20. August 2020, 18:41 | TUT.BY
Die Plattform „Golos“ [Stimme] gemeinsam mit der Plattform „ZUBR“ [Bison] und mit der Initiative „Ehrliche Menschen“ präsentierte den Abschlussbericht über die Präsidentschaftswahl in der Republik Belarus. Im Folgenden sind die wichtigsten Punkte des Berichts aufgelistet.
Eine Zusammenfassung für diejenigen, die den langen Text nicht lesen wollen
Die Initiativen „Golos“, „ZUBR“ und „Ehrliche Menschen“ betonen, dass die Ergebnisse der erhaltenen und ausgewerteten offiziellen Wahllokal-Protokolle und die Fotos von Stimmzetteln belegen, dass in jedem dritten Wahllokal die Anzahl der Stimmzettel für einen bestimmten Kandidaten mit der Anzahl der Stimmen für denselben Kandidaten im Abschlussbericht des ZWK nicht übereinstimmt. Die endgültigen Daten vom Zentralen Wahlkomitee unterscheiden sich erheblich von den offiziellen Daten aus den Bezirksprotokollen. Die Stimmen für Swetlana Tichanowskaja gemäß offiziellen Daten der Bezirkswahlkommissionen entsprechen nicht den Informationen auf der Plattform „Golos“.
Wie sind die Autoren zu diesem Schluss gekommen?
Dank der Zusammenarbeit der Plattformen „Golos“, „ZUBR“ und „Ehrliche Menschen“ konnten die endgültigen Protokolle von 1.310 von 5.767 Wahllokalen in ganz Belarus gesammelt und ausgewertet werden. Laut offiziellen Protokollen handelte es sich um 1.875.998 Wähler, was 32,2% von insgesamt 5.818.955 Wählern entspricht.
Dieser Bericht enthält Daten, die nach der Verarbeitung von Protokollen von 1.310 Wahllokalen erhalten wurden, sowie einen Vergleich dieser Daten mit Stimmzetteln auf der Plattform „Golos“.
Die erhaltenen offiziellen Protokolle decken alle Regionen Belarus‘sowie verschiedene Siedlungen ab – Städte, Dörfer. „Protokolle wurden in vielen Wahllokalen nicht von Kommissionen veröffentlicht. Es wurde auch eine große Anzahl von Wahllokalen aufgezeichnet, an denen die Protokolle ohne Unterschrift veröffentlicht wurden oder an denen die Kommissionen das Fotografieren der Protokolle verhinderten“, heißt es in dem Bericht.
Warum wird behauptet, dass die Stimmen für Tichanowskaja falsch gezählt wurden?
„In den Wahllokalen, für die wir Protokolle haben, sind die Stimmen für Swetlana Tichanowskaja im Durchschnitt dreizehn mal höher als in den Bezirken, für die wir keine Protokolle erhalten haben“, heißt es in dem Bericht.
Laut 1.310 Protokollen, die gesammelt und verarbeitet wurden, erhielt Swetlana Tichanowskaja mehr als 81% der vom Zentralen Wahlkomitee zu ihren Gunsten angegebenen Stimmen, und zwar 471.709 von 588.619. Gemäß den Protokollen, die nicht gesehen werden konnten, muss die Präsidentschaftskandidatin den Rest der Stimmen, nämlich 116.910, erhalten haben.
Das heißt, in den verbleibenden nicht erfassten 4.457 Wahllokalen hätten durchschnittlich 26 Personen für Tichanowskaja gestimmt haben sollen, was unrealistisch erscheint, da in den bereits analysierten Wahllokalen durchschnittlich 360 Personen für sie gestimmt haben.
Warum ist die Plattform nicht mit den offiziellen Ergebnissen einverstanden?
„In 59% der Wahllokale in Minsk hat Tichanowskaja mehr Stimmen, als in 100% der Wahllokalen in Minsk, gemäß der endgültigen Auszählung des Zentralen Wahlkomitees. Dies bedeutet, dass in Wirklichkeit mehr Menschen in Minsk für Tichanowskaja gestimmt haben, als das Komitee angegeben hat. Und die endgültigen Daten, die vom Zentralen Wahlkomitee bekannt gegeben wurden, haben nichts mit den Abstimmungsprotokollen zu tun“, betonen die Autoren des Berichts.
So nach den offiziellen endgültigen Angaben des Zentralen Wahlkomitees gaben die Wähler in Minsk in 731 Bezirken 126.861 Stimmen für Tichanowskaja ab. Es wurden die offiziellen Protokolle von 432 Wahllokalen der Hauptstadt (59% der Gesamtzahl in Minsk) analysiert. In diesen 432 Wahllokalen wurden bereits mehr Stimmen für Tichanowskaja abgegeben, und zwar 132.941 Personen.
Die Daten für die Region Minsk stimmen ebenfalls nicht überein. Nach Angaben des Zentralen Wahlkomitees wurden in allen 993 Bezirken der Region Minsk 115.304 Stimmen für Tichanowskaja abgegeben.
Gleichzeitig wurden in 257 Wahllokalen, deren Protokolle der Plattform zur Verfügung standen (26% aller Wahllokale in der Region Minsk), 114.553 Stimmen für Tichanowskaja abgegeben. Oder 99,3% der vom Zentralen Wahlkomitee veröffentlichen Zahl. Das heißt, nur 0,7% der Stimmen für Tichanowskaja verbleiben für die restlichen 74% der Wahllokale.
Warum Lukaschenka keine 80% erzielen konnte?
Laut ZWK, haben 80,1% der Wähler für Lukaschenka gestimmt.
Aber, gemäß offiziellen Protokollen aus 1310 Wahllokalen hat Kandidat Alexander Lukaschenka ca. 61,7% der Stimmen bekommen, was wesentlich weniger ist, als das offizielle Ergebnis des Zentralen Wahlkomitees (80,1%).
Wenn man bedenkt, dass ein Drittel der Wahllokale Diskrepanzen zwischen der Anzahl der Wahlzettel und der Anzahl der Stimmen für denselben Kandidaten im Abschlussprotokoll der Bezirkswahlkomission aufweisen, könnte man annehmen, dass nicht mal das Ergebnis von 61,7% glaubwürdig ist.
Der Vergleich der Informationen aus den offiziellen Protokolle der Bezirkswahlkomissionen mit den Fotos auf der Plattform “Golos” hat gezeigt, dass mindestens 440 Wahllokale von diesen 1310 Unstimmigkeiten aufweisen.
Warum ist „Golos“ der Meinung, dass die Ergebnisse des ZWK nicht glaubwürdig sind?
1.310 offizielle Protokolle, die man auf der Plattform ansehen kann, weisen Diskrepanzen auf.
Nach offiziellen Angaben aus den endgültigen Protokollen der Bezirkswahlkomissionen, hat Lukaschenka in 1.115 Wahllokalen gewonnen, Tichanowskaja in 195 Wahllokalen.
- In 195 Wahllokalen, in denen Tichanowskaja offiziell gewonnen hat, hat sie im Durchschnitt 56,7% der Stimmen bekommen. Lukaschenka hat in denselben Wahllokalen nur 31,3% der Stimmen erhalten.
- In 1.115 Wahllokalen, in denen Lukaschenka offiziell gewonnen hat, hat er im Durchschnitt 66,6% der Stimmen bekommen. Tichanowskaja hat in denselben Wahllokalen nur 29,4% der Stimmen erhalten.
- Die restlichen 4457 Wahllokale decken 3.942.957 Wähler ab. Nach offiziellen Angaben des ZWK haben sich diese Simmen folgendermaßen verteilt: 116.910 für Swetlana Tichanowskaja und 3.503.283 Stimmen für Alexander Lukaschenka.
Glaubt man dem ZWK, würde Tichanowskaja in den restlichen 4.457 Wahllokalen im Durchschnitt 2,97% der Stimmen bekommen haben. Lukaschenka dagegen würde demnach sagenhafte 88,85% erzielt haben. Angenommen, dass die Ergebnisse des ZWK korrekt sind, wären die 1.310 Protokolle, die uns zufällig zur Verfügung stehen, absolute Unikate und radikal anders als die restlichen 4.457 Protokolle aus den Wahllokalen, so die Autoren.
Wie sind die Endergebnisse auf der Plattform „Golos“ ausgefallen?
1.261.127 Nutzer haben sich auf der Plattform angemeldet und ihre Stimmen abgegeben. 1.047.933 Nutzer haben ihre Wahl durch die Angabe ihrer Telefonnummer bestätigt. Die Wähler haben mehr als 550.000 fotografierte Wahlzettel zugeschickt (Stand: 18. August).
Die fotografierten Wahlzettel werden benutzt, um Diskrepanzen in den Wahllokalen aufzudecken. Es ist ein Warnzeichen, wenn die Wahlzettel für einen bestimmten Kandidaten in einem bestimmten Wahllokal im Vergleich zu den Stimmen für denselben Kandidaten im finalen Protokoll des ZWK deutlich überwiegen.
So hat man Unstimmigkeiten in 30% der Wahllokale entdeckt, deren Wahlzettel der Plattform „Golos“ zur Verfügung stehen. Aus diesen Wahllokalen hat die Plattform mehr fotografierte Wahlzettel für Tichanowskaja bekommen, als in den Protokollen des ZWK steht.
Mindestens 30% der analysierten Protokolle wurden für ungültig erklärt. Zum Beispiel, befindet sich auf der Website der Plattform eine Karte. Wenn ein Bezirk blau markiert ist, stimmt der Wahlsieg des Kandidaten im offiziellen Protokoll mit den Ergebnissen der „Golos“ überein. Ist ein Bezirk rot markiert, hat der Kandidat bei „Golos“ mehr Stimmen bekommen, als im offiziellen Protokoll angegeben sind. Die graue Markierung bedeutet, die gesammelten Informationen reichen nicht aus, um die Arbeit der Wahlkommission beurteilen zu können.
Im Folgenden werden die Wahlergebnisse unter Wählern mit bestätigten Telefonnummern dargestellt:
- Tichanowskaja
- Lukaschenka
- Kanapatskaja
- Dsmitryjew
- Tscheretschen
- Gegen alle
- Ich werde nicht wählen
- Ich werde einen ungültigen Wahlzettel abgeben
Außerdem hat die Spiegel-Website partizan-results.com, die die Ergebnisse der Plattform „Golos“ wiedergibt, eine Karte der Wahllokale veröffentlicht, auf der jeder Wähler sehen kann, in welchen sich die Informationen laut „Golos“ von den offiziellen Angaben der Bezirkswahlkomissionen unterscheiden. (Die fotografierten Wahlzettel werden zur Veröffentlichung vorbereitet. Am 21. August werden die Daten zu allen Wahllokalen hinzugefügt.) Darauf sind wir in einem anderen Bericht ausführlich eingegangen.
Wie sehen die Ergebnisse auf der Plattform „ZUBR“ aus?
Die Plattform „ZUBR“ wurde zur einzigen Sammelstelle für die Wahlfälschungen, die durch die unabhängigen Wahlbeobachter während des Wahlkampfs aufgedeckt wurden.
Momentan befinden sich auf der Plattform 6.532 Mitteilungen aus 1.403 Wahllokalen, die 3.988 Fotos, Videos und Audiodateien und 5.955 Textmitteilungen beinhalten.
- Unstimmigkeiten bei der Anzahl der Wähler: 822.
- Akkreditierte Wahlbeobachter wurden nicht zugelassen: 817.
- Wahlbeobachter durften das Wahllokal nicht betreten: 705.
- Rechte der Wahlbeobachter wurden eingeschränkt: 563
- Protokolle wurden nicht fristgerecht veröffentlicht: 240.
- Auszählung der Stimmen war nicht transparent: 167.
- Wähler wurden genötigt: 36.
- Sonstiges: 3.660.
Alle Verstöße sind auf der Plattform „ZUBR“ dokumentiert. In Belarus ist die Website blockiert, aber über VPN zugänglich
Sonstige Verweise:
Endergebnisse der Bezirkswahlkomissionen mit Fotos, die die Initiative „Ehrliche Menschen“ und die Plattform „ZUBR“ gesammelt haben, findet man hier.
Die Karte der Plattform „Golos“ mit einer Liste der Wahllokale, aus denen man mehr Fotos der Wahlzettel erhalten hat, als im offiziellen Protokoll angegeben, findet man hier.
Die Lage um die Plattform „Golos“ – eine Zusammenfassung
Am 6. August hat Lukaschenka angeordnet, die Rechtmäßigkeit der alternativen Stimmenauszählungen während der Wahl zu prüfen.
Ein weiteres Thema, das aufgekommen ist, sei eine alternative Stimmenauszählung am Tag der Wahl. Die Generalstaatsanwaltschaft und die Gerichte sollten prüfen, ob solche Initiativen rechtmäßig sind. Dies müsse vor Gericht geklärt werden, so Lukaschenka.
Am selben Tag hat Lydia Jarmoschyna, die Leiterin des Zentralen Wahlkomitees, in einer Videobotschaft bedauert, dass „eine politische Affäre namens Internet-Plattform „Golos“ ins Land eingeschmuggelt wird“.
Eigentlich, sei das, was euch angeboten wird, ein Schatten-ZWK, so Jarmoschina. Sie halte die Plattform für ein schädliches und kriminelles Projekt.
„Man versichert uns, es handle sich um eine Kontrolle über die Willensäußerung. Nein, meine Lieben, das ist keine Kontrolle. Da wird ein gefälschtes Wahlergebnis geschaffen, um die offiziellen Wahlergebnisse abzuwerten und dadurch Ausschreitungen zu stiften. Das ist das Ziel,“ –beteuert Jarmoschina.
Das Team von „Golos“ hat der ZWK Leitung geantwortet: die Plattform “Golos” sei ins Leben gerufen, um sicherzustellen, dass die offiziellen Wahlergebnisse korrekt sind. Das sei lediglich ein Dienst, der keinen der Kandidaten bevorzugt und das Wahlergebnis in keiner Weise manipulieren kann. Nach den Aussagen von Lukaschenka und Jarmoschina hat die Generalstaatsanwaltschaft beschlossen, dass die Online-Plattformen „Golos“ und „ZUBR“ die Wähler dazu aufgerufen haben, ihre Wahlzettel in den Wahllokalen zu fotografieren und die Fotos an sie zu senden, sowie an den alternativen Stimmenauszählungen teilzunehmen. Den Plattformen wird vorgeworfen, ohne Genehmigung soziologische Umfragen und Untersuchungen durchführen. Dafür könnten die Gründer verwaltungsrechtlich verfolgt werden.