass ein behinderter Junge nicht auf sie hörte.“
Laut Alexander habe er im Innenhof stehend gehört, wie die Menschen im inneren des Bezirksregierungsgebäudes gefoltert wurden. Diese Menschen wurden in dieser Nacht in der Nähe des Einkaufszentrums „Riga“ verhaftet- wo sie versuchten Barrikaden zu erbauen.
„Ich habe die schrecklichen Schreie gehört und Schläge, dumpf wie mit einem Schlagstock auf den Körper. Auf diese Menschen haben die Einsatzkräfte den ganzen Zorn übertragen – und vielleicht hat uns dies vor brutaleren Peinigungen bewahrt.“
Teil 2. Schodsina
„Das ist die echte Gestapo“
Gegen 11 Uhr morgens begannen sie die Gefangenen in das Gefängnis zu bringen, welches sich in der Stadt Schodsina, im Gebiet von Minsk, befindet. Sie wurden in zwei Polizeitransportern befördert. Die Offiziere der Einsatzkräfte welche den Transport leiteten wählten für einen Transporter jene, welche Besonderheiten im Aussehen hatten: Menschen mit belarusischer Symbolik in der Kleidung, Männer mit langen Haaren oder Tattoos. Gerüchten zufolge wurde mit den Gefangenen in diesem Transporter brutaler umgegangen. Aber auch das was Alexander selber bei der Verlegung erlebt hat ähnelt am ehesten dem Verhalten der Gestapo.
„Die Menschen lagen im Polizeitransporter übereinander. Ein junger Mann wurde vor mir ohnmächtig. Der Ablauf war etwa so: Ein Mensch kniet sich, Hände hinter dem Rücken, Rücken gebeugt, mit dem Kopf auf den Boden gestützt. Der nächste stellt sich hinter ihn, ebenfalls gekniet; und lege sich auf ihm ab.
Bei den starken Männern wurden die Hände mittels Kabelbinder verbunden – so eng, dass ihre Hände blau wurden. Einige von ihnen konnten die Kabelbinder etwas lockern, aber sobald die Einsatzkräfte dies merkten wurde der Gefangene mit einer Vielzahl von Schlägen auf den Rücken bestraft.“
Laut Alexander war die Verlegung nach Schodsina der schlimmste Moment innerhalb der gesamten Haftzeit.
„Entschuldigt die vielen Details aber ein junger Mann hat einfach in die Hose gemacht. Ich glaube er stand direkt vor mir. Dies waren die Umstände: In stickiger Luft liegen Menschen aufeinander, die Knie tuen weh, der Transporter erschüttert bei jeder Unebenheit… und hinzu kommt noch dieser Geruch“, berichtet er. „Sie haben mit uns im Transporter ,Karaoke‘ gespielt. Sie haben sich Lieder gewünscht – und wir sollten das Lied singen. Sie wünschten sich ,Peremen‘ von Tsoi [Veränderungen] oder Lieder von Stas Michailow. Wir weigerten uns diese Lieder zu singen. Wir sagten wir würden den Text nicht kennen.
Die die sich beschwerten wurden erneut verprügelt. Wenn eine Einsatzkraft die Person welche er schlagen wollte nicht erreichen konnte, stellte er sich auf die Rücken anderer Gefangener um diese Person zu erreichen.
Ein Polizist stellte sich mit einem Bein auf meinen Rücken, und mit dem anderen auf den Rücken eines weiteren Gefangenen. Er stellte sich nicht einfach darauf, nein das wäre nicht schmerzhaft genug, er drückte mir absichtlich seinen Stiefel in den Rücken und drehte seinen Fuß, damit es mir schmerzte. Ich erkannte, dass ich besser kein Geräusch machen sollte, lieber noch eine Stunde aushalten. Aber wir haben zugehört und merkten uns alles. Manchmal machten sie Fehler – haben sich gegenseitig bei ihren Nachnamen genannt. Aus dem Transporter nach Schodsina habe ich mir einen Namen gemerkt: Schabunya.
Wisst ihr noch wie Arya Stark von ,Game of Thrones‘ die Namen derer die sie umbringen soll für sich wiederholt? Ich werde natürlich niemanden umbringen, aber ihr System habe ich übernommen. Ich habe innerlich die ganze Zeit die Namen wiederholt die ich hörte und einige Jungs haben das gleiche gemacht. Ich glaube das ist sehr wichtig.“
„Die werden euch vergewaltigen“
„Auf dem Weg begannen sie uns Angst zu machen – Schodsina sei das schlimmste Gefängnis der Welt. Sie sagten: ,Wir werden euch jetzt zu den Kriminellen in die Zellen stecken. Die werden aus euch ,prison bitches‘ machen. Ihr werden da nicht wieder rauskommen. Verabschiedet euch von eurem Leben‘. ,Das was wir mit euch machen, sind Peanuts. In Schodsina werdet ihr euch einscheißen‘…“
„Junge Leute neben mir weinten vor Angst. Ein 20-jähriger Junge fragte mich flüsternd: ,Wie soll ich mich beim Foltern verhalten, damit es nicht so wehtut?‘ Ich sagte ihm: ,Hauptsache keine Angst haben. Denn wenn du Angst hast tut es mehr weh. Versuch das ganze auszublenden‘. Wisst ihr, ich bin 40 Jahre alt, ich kann das tun. Er ist 20 – er kann das nicht.“
Laut Fuhrmann befand sich vor der Einfahrt zur Untersuchungshaftanstalt Schodsina ein 1,5 Stunden langer Stau aus Polizeitransportern. Die Begleiter erlaubten den Menschen endlich sich auf den Boden zu setzen, aber für Alexander war jede Pose schmerzhaft, da er schwer misshandelt worden war. Er erzählte welche psychologische Vorbereitung die Einsatzkräfte bekommen hatten und wie diese ihre Gräueltaten rechtfertigten.
„Wir haben es uns bequem gemacht und haben uns unterhalten. Die Einsatzkräfte erzählten uns, wie bösartig wir seien und wie nett Lukaschenko sei. Sie erzählten uns, dass jeder von uns Demonstrierenden $150 bekäme. Ich schaute ihnen in die Augen und verstand: sie glaubte das wirklich.
Danach erklärten sie uns warum sie diese Gräueltaten begingen. Sie erzählten uns Märchen, dass schon mehr als 100 Einsatzkräften mit kaputten Schädeln in den Krankenhäusern lägen und dies sei die Rache dafür. Ich glaube das sie das extra gesagt bekommen haben um sie gewalttätiger zu machen (Anmerkung der Redaktion: Es gibt keine Beweise hierzu).
Ich habe versucht das Gespräch auf die israelische Armee umzulenken, ich dachte das könnte sie interessieren und von weiterer Gewalt abhalten. Ich stellte ihnen Fragen über ihren Alltag – wie ihre Gehälter seien, wieviel sie zum Leben bräuchten. Ich versuchte sie von den anderen Gefangenen abzulenken, von den jungen – weil diese Dinge fragten, die sie hätten verärgern können.“
Im Knast habe ich zum ersten Mal menschliche Stimmen gehört
Wie uns Alexander berichtete konnten die Verhafteten erst nach der Ankunft in der Untersuchungshaftanstalt Schodsina aufatmen. Die Mitarbeiter der Anstalt verhielten sich weitaus respektvoller als die Einsatzkräfte.
„Die Mitarbeiter von Schodsina haben uns nicht misshandelt. Dort habe ich keinen einzigen Schlag erhalten. Wir liefen einen Flur entlang und fanden uns in einem Innenhof wieder – von oben wurde er mit einem Gitter bedeckt. Oben stand ein Aufseher, hier hörte ich das erste Mal seit meiner Festnahme menschliche Stimmen – ohne schreien und fluchen. Er fragte uns: ,Jungs, ist alles gut? Habt ihr Beschwerden? Ich werde gleich einen Eimer bringen falls jemand auf Toilette muss. Haltet noch eine halbe Stunde durch und wir werden euch auf die Zellen verteilen – dort wird es ruhiger sein‘. An dieser Stelle atmeten wir auf.“
In Alexanders Zelle, welche für 8 Personen ausgerichtet wäre, säßen 16 Männer. Jeder von ihnen Demonstrant – die Kriminellen wären aus der Zelle verlegt worden, und wie es aussah sei dies ziemlich eilig geschehen, da die Verhafteten in der Zelle ein Versteck mit einer Rasierklinge und anderen scharfen Gegenständen gefunden hätten. Damit nichts passierte hätten die Demonstranten diese Objekte in die Toilette gespült.
Tagsüber stiege die Temperatur in der Zelle auf über 30 Grad. Die Gefangenen hätten sich darauf geeinigt hygienische Regeln zu beachten. Sie wuschen ihren Körper mehrmals täglich mit Wasser ab. Für 16 Personen habe es 4 Etagenbetten gegeben. Damit alle in der Nacht schlafen konnten hätten sie den Boden abgewaschen und mit Decken ausgelegt.
„Wir hatten unglaubliche Solidarität untereinander. Die ältesten in unserer Zelle waren ich und ein Mann, der 35-jährige Andrey. Wir gaben uns mühe alles zu organisieren. Am ersten Abend losten wir, wer wo schlafen würde. 8 von uns haben Betten geteilt, die anderen schliefen auf dem Boden. In der nächsten Nacht wechselten wir. Ich war der kleinste, meine Größe beträgt 1,70 m – deswegen habe ich mich direkt gemeldet um auf dem Tisch zu schlafen, damit die anderen mehr Platz haben.
In unserer Zelle war auch der behinderte Junge, Artyom Schimanskiy. Wir wuschen ihn jeden Tag, damit es nicht zu heiß für ihn würde. Ansonsten kratzte er sich blutig von der Hitze auf seinem Körper. Wir redeten die ganze Zeit mit ihm, damit er sich nicht alleine fühlte. Ich glaube er hatte in seinem ganzen Leben noch nie so viele Freunde wie an diesem Tag.
Erst am Morgen des 12. August haben wir etwas gegessen. Artyom hatte sehr viel Hunger, vielleicht ein Zeichen seiner Krankheit. Damit er genug bekam haben wir den Aufsehern erzählt wir seien eine Person mehr und bekamen eine weitere Portion.
Aus Brot haben wir Spiele gebastelt. Wir unterhielten uns viel: über Geschichte, über Philosophie. Ich erzählte Armee-Geschichten… da waren viele intelligente Leute. In der Zelle lernte ich ehrenwerte Belarusen kennen, Menschen jeglicher Berufe.
Auch lernte ich einen polnischen Journalisten Namens Kasper kennen, ein Polyglott welcher unter anderem Russisch sprach. Mit ihm haben wir über Philosophie und Kultur gesprochen. In der Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten Frunsenskij wurde er sehr intensiv verprügelt, nur dafür, dass er Pole sei: ,Ihr Polen seid zu uns gekommen um unser Land zu zerstören! Ihr seid alle schwul, ihr Schwuchtel! Wieso seid ihr überhaupt hergekommen?‘, sagten sie zu ihm.
Im Anschluss, in der Anstalt in Schodsina, holten 2 Männer mit Aktenkoffern Kasper aus der Zelle. Sie stellten sich nicht vor, wir wussten nicht woher sie kamen – aber es war offensichtlich, dass sie vom Geheimdienst kamen. Sie nahmen ihn zum Verhör mit. Sie hätten ihm gesagt Belarusen würden Polen in Wahrheit mögen. Sie versuchten ihn zu überreden niemandem weiterzuerzählen was er gesehen hatte. Aber er verweigerte und sagte: ,Nein, ich werde alles erzählen‘, und wurde zurück in unsere Zelle gebracht.“
„Sie zwangen uns zu rufen ,Lukaschenko ist der beste Präsident‘ “
Die schlimmsten Folterungen hätten die Nachbarn von Alexander durchgemacht. Diejenigen, die die vorherige Nacht in der Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten Frunsenskij verbracht hätten.
„Ich habe mich darüber beschwert, dass wir knien mussten. Aber in Frunsenskij lagen die Menschen auf dem Boden. Sie wurden getreten und gezwungen zu rufen: ,Lukaschenko ist der beste Präsident‘ “, so Alexander.
Am 13. August wären die Verhafteten zum Verhör aus der Zelle geholt worden. Die Richter haben laut Alexander „keinen verhört, sie haben Gerichtsurteile nur abgestempelt“. Die Gefangenen hätten die standardisierte Dauer für administrative Inhaftierung erhalten – 5 bis 15 Tage. Alexander sei nicht zum Verhör abgeholt worden, in der Zwischenzeit seien fast 72 Stunden vergangen – die maximale Dauer in welcher man einen ausländischen Staatsbürger gefangen halten dürfe.
„Ich sprach einen Polizisten an: ,Sagen Sie mal, und was ist mit mir? In zwei Stunden muss ich freikommen, das steht so im Gesetz.‘ Er antwortete: ,Das mit dir ist eine seltsame Geschichte – deine Papiere sind verloren gegangen.‘ Da wusste ich, dass ich bald rauskomme…
Jetzt wollen sie so tun, als ob sie mich gar nicht verhaftet hätten. Ich glaube sie dachten, ich hätte eine doppelte Staatsbürgerschaft – eine israelische und eine belarusische. In so einem Fall könnte die belarusische Behörde sagen: ,Uns ist das egal. Wir können alles mit ihm machen.‘ Aber ich habe nur eine israelische Staatsbürgerschaft – auf die belarusische habe ich bereits im Jahr 2002 verzichtet. Zu einer Zeit habe ich das bedauert, aber jetzt hat es mich gerettet.
In belarusischen Gefängnissen könnten sich aktuell weitere israelische Gefangene befinden, welche nicht auf die belarusische Staatsbürgerschaft verzichtet haben.
Ich kenne kaum Israelis aus Belarus, welche auf die doppelte Staatsbürgerschaft verzichtet haben“, sagt Alexander.
Wir finden uns bei Instagram
Als klar wurde, dass der Israeli freigelassen würde hätten ihm die Mitgefangenen eine Liste mit Namen und Telefonnummern der Angehörigen gegeben. Über Luftschächte habe man mit den Gefangenen aus anderen Zellen kommunizieren können – sie hätten ebenfalls ihre Daten weitergegeben.
Alexander hätte mit den Mitgefangenen abgemacht sich nach der Entlassung via Instagram wiederzufinden.
„Wir dachten uns individuelle hashtags aus, über diese konnten wir uns später bei Instagram wiederfinden. # PN27PN – Mitgefangene aus dem Polizeitransporter; hashtag aus unserer Zelle in Schodsina: #жодино26ожидайте. 26 war die Nummer unserer Zelle. ,Ожидайте‘ – ,Bitte warten‘, das humorvollste Wort welches wir dort gehört haben.“
Alexander Fuhrmann wurde entlassen, aber wie er erwartet hatte wurde ihm berichtet, dass sein Pass verloren gegangen sei.
„Aktuell besitze ich keinen Pass. Morgen oder übermorgen soll die israelische Botschaft einen neuen Ausweis ausstellen. Interessant ist, dass ich meinen Pass auf dem Tisch in der Bezirksregierung gesehen habe – unter zahlreichen Gerichtsprotokollen. Es war der einzige Pass dieser Art, ich erkannte ihn am Umschlag. Zusammengefasst hat die belarusische Regierung erst einen Israeli entführt und danach seinen Personalausweiß geklaut.“
Vor seiner Entlassung musste Alexander seine persönlichen Gegenstände 2 Stunden lang unter den Sachen anderer Inhaftierter suchen.
„6 Zellen mit Bergen von Dingen: Handys, Schnürsenkel, Schuhe, ein Haufen von Geld, Kreditkarten… und was mich wundert, ich habe meine Kreditkarten und mein Geld wiedergefunden: viele Geldscheine in unterschiedlichen Währungen.“
Insgesamt sei der Israeli 78 Stunden verhaftet gewesen. Er wurde zusammen mit dem polnischen Journalisten freigelassen.
„Sie haben uns vor der Gefängnispforte aufgestellt. Kasper stand neben mir. Ich hielt ihn an der Schulter und sagte: ,Kasper, Freiheit‘. Ich sah, dass der polnische Botschafter ihn abholte, aber keine Sicht von einem israelischen Botschafter.
Ich wunderte mich. In der Zelle sagte ich den Jungs immer ich käme aus Israel, für mich würden sie alles tun. Ich erzählte ihnen von dem Fall Naama Issachsar – und sie waren erstaunt, dass die israelische Regierung die eigenen Staatsbürger*innen so schütze. Aber keiner aus der israelischen Botschaft hat mich abgeholt.
Vor der Pforte haben uns ca. 500 Menschen erwartet. Ich kam raus und alle zeigten mir ihre Handys. Auf jedem Bildschirm war ein Foto eines Vermissten.“
Die belarusischen Behörden teilten den Familien der Verhafteten nicht mit, wo diese sich aufhielten. Es wurden keine Listen veröffentlicht und viele Belarusen wissen immer noch nicht wo sich ihre Angehörigen befinden. Solche Informationen sammeln nur Menschenrechtsverteidiger, aber die offiziellen Behörden kooperieren ungern.
„Ich entschied mich dazu, mir jedes Bild auf den Handys anzuschauen und das habe ich auch getan. Zwei von ihnen konnte ich erkennen.“
Am Ende des Gespräches hat Alexander mit unserer Redaktion eine sehr persönliche Beobachtung geteilt.
„Ich habe meinen militärischen Dienst 3 Jahre lang in der ,Givati‘ Brigade abgeleistet, danach noch ein halbes Jahr mit Vertrag. Ich diente in der Abteilung 435 ,Rotem‘ alle 3 Jahre in Gaza – in Gusch Katif. Wir begleiteten oft den Transport von gefangenen Palästinensern. In Gaza verloren wir unseren Kommandeur und unseren Funker – 2 Monate später verhafteten wir die dafür verantwortlichen Terroristen und begleiteten diese beim Transport. Wir hätten es uns nie erlaubt diesen Menschen auch nur einen Spur dessen anzutun, was die belarusischen Einsatzkräfte mit uns taten.“
Kein Nachwort
Alexander Fuhrmann und seine Familie befinden sich immer noch in Belarus. Er hat weiterhin vor mit den Medien zu arbeiten. Er fühlt sich verpflichtet der gesamten Welt mitzuteilen, was in den belarusischen Gefängnissen passiert. Seine Familie hat ihn nun in einem sicheren Ort unterbringen können.
Wir hoffen das israelische Außenministerium wird auch Israelis mit doppelter Staatsbürgerschaft helfen, welche sich aktuell immer noch in belarusischen Gefängnissen befinden.