Belarus Daily | 9. Dez

Misshandlungen und Folter in Belarus werden von der litauischen Staatsanwaltschaft untersucht, Journalisten werden im Gefängnis festgehalten, Belarus schließt die Landesgrenze für die Ausreise von Bürgern

9. Dezember 2020 | BYHelp-Mediagroup
Wie belarusische Kinder die Proteste sehen.
Source: Charta 97

Die litauische Staatsanwaltschaft untersucht einen Misshandlungsfall auf einer Polizeiwache in Minsk

Die litauische Generalstaatsanwaltschaft beginnt eine Voruntersuchung einer Gewalttat gegen einen belarusischen Staatsbürger durch belarusische Sicherheitskräfte auf der Grundlage der universellen Gerichtsbarkeit. Der entsprechende Antrag wurde mit Unterstützung des Teams von Swetlana Tichanowskaja eingereicht.

Es geht um Maxim Haroschyn, der während seines Aufenthalts auf der Polizeiwache geschlagen wurde, danach mit zahlreichen Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert wurde und aus Angst um sich und seine Angehörigen gezwungen war, Belarus zu verlassen.

Die Umstände, die der Belaruse schilderte sowie andere der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stehende Primärdaten seien ausreichend, um die universelle Gerichtsbarkeit in diesem Fall anzuwenden. In einem solchen Fall spielt der Ort des Verbrechens sowie die Staatsbürgerschaft der Opfer und der Verdächtigen keine Rolle.

Das Team von Tichanowskaja plant, solche Ermittlungen in ähnlichen Fällen in jenen Ländern einzuleiten, in denen Belarusen Zuflucht suchen mussten, die, nach eigenen Angaben, Gewalt durch belarusische Sicherheitskräfte erlitten hatten.

Daraufhin hat die belarusische Generalstaatsanwaltschaft die litauischen Kollegen scharf angegriffen. Die Erklärung der belarusischen Generalstaatsanwaltschaft soll die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass die Litauer anfängen, sich unangemessen in die inneren Angelegenheiten von Belarus einzumischen.

Genau darin besteht jedoch das Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit. Seit den Nürnberger Prozessen und ihren Urteilen im Jahr 1946 wird angenommen, dass einige schwerwiegende Verbrechen als so schwerwiegend gelten, dass sie die gesamte Menschheit betreffen und den Frieden und die Sicherheit aller Staaten gefährden. Deshalb bekommt jeder Staat das Recht, diejenigen, die sie begehen, unabhängig von der Staatsbürgerschaft und dem Ort des Verbrechens strafrechtlich zu verfolgen. 

Der Grundsatz der universellen Gerichtsbarkeit ist auch im belarusischen Strafgesetzbuch festgelegt. Es sei daran erinnert, dass laut dem veröffentlichten OSZE-Bericht eine große Anzahl von Belarusen der systematischen und groß angelegten Anwendung von Misshandlung und Folter ausgesetzt ist.

Belarusen werden ihr Land nicht verlassen dürfen: Behörden schließen die Landesgrenzen für Ausreise auf dem Landweg

Belarus führt ein vorübergehendes Verbot ein, das Land über Bodenkontrollpunkte zu verlassen. Flüge aus Belarus wird es weiterhin geben.

Der offizielle Grund ist laut Behörden die Verbreitung des Corona-Virus. Dieser Schritt wird jedoch als politisch motiviert angesehen, da Lukaschenko Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 stets als „Psychose“ bezeichnet hat.

Im März, als die erste Welle von COVID-19 begann, erklärte Lukaschenko: „Viele Länder haben ihr Territorium für Ausländer geschlossen. Fünf Nachbarländer von Belarus haben das getan. Das ist absoluter Unsinn und nicht von dieser Welt. Und das wurde bereits bestätigt.“

Swetlana Tichanowskaja reagierte auf diese Maßnahme mit folgendem Kommentar:

„Ab dem 21. Dezember wird den Bürgern verboten, Belarus auf Landweg zu verlassen. Während der letzten 26 Jahre hat Lukaschenko Belarus mit seinen massiven, offenen Repressionen, seinem Terror und jetzt auch mit dem Eisernen Vorhang in die Tage des Stalinismus zurückgebracht. Das Regime tut alles, um unser Land in ein modernes GULAG, in ein riesiges Gefängnis, zu verwandeln, in dem Angst und Gewalt herrschen. Er hat Angst vor Öffentlichkeit und Gerechtigkeit und hofft, dass geschlossene Grenzen helfen werden, alle seine Verbrechen zu verbergen. Aber ich bin mir sicher: Den Willen des belarussischen Volkes kann man hinter der geschlossenen Grenze weder verbergen noch verheimlichen.“

Journalisten werden in Gefängnissen eingesperrt und ungestraft geschlagen, Websites werden geschlossen

Ein Gericht in einem der Stadtteile von Minsk prüfte die Beschwerde des Anwalts von Kazjaryna Barysewitsch. Die Beschwerde enthielt Argumente, warum die Journalistin nicht in Gewahrsam gehalten werden sollte. Zur Erinnerung: Die Journalistin Kazjaryna Barysewitsch und der Arzt Artjom Sorokin werden beschuldigt, ein medizinisches Geheimnis preisgegeben zu haben, als sie sagten, Raman Bandarenka, der wegen weiß-rot-weißer Bändchen zu Tode geprügelt wurde, sei nüchtern gewesen. Die Behörden wenden gegenüber der Journalistin und dem Arzt härtestes Strafmaß an, obwohl sie minderjährige Kinder haben. Kazjaryna zieht ihre Tochter alleine auf. Richterin Tazzjana Akawitaja entschied jedoch, die Beschwerde zurückzuweisen.

Gleichzeitig weigerte sich der Untersuchungsausschuss, ein Strafverfahren gegen die Polizisten einzuleiten, die einem Journalisten die Nase gebrochen hatten. Der Radio-Svaboda-Journalist Anton Trafimowitsch wurde am 15. Juli verletzt. Nach einer Live-Übertragung wurde er in der Nähe des Gebäudes der Zentralen Wahlkommission festgenommen. Sieben Bereitschaftspolizisten sprangen aus einem Kleinbus, legten dem Journalisten Handschellen an und zwangen ihn auf die Knie, sie steckten ihm eine Faust in den Mund, damit er nicht schreit, und brachen ihm die Nase. Die Ärzte stellten eine Fraktur fest und nähten die Wunde. Fast fünf Monate später entschied der Untersuchungsausschuss, dass der Tatbestand nicht erfüllt war.

Die belarusischen Behörden blockieren zwei Websites: KYKY.org und das Projekt „Unified Crime Registration Book“ (UCRB). Der Grund für die Sperrung ist noch unbekannt. Zuvor wurde die Website mediazona.by gesperrt.

Kazjaryna Barysewitsch.
Source: TYT.BY
Anton Trafimowitsch.
Source: TUT.BY

Die Belarusen erfinden einen neuen Trend bei den Protesten: weiß-rot-weiße Fahnen werden auf die eisige Oberfläche von Gewässern gemalt

Source: TUT.BY

Auf mehreren Gewässern der Hauptstadt erschienen weiß-rot-weiße Flaggen. Kommunaldienste sind sofort vor Ort, um irgendwie die Flaggen zu entfernen.

An sich ist dies im Einklang mit dem Kampf, den die Behörden neuerdings gegen inoffizielle Symbole führen: Farbigen Papiersätze zum Basteln für Kinder enthalten keine roten Blätter mehr. Die Polizei überwacht die Farben von Girlanden an den Wohnungsfenstern, sechs Filialen einer großen Einzelhandelskette werden geschlossen, weil am Eingang die rot-grüne Flagge fehlt.

Source: TUT.BY

Der erste Ministerpräsident des unabhängigen Belarus Wjatschaslau Kebitsch ist tot

Von 1990 bis 1994 war Kebitsch der erste belarusische Ministerpräsident. 

Bei den ersten Präsidentschaftswahlen war er der Hauptgegner von Alexander Lukaschenko, dem er in der zweiten Runde unterlag. 1994 gründete Kebitsch die belarusische Handels- und Finanzunion, die er in den letzten Jahren leitete. Von 1996 bis 2004 war er Mitglied des Repräsentantenhauses.

„Meine beste Erinnerung ist, wie ich Gott sei Dank aufgehört habe, das Land zu führen“, sagte Wjatschaslau Kebitsch im Jahr 2014. „Staatsoberhaupt zu sein, das ist eine Strafe. Das bedeutet, dass man keine Freizeit und keine Hobbys haben kann und jeden Tag von morgens bis spät abends arbeitet.“ Wjatschaslau Kebitsch wurde 84 Jahre alt.

Wjatschaslau Kebitsch.
Source: TUT.BY

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