Prozess gegen Arzjom Sarokin und Kazjaryna Barysewitsch plötzlich nicht öffentlich; Anwält*innen von politischen Gefangenen Zulassung entzogen; Regierung: Taraikouski selbst für seinen Tod verantwortlich; Mordzeuge bekommt 10 Jahre Gefängnis, Mörder tritt als Opfer vor Gericht auf
19. Februar 2021 | Voice of Belarus
Öffentlichkeit von Prozess gegen Arzjom Sarokin und Kazjaryna Barysewitsch ausgeschlossen; Sogar Raman Bandarenkas Mutter wurde aufgefordert zu gehen
Heute begann der Prozess gegen die TUT.BY-Journalistin Kazjaryna Barysewitsch und den Arzt Arzjom Sarokin. Der Arzt und die Journalistin müssen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren rechnen. Der Grund für das Strafverfahren ist die Publikation der Journalistin, in der sie die Aussage des Arztes über die Abwesenheit von Alkohol im Blut des zu Tode geprügelten Raman Bandarenka zitiert. Aber die Behörden behaupten, Raman Bandarenka sei betrunken gewesen. Die Veröffentlichung der Ergebnisse des Gutachtens, das diese Behauptung widerlegt, wurde von der Staatsanwaltschaft als Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht eingestuft, obwohl Bandarenkas Angehörige keinerlei Einwände gegen die Bekanntgabe der Daten haben. Während des Prozesses entschied der Richter, dass der Fall hinter verschlossenen Türen verhandelt werden soll. Dies bedeutet, dass die Öffentlichkeit nicht in der Lage sein wird, die Wahrheit darüber herauszufinden, was genau das Verbrechen der Journalistin und des Arztes ist, die die Wahrheit über den Zustand von Raman Bandarenka gesagt haben. Die Anwesenden quittierten die Entscheidung des Gericht über den Ausschluss der Öffentlichkeit mit „Schande!“-Rufen. Journalist*innen aus nichtstaatlichen Medien wurde die Akkreditierung für den Prozess verweigert, belarusischen staatlichen Stellen und mehreren russischen Agenturen wurde die Möglichkeit gegeben, im Gerichtssaal zu arbeiten. Ungefähr 200 Menschen kamen, um die Angeklagten zu unterstützen, darunter Verwandte und Kollegen der Angeklagten, die Mutter von Raman Bandarenka Alena und Mitarbeiter*innen der US-amerikanischen, deutschen und französischen Botschaft sowie der EU-Delegation in Belarus. „Natürlich gehe ich davon aus, in die Gerichtsverhandlung zu gelangen, deshalb bin ich hier. Ich glaube, dass Kazjaryna und Doktor Sarokin keine Verletzung begangen haben, die Erlaubnis wurde von mir gegeben. Als optimistische Person hoffe ich, dass die Gerechtigkeit siegen wird. Obwohl es, wie die Praxis der Rechtsprechung, besonders in den letzten Tagen zeigt, hier keine Gerechtigkeit gibt“, sagte Ramans Mutter, Alena Bandarenka. Ärzte aus dem Notfallkrankenhaus und anderen Krankenhäusern sind zutiefst empört über den Prozess gegen ihren Kollegen. „Es fühlt sich an, als ob uns niemand braucht, unabhängig von unserer Erfahrung, unserem Wissen und unserer Qualifikation“, sagen die Ärzte.
Er selbst ist schuld an seinem Tod: Kein Strafverfahren wegen Taraikouskis Tötung
Der Ermittlungsausschuss von Belarus lehnt eine Ermittlung zum Mord an Aljaxandr Taraikouski ab, der am 10. August 2020 bei einem Protest von Sicherheitskräften erschossen wurde. Vertreter des Untersuchungsausschusses gaben an, dass er selbst für seinen Tod verantwortlich sei, weil er angeblich Sicherheitskräfte provoziert habe. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses von Belarus Iwan Noskewitsch sagte dass Taraikouski alkoholisiert gewesen sei. Er habe sich von der Menge der Demonstrant*innen getrennt, zahlreiche Warnungen von Polizeibeamten ignoriert und sei auf sie zugegangen. Die Sicherheitskräfte hätten darin eine echte Bedrohung für Leib und Leben gesehen. Sie hätten nichttödliche Waffen abgefeuert, um den Demonstranten aufzuhalten. Aufgrund einer Reihe von Zufällen erwies sich eine der Verletzungen als tödlich. Aljaxandr Taraikouski starb sofort am Tatort. Nach den Worten von Aljaxandrs Lebensgefährtin, war er, als er das Haus verließ, nüchtern. Ihr sei nichts davon gesagt worden, dass er betrunken gewesen sei. Sie ist sich sicher, dass früher oder später Gerechtigkeit kommen wird und dass diejenigen, die für Aljaxandrs Tod verantwortlich sind, bestraft werden.
Zeuge des Mordes an Hennads Schutau soll für 10 Jahre ins Gefängnis
Am 11. August 2020 wurde Hennads Schutau in Brest erschossen. Neben ihm war sein Freund Aljaxandr Kardsjukou. Jetzt wird er des versuchten Mordes an einem Soldaten beschuldigt.
Am ersten Prozesstag, den 16. Februar 2021, wurde der Name des Soldaten genannt, der Schutau getötet hat. Tatsächlich trat Raman Haurylau bei diesem Prozess als Geschädigter auf.
Der Staatsanwalt beantragt, Kardsjukou zu 10 Jahren Gefängnis zu verurteilen und den ermordeten Schutau posthum ohne Verhängung einer Strafe für schuldig zu erklären. Laut Ermittlung wollte Kardsjukou den Soldaten angeblich mit einem Metallrohr töten. Videoaufnahmen der Überwachungskameras zeigen jedoch, dass Kardsjukou niemanden damit angreift. Als es zu einer Auseinandersetzung kam, fiel Kardsjukou und berührte den Soldaten mit dem Rohr am Oberschenkel. Dann richteten Soldaten Pistolen auf Schutau und Kardsjukou. Nach dem ersten Schuss versuchte Schutau wegzulaufen, woraufhin er am Kopf tödlich verletzt wurde. Aljaxandr Kardsjukou betonte, dass er nicht gewusst habe, wer die Soldaten wirklich waren. An diesem Tag waren sie in Zivil gekleidet, ihre Pistolen steckten in Gürteltaschen. Die Beteiligung der Armee an der Auflösung friedlicher Demonstrationen ist nach dem Recht der Republik Belarus nicht zulässig. Dies ist nicht das erste Mal, dass sich die belarusischen Behörden geweigert haben, Verfahren wegen Tötungen von Protestteilnehmern durch Sicherheitskräfte einzuleiten.
Verteidigerin von Maria Kolesnikowa und drei ihrer Kollegen ohne Zulassung
Der Strafverteidigerin von Maria Kolesnikowa der Anwaltin Ljudmila Kasak, sowie den bekannten Anwälten Konstantin Michel, Michail Kiriljuk und Maxim Konon wurde wegen angeblicher Ordnungswidrigkeiten die antwaltliche Zulassung entzogen.
Am 24. September 2020 wurde Ljudmila Kasak direkt von der Straße entführt und zur Polizei gebracht, wo eine Leibesvisitation durchgeführt wurde. Sie verbrachte die Nacht im Untersuchungsgefängnis in der Akreszina-Gasse, und das Gericht befand sie für schuldig, während ihrer Festnahme den Aufforderungen der Polizisten nicht Folge geleistet zu haben. Hinsichtlich Michel und Konon wird ihre Teilnahme an friedlichen Kundgebungen als Ordnungswidrigkeit ausgelegt. Dem Anwalt Michail Kiriljuk wurde die Zulassung entzogen, weil er im Internet öffentliche Erklärungen gegenüber Regierungsbeamten veröffentlicht hatte. Vertreter*innen der Anwaltsvereinigung sind der Ansicht, dass die Festnahme Ljudmila Kasaks und die Feststellung einer Ordnungswidrigkeit ausschließlich mit ihrer anwaltlichen Tätigkeit zusammenhängt, mit der Arbeit an hochrangigen Fällen, insbesondere dem Fall von Maria Kolesnikowa. Sie ist die vierte Anwältin von Maria Kolesnikowa, die wegen ihrer Aktivitäten Repressalien ausgesetzt ist: Ilja Salei steht unter Hausarrest, Maxim Znak befindet sich in Haft, Alexander Pyltschenko wurde seine Zulassung entzogen.
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