29. Oktober 2020, 9:41 | TUT.BY
Die dreimalige Olympiasiegerin und belarusische Schwimmerin Aljaksandra Herasimenja spricht in einem Interview mit dem russischen Nachrichtendienst RBK über die Verfolgung von Sportler*innen in ihrem Heimatland, darüber wie sie den Kampf dagegen unterstützt und darüber, weshalb sie das Land verlassen hat. Im Folgenden ausgewählte Auszüge aus dem Interview.
Mitte Oktober zog Herasimenja nach Vilnius um und übernahm die Leitung der Belarusischen Stiftung für Sportsolidarität.
Was macht Ihre Organisation?
Wir helfen Sportler*innen, die aufgrund der aktuellen Situation nicht trainieren können und Gefahr laufen, die Olympischen Spiele zu verpassen, weil sie sich nicht qualifizieren können.
Werden Sie von ausländischen Sportler*nnen unterstützt?
Ja, wir haben eine Menge Unterstützung. Polnische Athleten waren die ersten, die uns unterstützt haben. Als Alena Leutschanka verhaftet wurde bekam sie von vielen Basketballspielerinnen aus der ganzen Welt Unterstützung.
Darüber, wie unser Stiftung die Unterstützung leistet, wissen aus offensichtlichen Gründen nur wenige Menschen Bescheid. Unsere Organisation wurde erst vor kurzem gegründet und eine der Aufgaben besteht darin, der Welt von uns zu erzählen.
Viele ausländische Sportler*nnen sind erstaunt, wenn wir ihnen über das Geschehen in unserem Land erzählen. Selbst Menschen, die nicht weit von unserem Land entfernt, leben wissen so gut wie nichts über die Situation in Belarus.
Nach der Verhaftung von Leutschanka richteten Sportler*innen ein Schreiben an das IOC mit der Bitte, Sanktionen gegen das Nationale Olympische Komitee (NOK) von Belarus zu verhängen. Unter welcher Flagge werden dann die belarusischen Athleten bei den Wettkämpfen auftreten?
Unter einer neutralen, denn unter der rot-weißen wird es mit Sicherheit nicht möglich sein. Wir haben einen Brief an das IOC geschickt, um es über die Probleme der Sportler*innen in unserem Land in Kenntnis zu setzen.
Werden Sie sich mit ähnlichen Appellen an andere internationale Sportverbände wenden?
Wir werden alles tun, damit belarusische Sportler*innen ungeachtet ihrer politischen Ansichten auftreten können.
Aus welchen Mitteln finanziert sich die Stiftung?
Das sind Spenden von Bürgern und Bürgerinnen, auch von Bürger*innen anderer Länder. Wir werden ebenfalls von belarusischen IT-Firmen unterstützt. In naher Zukunft planen wir eine Crowdfunding-Kampagne, um bestimmte Sportler und Sportlerinnen gezielt zu unterstützen.
Haben Sie Belarus aufgrund von Druck seitens Regierung verlassen?
Natürlich. Ich glaube, wäre ich im Land geblieben, wärde ich kurz nachdem ich zur Leiterin der Stiftung ernannt wurde, verhaftet worden. Leider gelten in unserem Land derzeit die Gesetze nicht und die Rechte werden nicht respektiert.
Wie lange haben Sie über die Entscheidung, die Leitung der Stiftung zu übernehmen, nachgedacht? Die derzeitige Situation im Land kann noch lange andauern.
Nicht lange, ich habe die Entscheidung innerhalb von 24 Stunden getroffen. Natürlich habe ich gründlich überlegt und alle Pro und Kontras abgewogen. Das Geschehen im Land schärft das Verständnis, dass man nicht untätig herumsitzen und warten darf, bis sich alles normalisiert hat, sondern dass man etwas dafür tun muss.
Ich hatte nicht vor, mich in die Politik einzumischen. Ich möchte einfach meiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen, und zwar Kinder trainieren. Aber im Moment habe ich diese Möglichkeit nicht. Wir sind gezwungen, auf die Straße zu gehen, und uns mit Politik zu beschäftigen.
Wissen Sie, die Menschen auf den Straßen haben uns Worte des Dankes gesagt, dafür dass wir, Sportler*innen, uns nicht scheuen, unsere Ansichten über die Regierung über das, was geschieht, zum Ausdruck zu bringen. Aber ich möchte diesen Menschen danken, denn wenn sie nicht auf die Straße gegangen wären, wäre das nichts passiert.
Wie lange glauben Sie, dass Sie in das Land zurückkehren können und ob dies unter Lukaschenko geschehen kann?
Wir alle glauben an den Sieg, wir alle glauben, dass dies alles enden wird. Die Frage ist nur, wie lange es dauern wird. Ich verstehe, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht mehr zurückkommen kann. Ich verstehe, dass ich, wenn ich jetzt zurückkehren würde, wahrscheinlich im Gefängnis landen würde, weil das
Rechtssystem im Land nicht funktioniert. Aber ich glaube, dass dies alles bald vorbei sein wird und ich in ein paar Monaten wieder zu Hause sein werde.
Viele Athleten haben aus Furcht von Konsequenzen seitens nationalen Sportverbände und Vereine immer noch keine Stellung bezogen?
Ich kann nicht für andere sprechen, die sich nicht geäußert haben. Ich bin sicher, sie haben gute Gründe. Aber die meisten, mit denen ich gesprochen habe, haben sich solidarisch gezeigt und haben uns unterstützt. Gleichzeitig betonen die Sportler*innen, dass sie ihre Familie ernähren und sich weiterhin auf die Wettkämpfe vorbereiten müssen.
Natürlich ist dies ein sehr schwieriges Jahr für alle Athlet*innen, insbesondere für die Vertreter*innen olympischer Disziplinen. Die Olympischen Spiele finden nur alle vier Jahre statt. Wenn man die Verlegung der Olympischen Spiele in Tokio ins Jahr 2021 berücksichtigt, können die kommenden Spiele für einige Athleten die letzten sein. Selbstverständlich wollen sie nicht die Gelegenheit verpassen, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Sie machen sich Sorgen um ihre sportliche Laufbahn, befürchten, dass sie ohne finanzielle Mittel das Training nicht fortsetzen können.
Was halten Sie von Star-Athleten, die sich weigern, ihre Position öffentlich zu machen?
Ich denke, dass sie ihre eigenen Gründe dafür haben, dass sie ihre Position nicht öffentlich aussprechen. Ich bin mir sicher, dass dieser Grund sie in Belarus hält. Ich kann nicht für alle antworten, jeder trifft seine eigene Wahl. Sie haben ihre Entscheidung getroffen.