Aufruf zum sofortigen Aufhören der Repressionen gegen Staatsbürger sowie Freilassung aller politischer Gefangenen

7. September 2020 | Viasna
Source: Viasna

Gemeinsame Erklärung von belarussischen Menschenrechtsorganisationen

Minsk, 7. September 2020.

Wir, als Vertreter der belarusischen Gemeinschaft für Menschenrechte, stellen einen Anstieg der Unterdrückung durch die Behörden der Republik Belarus gegen Staatsbürger fest.

Die Angehörige von verschiedenen Bevölkerungsgruppen sind Opfer dieser repressiven Aktionen: Studenten und Universitätsprofessoren, Mediziner, Arbeitnehmer staatlicher Großunternehmen sowie Angestellter privater Unternehmen.

Alle diese Verfolgungsfälle sind auf politische Gründe zurückzuführen.

In den letzten Wochen gab es in Belarus eine Reihe von Verhaftungen von Geschäftsleuten, die an verschiedenen sozialen und politischen Aktivitäten beteiligt waren.

Am 28. August wurde der Geschäftsmann, Mitbegründer der Online-Ausgaben kyky.org und The Village Belarus sowie der Eigentümer der Agentur Vondel / Hepta und Galerie Y, Alexander Vasilevich, von KGK (Komitee der Staatskontrolle) festgenommen. Zuvor wurden in seiner Wohnung, seinem Büro und den ganzen von ihm geleiteten Unternehmen Durchsuchungen vorgenommen. Die Website von The Village Belarus und von anderen gesellschaftspolitischen Medienunternehmen wurden aufgrund einer Entscheidung des Informationsministeriums blockiert.

Alexander Vasilevich war vorher an sozialen Aktivitäten beteiligt, weswegen er schon von den Behörden verfolgt worden war. So wurde A. Vasilevich am 28. Juli von Polizisten im KGB-Gebäude festgenommen, wo er zusammen mit anderen Bürgern eine Petition einreichte um die Schutzhaft für Herrn V. Babariko zu ändern. Gemäß Artikel 23.34 Abs.1 KOAP setzte das Gericht des Bezirks Frunzensky in Minsk A. Vasilevich die Freiheitsstrafe für vierzehn Tagen fest, weil er an einer nicht genehmigten Sitzung teilgenommen hatte.

Am 4. September wurde A. Vasilevich angeklagt. Aufgrund der vom Anwalt unterzeichneten Geheimhaltungsvereinbarung wurde derzeit noch nicht bekanntgegeben, unter welchem ​​Artikel des Strafgesetzbuches die Anklage fällt. Alexander Vasilevich befindet sich zurzeit in Untersuchungshaft SIZO NR.1. Die Frau von Alexander Vasilevich, Nadezhda Zelenkova, ist ebenfalls eine Verdächtige im Strafverfahren.

Am 31. August 2020 wurde ebenso Lilia Vlasova , Mitglied des Präsidiums des Koordinierungsrates, eine bekannte Anwältin und internationale Mediatorin, Partnerin und Direktorin der Anwaltskanzlei Vlasova, Mikhel and Partners, von Mitarbeitern des KGK verhaftet.

Wie später bekannt gegeben wurde, wurde ein Strafverfahren gemäß Teil 2 Artikel  243 des Strafgesetzbuches (Steuerhinterziehung) eingeleitet.

Es sei darauf hingewiesen, dass alle Mitglieder seit der Einrichtung des Koordinierungsrates und der Wahl des Präsidiums einem starken Druck der Behörden in Belarus ausgesetzt waren. A. Lukaschenko persönlich sprach über die angeblich illegale Aktivitäten des Koordinierungsrates, und die Generalstaatsanwalt erhob bereits eine Klage im Strafverfahren nach Artikel 361 des Strafgesetzbuches (illegale Versucht der Machtergreifung und Schädigung der nationalen Sicherheit der Republik Belarus). Im Rahmen des eingeleiteten Strafverfahrens wurden sowohl Mitglieder des Präsidiums als auch andere Mitglieder des Koordinierungsrates zum Verhör einbestellt. Die Mitglieder des Koordinierungsrates wurden wiederholt festgenommen, und ein Mitglied des Präsidiums, Olga Kovalkova, wurde gewaltsam aus der Untersuchungshaft, wo sie eine administrative Verhaftung verbüßte, nach Polen gebracht.

Am 2. September 2020 wurden das Büro von PandaDoc in Minsk sowie die Privatwohnungen einiger Mitarbeiter von der KGK durchsucht.

Später wurde veröffentlicht, dass vier Mitarbeiter des Unternehmens, Julia Shardiko, Dmitri Rabtsevich, Viktor Kuvshinov und auch Vladislav Mikholap, als Verdächtige gemäß Teil 4 Artikel 210 des Strafgesetzbuchs festgenommen worden sind (Diebstahl durch Amtsmissbrauch).

Es sei darauf hingewiesen, dass Nikita Mikado, der Gründer von PandaDoc, die politische Repression in Belarus offen tadelte. Unmittelbar nach den Protesten vom 6. bis 11. August starteten M. Mikado und sein Geschäftspartner S. Borisyuk die Initiative Protect Belarus, um Beamten von Strafverfolgung zu unterstützen, die ihren Arbeitsplatz verloren hatten, weil sie sich weigerten, strafrechtliche Anordnungen auszuführen. Während dieser Zeit erhielt die Initiative mehr als 500 Anträge auf Unterstützung, und einige davon erhielten eine breite öffentliche Resonanz.

Die Inhaftierungen von Alexander Vasilevich, Lilia Vlasova, Julia Shardyko, Dmitri Rabtsevich, Viktor Kuvshinov und Vladislav Mikholap sind eine Fortsetzung der weiteren Repressionen, die nach einer öffentlichen Bekanntmachung des Präsidentschaftswahlkampfs vom Parlament begann. In dieser Zeit standen tausende Bürger unter verschiedene Arten von Unterdrückung und Verfolgung: Entlassungen, Freiheitsstrafen, Geldstrafen sowie politische strafrechtliche Verfolgung.

Die Unterdrückung verstärkte sich insbesondere nach den Wahlen, was zur einen starken Erhöhung der politischen Verhafteten führte. Das Land befindet sich in einer Menschenrechtskrise.

Unter diesen Umständen kommen wir zu dem Schluss, dass die wahren Gründe für die strafrechtliche Verfolgung der oben genannten Bürger politische Motive sind, die darauf abzielen, ihre öffentlichen Aktivitäten einzustellen oder ihre Motive zu ändern.

Auf dieser Grundlage erklären wir als Vertreter belarussischer Menschenrechtsorganisationen gemäß den Abschnitten 2.1, 3.1a) der Leitlinien zur Definition des Konzepts des „politischen Gefangenen“, das auf dem III. Belarussischen Menschenrechtsforum verabschiedet wurde, dass Alexander Vasilevich, Lilia Vlasova, Julia Shardyko, Dmitri Rabtsevich, Viktor Kuvshinov und Vladislav Mikholap als politische Gefangene anerkennt werden und

fordern:

  • Die sofortige Freilassung von A. Vasilevich, L. Vlasova, Yu. Shardyko, D. Rabtsevich, V. Kuvshinov, V. Mikholap aus der Haft;
  • ein sofortiges Aufhören der Repressionen gegen die Bürger sowie die Freilassung aller politischen Gefangenen;

Menschenrechtszentrum Viasna“;

Initiativgruppe Identität und Recht“;

Belarussisches Dokumentationszentrum;

Einfache Partnerschaft FORB-Initiative;

Zentrum für rechtliche Transformation Lawtrend;

RPO Legal Initiative“;

Belarussisches PEN-Zentrum;

Beratungszentrum Human Constanta“ für aktuelle internationale Praktiken und deren Umsetzung in das Gesetz;

Amt für die Rechte von Menschen mit Behinderungen;

RPOO Belarusian Helsinki Committee“;

Das belarussische Menschenrechtshaus von Boris Zvozskov.