25. Dezember 2020, 15:59 | Aliaxei Znatkevitsch, Radio Svaboda
David J. Kramer, Forscher an der International University of Florida und ehemaliger Assistant Secretary of State in der Regierung von George W. Bush, im Interview mit Radio Svaboda.
Er erklärt, wie der „Belarus Democracy, Human Rights, and Sovereignty Act“ (Gesetz über Demokratie, Menschenrechte und Souveränität von Belarus) funktionieren soll, worüber die Vereinigten Staaten Moskau warnen sollten und wie man die belarusischen Sicherheitskräfte ermutigen könnte, kriminellen Anordnungen nicht Folge zu leisten.
Am 21. Dezember verabschiedete der US-Senat den „Belarus Democracy, Human Rights, and Sovereignty Act 2020“. Dieser Gesetzentwurf erweitert die Befugnisse des US-Präsidenten, neue Sanktionen gegen das Regime in Belarus zu verhängen. Begründet wird das Gesetz mit den Fälschungen bei den Präsidentenwahlen im August und der darauffolgenden Gewalt seitens der Staatsmacht gegen die friedlich protestierenden Bürger und Zivilgesellschaft. Damit das Gesetz in Kraft tritt, benötigt man noch die Unterschrift des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Erwarten Sie, dass Präsident Donald Trump den Gesetzentwurf bald absegnet, oder wird es schon die neue Regierung von Joe Biden tun?
Natürlich hoffe ich, dass Präsident Trump diesen Gesetzentwurf unterzeichnen wird, obwohl es eine neue Verzögerung gibt. Es wurde bereits berichtet, dass der Präsident mit einem Veto gegen das gesamte Gesetzespaket einschließlich des Belarus-Democracy-Acts droht. Dies wäre nicht nur für das belarusische Volk ein großes Problem (denn ich glaube, dass dieses Gesetz für das belarusische Volk äußerst wichtig ist), sondern auch für das amerikanische Volk. Denn dieses Paket der Gesetzesentwürfe enthält auch Hilfsmaßnahmen für Menschen während der aktuellen schrecklichen Pandemie.
Wenn Präsident Trump sein Veto einlegt, kann der Kongress es außer Kraft setzen, aber es wird wahrscheinlich erst Anfang nächsten Jahres geschehen. Die Verzögerung wird für viele Menschen ärgerlich sein, einschließlich des US-Militärs, des amerikanischen und des belarusischen Volkes. Ich hoffe also, dass der Präsident dieses Paket unterzeichnen wird und dass er mit seiner Drohung, ein Veto einzulegen, einfach nur blufft.
Ähnliche Gesetzentwürfe gab es schon in den Jahren 2004, 2006 und 2011. Sie wurden wie diesmal vom Kongressabgeordneten Christopher Smith initiiert. Haben sich diese Ihrer Meinung nach positiv auf die Situation in Belarus ausgewirkt?
Mit Sicherheit. Und ich glaube, dass der Kongressabgeordnete Smith eine große Anerkennung für die kontinuierliche Unterstützung des belarusischen Volkes durch diese Gesetzentwürfe verdient. Sie richten sich gegen diejenigen, die Wahlbetrug organisieren und Menschenrechte verletzen, bieten aber gleichzeitig die notwendige Unterstützung für die Zivilgesellschaft, Aktivisten und andere Menschen, die versuchen, sich dem Regime und dem Druck von außen zu widerstehen.
Dies ist ein äußerst wichtiger Gesetzentwurf. Und gerade deshalb unterstützen den Belarus-Democracy-Act nicht nur die Menschen in Belarus selbst, sondern auch diejenigen, die gezwungen worden waren, das Land zu verlassen, und möchten, dass er vom Kongress verabschiedet und hoffentlich vom Präsidenten unterzeichnet wird.
Wie würden Sie den „Belarus Democracy, Human Rights, and Sovereignty Act 2020“ im Vergleich zu den früheren Versionen des Gesetzentwurfs bewerten? Unterscheidet er sich in irgendwelchen wichtigen Punkten?
Er unterscheidet sich in dem Sinne, dass er meiner Meinung nach die schlimmsten Wahlen in Belarus widerspiegelt. Belarus hatte bereits eine Reihe schrecklicher Wahlen, aber diese waren die schlimmsten von allen. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass Lukaschenko die Wahl verlor und Swetlana Tichanowskaja die legitime Wahlsiegerin war. Und dann sahen wir die schlimmste Gewalt in der Geschichte von Belarus seit der Unabhängigkeitserklärung im Jahre 1991. In der Vergangenheit gab es auch Fälle von Gewalt, unter anderem als in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren die Menschen verschwanden, aber die derzeitige Gewaltwelle ist für Belarus beispiellos.
Dies verdeutlicht, dass der einzige Weg für Lukaschenko, an der Macht zu bleiben, darin besteht, enorme Gewalt anzuwenden. Ich hoffe, die Sicherheitskräfte erkennen, dass sie einen illegitimen Führer verteidigen, der allmählich an Unterstützung verliert.
Wenn wir über die Unterschiede sprechen, so liegt der Schwerpunkt diesmal etwas mehr auf der russischen Unterstützung, den Aspekten der belarusisch-russischen Union und bei russischen Akteuren, die Repressalien und (Wahl)Fälschung befürworten oder sogar an der staatlichen Propaganda teilnehmen. Manche Journalisten und Moderatoren des belarusischen Staatsfernsehens beschlossen zu kündigen, und wir sahen, wie die Mitarbeiter des russischen Senders Russia Today erschienen, um für Lukaschenko die schmutzige Propagandaarbeit zu erledigen.
Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass das neue Gesetz helfen soll, Desinformations- und Überwachungstechnologien entgegenzuwirken. Dies ist im Vergleich zu früheren Versionen relativ neu. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Unterstützung der Arbeit von Frauen, die sich in Belarus für Demokratie und Menschenrechte einsetzen. Weil wir gesehen haben, wie Frauen hervortraten und die Initiative im aktuellen Widerstand gegen das Lukaschenko-Regime ergriffen.
Sehen Sie irgendwelche Fehler in der Umsetzung dieser Dokumente durch frühere US-Regierungen?
Nun, dieses Thema ist für mich kein neues Terrain, denn als die früheren Fassungen des Gesetzes in den Jahren 2004 und 2006, zumindest 2006, verabschiedet wurden, war ich als stellvertretender US Assistant Secretary für europäische und eurasische Angelegenheiten zuständig. Und ich war verantwortlich für die Angelegenheiten, die Belarus betreffen. Ich habe persönlich eine Rolle bei der Verhängung von Sanktionen gespielt und eng mit vielen Kollegen im Außenministerium und im Finanzministerium zusammengearbeitet. Diese Zusammenarbeit zwischen dem Außenministerium und dem Finanzministerium war sehr wichtig.
Es ist auch wichtig zu betonen, dass wir sehr eng mit unseren europäischen Verbündeten zusammengearbeitet haben. Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten haben die Verhängung von Sanktionen gut abgestimmt.
Mir scheint, dass hier vieles von der Staatsführung abhängt. Zu dieser Zeit hatten wir die Unterstützung von Präsident George W. Bush und von Außenministerin Condoleezza Rice, um eine harte Linie gegen Präsident Lukaschenko zu verfolgen. Und der „Belarus-Democracy-Act“ hat uns bei dieser Arbeit sehr geholfen. Es scheint mir, dass George Kent, der heute meinen damaligen Posten als stellvertretender Assistant Secretary of State innehat, und Steve Biegun, ebenso ein Assistant Secretary of State, heute hervorragende Arbeit leisten. Beide besuchten die Region, waren in Vilnius, trafen sich mit Swetlana Tichanowskaja und besuchten danach auch Moskau. Ich begrüße ihre Bemühungen aufrichtig. Leider zeigte weder Außenminister Pompeo großes Interesse an den Geschehnissen in Belarus, noch sagte Präsident Trump überhaupt etwas darüber.
Deswegen denke ich, dass wir es mit einer anderen politischen Situation in den Vereinigten Staaten zu tun haben, was die Maßnahmen auf hoher Ebene betrifft, die ergriffen werden müssen. Gerade deshalb ist der vom Kongress verabschiedete „Belarus Democraty Act“ so wichtig. Er spiegelt die Unterstützung durch beide Parteien wider (und Sie wissen, dass dies in den Vereinigten Staaten derzeit eine Seltenheit ist). Es ist eine Unterstützung für die Menschen in Belarus und für den Widerstand gegen das, was das Lukaschenko-Regime anrichtet.
Erwarten Sie, dass die neue Administration von Joe Biden die in diesem Gesetz festgelegten Maßnahmen aktiv nutzen wird?
Ja, ich denke schon. Als Joe Biden Kandidat war und später zum Präsidenten gewählt wurde, machte er deutlich, dass Demokratie und Menschenrechte ein zentraler Aspekt seiner Außenpolitik sein würden. Er plant einen Gipfel zur Unterstützung der Demokratie abzuhalten – vielleicht nächstes Jahr oder möglicherweise 2022, das hängt von der Situation mit der Coronavirus-Pandemie ab. Er kennt auch diese Region sehr gut und kümmert sich darum. Als ehemaliger Vorsitzender des Senatsausschusses für auswärtige Beziehungen und als ehemaliger Vizepräsident verfügt er über umfangreiche Erfahrung in diesem Teil der Welt.
Und seine Personenwahl für die Schlüsselpositionen in der Außenpolitik, darunter Tony Blinken als Außenminister und Jake Sullivan als nationaler Sicherheitsberater, zeigt, dass er Demokratie und Menschenrechte zu wichtigen Prioritäten machen wird. Autoritäre Regime, wie das grausame Regime, das wir in Minsk sehen, werden nicht toleriert. Ich habe also Hoffnung und Optimismus hinsichtlich der Änderungen in der Verwaltung. Auch hier möchte ich die Bemühungen von George Kent und Steve Biegun nicht herunterspielen, ich wertschätze ihre harte Arbeit. Aber sie brauchen Unterstützung auf höchster Ebene, und ich denke, die Biden-Administration wird dies tun.
Das Gesetz erwähnt die Rolle des russischen Präsidenten Wladimir Putin bei der Unterstützung des Lukaschenko-Regimes. Erwarten Sie, dass Belarus relativ weit oben auf der Tagesordnung der Verhandlungen zwischen der neuen US-Regierung und dem russischen Staat stehen wird?
Ja, ich erwarte es wirklich, denn die Situation bleibt offen, was dem belarusischen Volk zu verdanken ist, das weiterhin auf die Straße geht und sich einem hohen Risiko aussetzt, geschlagen, verhaftet, gefoltert und in einigen Fällen leider sogar getötet zu werden. Es scheint mir, dass die Menschen in Belarus dieses Thema ständig vor unseren Augen halten. Und wir müssen Moskau warnen, dass jede Einmischung sehr schwerwiegende Folgen haben wird.
Wir müssen klarstellen, dass das belarusische Volk das Recht hat, selbst zu entscheiden, wer es anführen wird, und dass die Unterstützung Russlands für Lukaschenko auch Konsequenzen haben wird, wie aus dem Gesetz über die Souveränität von Belarus hervorgeht.
Ich glaube, dass dies auf der Tagesordnung stehen sollte, aber es sollte auch klargestellt werden: Moskau und Washington dürfen nichts in Bezug auf Belarus vereinbaren, ohne dass Belarus daran beteiligt ist. Belarus soll bei allen Verhandlungen, bei allen Diskussionen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland oder der Europäischen Union und Russland, die es betreffen, mitbestimmen können. Wir dürfen die Figuren nicht auf dem Schachbrett bewegen und Belarus beiseite lassen.
Ich denke, dass dies ein wichtiges Thema für die neue Verwaltung ist, jedoch muss man auch realistisch sein. Die neue Regierung wird mit einer Pandemie, einer sehr schwachen Wirtschaft und vielen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Polarisierung der amerikanischen Politik konfrontiert sein. Es kann also einige Zeit dauern, bis man sich darauf fokussiert. Genau aus diesem Grund bildet Präsident Biden ein starkes Team, das Verantwortung übernimmt, während er sich möglicherweise mit anderen wichtigen und dringenden Fragen befassen muss.
Sie haben bereits gesagt, dass Belarus eine Rolle spielen muss und Mitspracherecht in jedem Abkommen, das es betrifft, haben muss, zum Beispiel zwischen den Vereinigten Staaten und Russland. Das Gesetz erwähnt Swetlana Tichanowskaja und den Koordinierungsrat als eine legitime Institution im Dialog über den friedlichen Machttransfer. Wenn wir über die Stimme von Belarus sprechen, sollte es die Stimme des Koordinierungsrates und die von Tichanowskaja sein?
Ich denke, in der Übergangszeit – ja. Sie hat erklärt, sie sei nur eine Übergangsfigur, dass sie Neuwahlen ankündigen und selbst bei diesen Wahlen nicht kandidieren würde. Aber ich glaube, dass sie mangels anderer Machtzentren eine solche Funktion übernimmt. Ich glaube, dass der Westen den Koordinierungsrat und Tichanowskaja stärken sollte.
Meines Erachtens repräsentiert sie die demokratische Bewegung in Belarus. Ihr Mann und andere Personen durften sich für die Wahlen nicht registrieren lassen, einige von Ihnen wurden ins Gefängnis geworfen. Sie hatte den Mut, ihren Platz einzunehmen. Und wie ich vorher gesagt habe, hat sie laut einer Reihe von Meinungsumfragen möglicherweise die Wahl gewonnen.
Mangels anderer Personen, ist sie diejenige, auf die man sich während der Übergangszeit konzentrieren muss, bis Lukaschenko entmachtet wird und Belarus die freien Wahlen abhalten kann, die die Regeln der OSZE und des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte erfüllen würden. Diese Regeln setzen den Maßstab für die ganze Region.
Sie haben bereits erwähnt, dass zum ersten Mal das Wort „Souveränität“ im Titel des neuen Gesetzentwurfs enthalten ist. Über welche Instrumente verfügen die Vereinigten Staaten, um Russland, ich zitiere, „von der Bedrohung der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität von Belarus“ abzuhalten, wie es im Gesetz festgelegt ist?
Ich denke, dass die Vereinigten Staaten und die Europäische Union gemeinsam sehr deutlich machen können, dass gegen Russland umfangreiche Sanktionen verhängt werden, die nicht nur gegen Einzelpersonen, sondern auch gegen Banken und andere Organisationen gerichtet werden. Dies könnte zum Ausschluss aus dem Europarat führen, was für Russland möglicherweise keine so große Strafe darstellt. Es wurde bereits nach der Invasion in die Ukraine ausgewiesen, durfte dann aber zurückkehren, obwohl einige Länder gegen diese Rückkehr protestierten.
Dies könnte auch zur Bewegung der NATO-Streitkräfte an die Grenze zu Russland führen. Natürlich rufe ich nicht zur militärischen Konfrontation mit Russland wegen Belarus auf. Wir werden keine Truppen nach Belarus schicken.
Eine andere Sache, die der Kreml verstehen muss, ist dass Belarus in der jüngeren Vergangenheit entweder pro-russisch oder neutral gegenüber Russland war. Aber wenn Putin das belarusische Volk gegen Russland wenden will, kann er Truppen entsenden, um entweder Lukaschenko zu unterstützen oder jemanden an seine Stelle zu setzen.
Dies ist kein Wettbewerb zwischen dem Westen und Russland. Die Menschen in Belarus müssen das Recht und die Möglichkeit haben, ihre eigene Führung frei zu wählen und ihre eigene Zukunft zu bestimmen. Die Möglichkeit eines Beitritts zu NATO oder zur Europäischen Union soll nicht ausgeschlossen werden, aber wir dürfen auch nicht dazu zwingen. Niemand spricht davon, dass Belarus der Europäischen Union oder der NATO beitritt. Aber lassen Sie uns gleichzeitig dem zukünftigen Belarus nicht die Hände binden, indem wir ohne dessen Beteiligung feilschen. Es liegt an Belarus selbst unter einer demokratischen Regierung zu entschieden, und nicht an Moskau, Washington, Brüssel oder sonst jemandem.
Es scheint mir, dass das dringlichste Problem jetzt ist, dass das Lukaschenko-Regime gehen muss. Es verletzt in großem Umfang die Menschenrechte seiner Bürger und führt schwere Repressionen, Folterungen, Misshandlungen und ungerechtfertigte Verhaftungen durch. Solange Lukaschenko an der Macht bleibt, wird Belarus keine gute Zukunft haben. Ohne Lukaschenko an der Macht wird Belarus zum ersten Mal seit 26 Jahren die Chance auf eine solche Zukunft haben und gleichzeitig hoffentlich gute Beziehungen zu Russland behalten. Belarus wird immer an Russland grenzen. Ich glaube nicht, dass irgendjemand will, dass Belarus oder ein anderer Nachbar gegen Russland Feindseligkeiten hegt. Für solch gute Beziehungen muss Russland aber auch die Souveränität und territoriale Integrität von Belarus respektieren.
Wenn die neue Regierung Sie um Rat fragen würde, welche konkreten Sanktionen gegen das Regime in Belarus würden Sie empfehlen?
Es scheint mir, dass es eine Reihe von sogenannten „Geldbörsen“ gibt. Das sind diejenigen, die das Lukaschenko-Regime finanzieren. Dies sind sowohl Belarusen als auch Russen. Es gibt aber auch Verbindungen zu den Golfstaaten. Daher denke ich, wir sollten mit den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie mit anderen Golfstaaten zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass das kein Geld aus Belarus und von dem Lukaschenko-Regime in diese Länder fließt, um dort verwahrt zu werden.
Gegen einige Unternehmen sind viel strengere Sanktionen erforderlich. Das Problem ist natürlich, dass wir den Menschen in Belarus keinen Schaden zufügen wollen. Wir wollen dem Regime die Schlinge festziehen. Deshalb bin ich dafür, dass Sanktionen nicht das einzige Mittel sind. Wir müssen auch die Mitarbeiter der Sicherheitsdienste ermutigen, in den Spiegel zu schauen und zu entscheiden, ob sie dieses illegitime grausame Regime unterstützen wollen, oder ob sie auf der Seite ihrer Familien, ihrer Freunde, ihrer Nachbarn, ihrer Mitbürger stehen wollen, die richtigen Entscheidungen treffen und nicht diese brutalen Methoden einsetzen wollen. Und für diejenigen, die nicht die richtige Wahl treffen, muss es sehr klare Sanktionen geben.
Die Menschen, die Lukaschenko finanzieren – ob in Belarus oder in Russland – müssen westlichen Sanktionen unterliegen.
Sie haben bereits darüber gesprochen, dem belarusischen Volk durch Sanktionen keinen Schaden zuzufügen. Es gibt Leute, die sagen, dass das mächtigste Instrument gegen das Regime darin besteht, Belarus vom SWIFT-Zahlungssystem zu trennen. Andere widersprechen, dass dies eine Katastrophe für Belarus wäre, dass diese Maßnahme Belarus in Richtung Russland treiben und die belarusische Wirtschaft zerstören würde. Was halten Sie von einem solchen Schritt? Und kann es als Instrument bei den Verhandlungen mit Russland, als Druckmittel gegen Russland eingesetzt werden, wenn dort beschlossen wird, Belarus zu annektieren?
Vor einigen Jahren war die Rede davon, Russland von SWIFT zu trennen, und die Reaktion in Moskau, einschließlich des damaligen Premierministers Dmitri Medwedew, war, dass es im finanziellen Sinne mit einem Einsatz von Atomwaffen gegen Russland vergleichbar wäre. Die Trennung von Belarus von SWIFT wäre ebenfalls ein radikaler Schritt.
Ich sage nicht, dass wir eine solche Möglichkeit nicht zulassen sollten. Alle Optionen sollten auf der Tagesordnung stehen. Natürlich im Rahmen des gesunden Menschenverstands: Wir werden keine militärische Gewalt anwenden.
Die Vereinigten Staaten allein können Belarus nicht von SWIFT trennen. Andere Länder müssen dem zustimmen. Wir sollten über eine solche Möglichkeit nachdenken. Wir denke sowohl an die kurzfristigen Ziele, nämlich wie kann man Lukaschenkos Regime unter Druck zu setzen, um es zu entmachten, um das belarusische Volk eine echte Chance auf die Freiheit zu geben. Aber wir müssen uns dabei die Frage stellen: Wie schnell können wir diesen Schritt zurücksetzen? Damit die künftige Regierung diese Last der Folgen der Trennung vom SWIFT-Bankensystem nicht tragen muss.
Dies gilt auch für Sanktionen gegen belarusische Unternehmen. Wir müssen vorsichtig sein. Wir wollen genau und schnell sein, aber wir wollen auch in der Lage sein, diese Sanktionen schnell aufzuheben, wenn Änderungen eintreten, damit die Übergangsregierung und die künftige Regierung durch solche Sanktionen nicht belastet werden. Wir haben kurzfristige Bedürfnisse, aber gleichzeitig müssen wir mittel- und langfristig planen.
Dennoch möchte ich klarstellen: Kann es in Verhandlungen mit Russland verwendet werden, um ein theoretisches, aber gefährliches Szenario zu verhindern, wenn eine Entscheidung zur Annexion von Belarus getroffen wird? Dass eine der Optionen wäre, die Verbindung zum SWIFT-System zu trennen?
Einerseits möchte ich nicht, dass wir alles preisgeben, was wir tun können. Dieser Teil von mir möchte, dass wir die verschiedenen Möglichkeiten offen halten. Andererseits wollen wir Moskau sehr deutlich sagen, was passieren kann, wenn sich die Situation fortsetzt, verschlechtert oder wenn wir eine russische Intervention sehen. Es gibt andere Sanktionen, die wir verhängen können, ohne Belarus von SWIFT zu trennen…
Ich meine gerade die Trennung Russlands von SWIFT, wenn man dort beschließt, Belarus zu annektieren.
Ah, Russlands Trennung von SWIFT. Ja, natürlich. Dies wurde nach der illegalen russischen Annexion der Krim und dem Einfall in den ukrainischen Donbass diskutiert. Sollte Russland dies in Belarus wiederholen… Dies sollte natürlich eine mögliche Antwort sein. Ehrlich gesagt, wenn Russland das tun würde, stellte sich die Frage: In wie viele weitere Länder muss Russland eindringen, damit der Westen wirklich ernsthafte Maßnahmen ergreift?
Ich möchte das Ausmaß der Sanktionen nach dem Einmarsch in die Ukraine nicht herunterspielen. Aber wir haben nichts getan, als Russland 2008 in Georgien einfiel. Ich war zu der Zeit in der Regierung. Und ich denke, dass es leider eine Rolle bei Putins Entscheidung gespielt hat, 2014 in die Ukraine einzumarschieren.
Wenn Russland in Belarus etwas Ähnliches täte und wir keine entscheidenden Schritte unternehmen würden, wäre unklar, was überhaupt uns dazu bewegen könnte, solche Maßnahmen wie die Trennung von SWIFT zu ergreifen. Wenn dies jedoch geschehen würde und Putin beschließen würde, in Belarus einzudringen, müsste er persönlich mit Sanktionen belegt werden.
Ein Land zu überfallen, ist schon zu viel. Und drei Länder sind bereits viel zu viel, es erfordert die härteste Reaktion. Andernfalls kann man Putin nicht aufhalten. Er wird denken, dass ihm alles erlaubt sei: In Nachbarländer eindzudringen, sich in ihre inneren Angelegenheiten einzumischen, ihre Zukunft zu bestimmen, anstatt die Völker über ihre eigene Zukunft entscheiden zu lassen.
Sie sind einer der Autoren eines kürzlich erschienenen Artikels in der Zeitschrift Foreign Policy, in dem es um diejenigen geht, die ihren Dienst beim Innenministerium und anderen belarusischen Strafverfolgungsbehörden quittiert hatten. Ich zitiere aus dem Artikel: „Ermutigung zum Austritt aus den Reihen Lukaschenkos Sicherheitskräfte bietet die beste Chance für echte Veränderungen in Belarus.“ Aber in solch einem repressiven Regime muss man unter Umständen für Desertion einen sehr hohen Preis zahlen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, um Menschen zu so einem Schritt zu ermutigen?
Es ist nicht einfach. Es wäre gut, wenn die Mitarbeiter der Sicherheitsdienste verstehen würden, dass sie einen illegitimen Herrscher unterstützen. Wir müssen auch verstehen, dass Lukaschenko trotz seiner begrenzten Ressourcen dafür sorgt, dass die Sicherheitsdienste Geld und jede andere notwendige Belohnung erhalten, um sie auf seiner Seite zu halten.
Ich denke, es sollte ein Angebot zur finanziellen Unterstützung für diejenigen geben, die entscheiden, dass sie es satt haben. Möglicherweise werden sie gezwungen sein, das Land (entweder alleine oder mit ihren Familien) zu verlassen. In diesem Fall werden sie Hilfe beim Umzug benötigen.
Es wird versucht, die begangenen Verbrechen so zu dokumentieren, dass gezielte Sanktionen gegen diejenigen verhängt werden, die an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind. Eine Kombination verschiedener Schritte könnte zeigen, dass einerseits die Teilnahme an Menschenrechtsverletzungen unvermeidbar bestraft wird, andererseits könnte man Hilfe und Unterstützung erhalten, wenn man die richtige Wahl trifft. Dies kann dazu beitragen, die langsame, aber scheinbar kontinuierliche Abkehr von den Sicherheitsdiensten fortzusetzen.
Wir beobachten, dass Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft und anderer Strafverfolgungsbehörden sich entscheiden, dass dies nicht das ist, wofür sie in den Dienst getreten sind. Sie sollen ihre Mitbürger verprügeln, vielleicht ihre Freunde und Nachbarn oder sogar Angehörige. Ich hoffe, dass ihr Gewissen aufwacht und sie erkennen, dass sie es nicht tun sollten, um einen kurz vor dem Bankrott stehenden, äußerst unpopulären, illegitimen Herrscher zu unterstützen.
Dafür sind sie nicht in den Dienst getreten. Und sie können eine viel bessere Zukunft haben, wenn sie die richtigen Entscheidungen treffen, zurücktreten, illegalen und illegitimen Befehlen nicht gehorchen und dafür sorgen, dass sie sowohl vom Westen als auch von der belarusischen Diaspora unterstützt werden. Ich denke, wir können zusammenarbeiten, um solche Entwicklungen zu fördern.
Meine letzte Frage: Was würden Sie den Menschen in Belarus sagen, die immer noch ihre Gesundheit, Arbeit und manchmal ihr Leben riskieren, indem sie weiterhin auf unterschiedliche Weise protestieren?
Ich sehe sie als Helden, die in der heutigen Zeit, in der Demokratie auf der ganzen Welt einem sowohl internen als auch externen Druck ausgesetzt wird, andere inspirieren. Wir sehen wie autoritär regierte Länder, Russland und China, versuchen, demokratische Bewegungen zu unterdrücken. Gleichzeitig beobachten wir aber an verschiedenen Orten positive Veränderungen. Die Menschen in Hongkong verdienen den größten Respekt dafür, was sie unter sehr schwierigen Bedingungen tun. Jetzt sieht die Situation in Hongkong nicht gut aus, aber ich glaube, dass der Tag kommen wird, an dem ihre Freiheitsbewegung gewinnen wird. Im Sudan sahen wir, wie der Diktator, der schon lange an der Macht war, gestürzt wurde. Das gleiche in Algerien. Und jetzt Belarus.
Das belarusische Volk muss wissen, dass Europa nicht komplett und frei sein wird, solange Belarus als Teil in diesem Puzzle fehlt. Und das belarusische Volk verdient den größten Respekt für das, was es tut. Es sind wahre Helden, unglaublich mutige Menschen. Deshalb ist der „Belarus Democracy, Human Rights, and Sovereignty Act“ so wichtig. Denn er zeigt, dass es dem US-Kongress, sowohl Republikanern als auch Demokraten, trotz aller Probleme und Sorgen in den Vereinigten Staaten gelungen ist, dieses Gesetz als Teil eines Gesetzespakets zu verabschieden, um die Unterstützung der USA für die Bevölkerung von Belarus und ihren Kampf gegen den Diktator Alexander Lukaschenko kundzutun.
Ich hoffe sehr, dass ihnen bewusst ist, dass es eine große Unterstützung dafür gibt, was sie tun. Und sie sind eine Quelle der Inspiration in dieser schwierigen Zeit auf der ganzen Welt. Wir haben es mit einer Pandemie zu tun. Die Belarusen sind ebenfalls einer Pandemie ausgesetzt, ihr Staatsführer hat sie in der Pandemie im Stich gelassen, und er hat auch deswegen Blut an den Händen. Aber die Menschen in Belarus haben entschieden, dass es reicht. 26 Jahre sind mehr als genug. Die Belarusen wollen in einer freien Gesellschaft leben, sie fordern Souveränität und Respekt für ihre territoriale Integrität und sie wollen ein normales europäisches Land sein. Und es ist wirklich inspirierend.