„Die Menschen lagen wie ein lebender Teppich in Blutpfützen“

Eine furchterregende Reportage vom Znak.com: wie die Gefangenen nach den Protesten in belarussischen Gefängnissen misshandelt werden

12. August 2020, 17:23 | ZNAK
ZNAK.com-Korrespondent Nikita Telischenko.
Source: ZNAK

Am Abend des 10. August wurde der Korrespondent von Znak.com, Nikita Telischenko, vor einem Protest gegen die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Minsk festgenommen. Er kam nach Belarus mit dem Auftrag seiner Redaktion. Am Tag nach der Verhaftung bestand keine Verbindung zu ihm. Nikita wurde erst letzte Nacht freigelassen. In seinem Bericht aus dem Polizeiamt und dem Gefängnis in Schodino erzählt er über endlose Schläge, Demütigungen und Schmerzen. 

Festnahme

Ich wurde am 10. August festgenommen, als ganz Minsk zum zweiten Protest gegen die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Belarus ging. Die Aktion war in der Nemiga Straße geplant. Kampffahrzeuge und Lastwagen wurden bereits an diesen Ort gestellt. In den Passagen und zwischen den Häusern gab es viele Soldaten, Kräfte der Miliz-Sondereinheit und Polizeibeamten. Ich ging einfach spazieren und beobachtete die Vorbereitungen für die Kundgebung. Ich bemerkte den Wasserwerfer, schrieb an die Redaktion darüber und genau eine Minute später kamen die Polizisten auf mich zu. Sie trugen ihre übliche Uniform. Sie baten mich zu zeigen, was ich in meinem Beutel habe, den fanden sie verdächtig. Ich zeigte, dass ich da meine Jacke drin hatte. Danach wurde ich freigelassen. 

Bald sah ich an der Haltestelle in der Nähe vom Sportpalast, dass jeder, der aus dem Bus ausstieg, von der Sonderpolizei festgenommen und in einen Miliztransporter gesteckt wurde. Ich machte davon mehrere Fotos mit meinem Handy und begann über die ersten Festnahmen bei der zweiten Protestaktion an die Redaktion zu schreiben. Dann ging ich zur „Heldenstadt“ Stella, wo am Tag zuvor ein echtes Massaker zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften stattfand. Ich wollte sehen, wie dieser Ort nach den Zusammenstößen aussieht. Aber auf halber Strecke hielt ein Minivan vor mir, aus welchem die ausgerüsteten Kräfte der Miliz-Sondereinheit herausgesprungen sind. Sie rannten auf mich zu und fragten, was ich hier mache. Wie ich später verstanden habe, suchten sie nach den Koordinatoren der Protestaktion. Sie wussten, dass die Demonstranten im Telegram Informationen über die Bewegung der Sicherheitskräfte austauschten und die Hinterhalte meldeten. Sie haben anscheinend gedacht, dass ich einer von ihnen bin. Ich sagte ihnen: „Ich habe nicht mal Telegram auf meinem Handy. Ich tippe SMS. Ich bin ein Journalist und ich kontaktiere meine Redaktion.“ Sie griffen nach meinem Handy, lasen die Nachrichten und steckten mich ins Auto. Ich sagte ihnen, dass ich gegen nichts verstoßen habe, dass ich ein Journalist bin und nicht in der Protestaktion teilgenommen habe. Darauf habe ich die Antwort bekommen: „Setz dich hin. Die Vorgesetzten werden vorbeikommen und regeln alles“

Festnahme von Journalist Siamion Pehau.
Source: Dzmitry Brushko, TUT.BY

Bald kam eine „Gazelle“, die speziell für einen Miliztransporter umgebaut wurde. Es gab drei Fächer, zwei von denen hatten eine Blindtür und kleines Fenster. Sie haben mich gefesselt und dorthin gebracht. Ich bat um ein Telefon, um die Redaktion darüber zu informieren, dass ich doch noch verhaftet worden war. 

„Du bist aber nicht verhaftet,“ – sagte zu mir einer der Kräfte der Miliz-Sondereinheit

„Aber ich sitze hinter Gittern,“ – antwortete ich

„Sei still,“ – sagte er zu mir

Dann nahmen sie meinen Pass und sahen, dass ich ein russischer Staatsbürger bin.

„Und was machst du hier?“

„Ich bin ein Journalist,“ – antwortete ich

Damit war der Dialog mit den Kräften der Miliz-Sondereinheit beendet. Und ich saß in der „Gazelle“ und wartete darauf, bis sie mit den gleichen „nicht verhafteten“ wie ich vollständig gefüllt war. Dies dauerte eine halbe Stunde. Neben mir setzten sie einen 62-jährigen Rentner. Sein Name war Nikolai Arkadievitsch. Er erzähle mir, dass er festgenommen wurde, als er zum Geschäft ging und sah, dass die Kräfte der Miliz-Sondereinheit irgendwelchen Jungen festgenommen haben. „Ich bin für ihn eingetreten und habe versucht ihn abzuwehren. Ich sagte ihnen: er ist ein Kind, was macht ihr?“ – erzählte Nikolai Arkadievitsch. Infolgedessen lief der Junge weg und Nikolai Arkadievitsch wurde festgenommen.

Laut Nikolai Arkadievitsch wurde er in die Leber geschlagen. Er bat darum, einen Krankenwagen zu rufen, aber niemand antwortete auf seine Bitte.

16 Stunden Hölle in der Polizeibehörde des Bezirks Moskovsky

Und so sind wir gefahren. Wohin – wusste ich damals nicht. Aber wie es sich später herausstellte, war es die Polizeibehörde des Bezirks Moskovsky, in der die nächsten 16 Stunden für uns die Hölle sein werden. Wir fuhren 20-30 Minuten. 

Sobald sie anhielten, riefen die Kräfte der Miliz-Sondereinheit, die draußen in kugelsicheren Westen standen: „Gesicht zum Boden!“

Mehrere Einsatzkräfte stürzten in unseren Miliztransporter und haben uns die Arme nach hinten oben gezogen, so dass es fast unmöglich war normal zu gehen.

Der Mann vor mir wurde absichtlich mit dem Kopf gegen den Türrahmen am Eingang der Polizeibehörde geschlagen. Er schrie vor Schmerz. Darauf antworteten sie mit weiteren Schlägen auf den Kopf und schrien: „Halt die Fresse, du Arschloch!“ Zum ersten Mal wurde ich beim aussteigen aus dem Miliztransporter geschlagen. Ich bückte mich wohl nicht tief genug und wurde mit einer Hand auf dem Kopf und dann mit einem Knie ins Gesicht geschlagen. 

Im Polizeigebäude wurden wir zunächst in ein Zimmer im vierten Stock gebracht. 

Die Leute lagen dort wie ein lebender Teppich auf dem Boden, und wir mussten direkt auf ihnen laufen. Es war mir sehr unangenehm für mich, dass ich dennoch auf jemandes Hand getreten bin, aber ich sah überhaupt nicht, wohin ich trat, da mein Kopf stark Richtung Boden geneigt war. „Alle auf den Boden, mit dem Gesicht nach unten“, – schrien sie uns an. Und ich stelle fest, dass ich mich gar nicht hinlegen kann, weil überall andere Menschen in Blutpfützen liegen.

Ich habe es geschafft einen Platz zu finden und mich nicht in die zweite Schicht hinlegen, sondern direkt daneben. Liegen war nur auf dem Bauch und mit dem Gesicht zum Boden möglich. Ich hatte Glück, dass ich eine medizinische Maske trug, die den Kontakt zwischen meiner Nase und dem schmutzigen Boden etwas angenehmer machte. Der Typ neben mir wollte sich etwas bequemer hinlegen und drehte versehentlich den Kopf zu Seite. In diesem Moment bekam er sofort einen Tritt mit einem Armeestiefel ins Gesicht.

Um uns herum wurde brutal misshandelt: Schläge und Schreie waren von überall zu hören. Ih hatte das Gefühl, dass einige der Gefangenen gebrochene Arme, Beine oder Wirbelsäulen hatten, denn bei der geringsten Bewegung mussten sie vor Schmerz schreien.

Die neuen Verhafteten wurden gezwungen sich in eine zweite Menschenschicht zu legen. Allerdings, wurde den Polizeibeamten nach einer Weile klar, dass dies eine schlechte Idee war, und jemand befahl, Bänke hinzustellen. Ich war unter denen, die darauf sitzen durften. Allerdings durfte man nur mit dem gesenkten Kopf und Händen gefasst am Hinterkopf zu sitzen. Erst dann sah ich wo wir eigentlich waren – es war die Aula der Polizeibehörde des Bezirks Moskovsky. Ich konnte sehen, dass, an der Wand gegenüber von mir, die Fotos von Polizisten hingen, die einen exzellenten Dienst geleistet hatten. Es schien mir eine böse Ironie zu sein, und ich fragte mich, ob die Taten derer, die uns heute geschlagen haben, als exzellenter Dienst bewertet wird. 

So haben wir 16 Stunden verbracht.

Um aufs Klo zu gehen, musste man die Hand heben. Einige von denen, die uns bewachten, erlaubten es und brachten die Leute zur Toilette. Andere sagten: „mach es in die Hose“. 

Meine Arme und Beine waren eingeschlafen und mein Nacken tat weh. Manchmal wurden wir auch umgeschichtet. Manchmal kamen neue Polizeibeamten rein und fragten uns mehrmals nach unseren Daten: dem Nachnamen und wer wann festgenommen wurde. 

Gegen 2 Uhr nachts wurden neue Gefangenen zur Polizeibehörde gebracht. Und jetzt begann die heftige Brutalität. Die Polizisten zwangen die Gefangenen zu beten und „Vater unser…“ vorzulesen. Wer sich dagegen stellte, wurde mit allen verfügbaren Mitteln verprügelt. Als wir in der Aula saßen, hörten wir wie die Menschen in oberen und unteren Stockwerken geschlagen wurden. Man hatte das Gefühl, dass die Menschen praktisch direkt in den Betonboden hineingetreten werden.

In dieser Zeit konnte man die Explosionen von Lärmgranaten aus dem Fenster hören. In der Aula zitterten die Fenster und sogar die Türen. Der Kampf fand scheinbar direkt unter den Fenstern der Polizeibehörde statt. Mit jeder neuen Stunde, mit jeder neuen Gruppe von Verhafteten, die zur Polizeibehörde gebracht wurden, wurden die Einsatzkräfte mehr und mehr gewalttätig. Die Polizisten waren von der Aktivität der Demonstranten wirklich überrascht. Ich hörte, wie sie über das Sprechfunkgerät miteinander reden, dass die Reservekräfte eingesetzt wurden, um die Proteste zu unterdrücken. Sie waren wütend, dass die Menschen die Straße nicht verlassen, obwohl sie brutal geschlagen wurden. Dass die Menschen keine Angst haben, und stattdessen die Barrikaden errichteten und Widerstand leisteten. 

„Gegen wen hast du die Barrikaden gestellt, du, Arschloch? Willst gegen mich kämpfen? Willst du Krieg?“ – rief einer der Polizisten, als er einen der Verhafteten verprügelte. Was mich erstaunt und niedergeschlagen hat, war, dass diese Misshandlungen direkt vor den Augen zwei Frauen stattfand – die Mitarbeiterinnen der Polizeibehörde, die die Gefangenen registrierten und ihr Eigentum aufnahmen. Vor ihren Augen wurden Jugendliche im Alter von 15 bis 16 Jahren, fast Kinder, geschlagen. Solche Leute zu schlagen ist wie Mädchen zu schlagen. Und sie reagierten nicht einmal… 

A lady injured by stun grenade in Minsk.
Source: Uladz Hrydzin, Radio Free Europe

Fairerweise muss ich sagen, dass nicht alle Polizeibeamten brutal und sadistisch waren. Dort war ein Kapitän, der ab und zu zu uns kam und fragte wer Wasser braucht, und wer auf die Toilette muss. Aber darauf, was seine jüngeren Kollegen mit dn Gefangenen im Gang taten, reagierte er nicht. 

Die Polizeibeamten wurden mit jedem neuen Schicht gewechselt und sie fragten uns wieder und wieder wer wir waren, woher wir kamen und wann wir festgenommen wurden. Nachdem sie meinen russischen Pass sahen, haben sie mich nicht mehr so heftig geschlagen, als wenn sie dachten, dass ich aus Belarus komme. 

Keiner von uns durfte einen einzigen Anruf machen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Verwandten vieler von denen, die in dieser Nacht neben mir saßen, immer noch nicht wissen wo ihre Familienangehörige sind. 

Gegen sieben oder acht Uhr morgens kamen die Vorgesetzen an. Es war klar, dass sie nicht von Zuhause, sondern von den Straßen Minsks gekommen sind, wo der Krieg stattfand. 

Sie fingen an, die Gefangenen zu zählen. Es stellte sich heraus, dass zwei vermisst wurden. Sie fingen an durch die Büros zu rennen, im Versuch herauszufinden, wo die Verschwundenen sind. Allerdings vergeblich. Als ich auf dem Boden lag, habe ich mitbekommen dass sie eine bewegungslose Person (ob es ein Mann oder eine Frau war, weiß ich nicht) auf einer Trage herausgetragen haben. Ich weiß auch nicht, ob er oder sie am Leben war. 

Danach wurden wir alle in den ersten Stock gebracht und in die Zellen für die Häftlinge gesteckt. Sie waren eigentlich für zwei Personen konzipiert, aber die Polizeibeamten steckten mindestens 30 Leute rein. Der Prozess wurde von vielen derben Sprüchen, Beschimpfungen und Schlägen begleitet. „Enger! Enger!“ – riefen sie. Unter meinen Zellennachbarn waren sowohl Rentner als auch junge Leute. Dort traf ich Nikolai Arkadievitsch wieder. Allerdings blieb er nur eine halbe Stunde mit uns. Danach wurde er herausgenommen und in eine benachbarte leere Zelle gesteckt. 

Während der ersten Stunde waren die Wände und die Decke der Zelle mit Kondenswasser bedeckt. Manche Leute, die nicht mehr stehen konnten, saßen sich auf den Boden. Aber dort gab es überhaupt keine Luft, und sie wurden bewusstlos. Die anderen, die noch standen, litten unter Hitze. So haben wir zwei oder drei Stunden verbracht und auf den Transfer gewartet. Wohin wir weitergebracht werden, wussten wir nicht…

Dann öffneten sie die Türen. „Gesicht zur Wand!“ – schrien sie. Dann kamen die Einsatzkräfte rein und zogen uns über den Boden durch die ganze Polizeibehörde. Im Miliztransporter haben sie uns wieder gestapelt, wieder wie einen lebenden Teppich. „Eur Zuhause ist der Knast“ – brüllten sie zu uns. Diejenigen, die auf dem Boden lagen, waren die ganze Zeit am Ersticken unter dem Gewicht der anderen Körpern über ihnen. Es waren drei weitere Schichten von Menschen oben drauf.

Der Weg des Schmerzes und des Blutes

Im Miliztransporter wurden die Menschen weiter geschlagen. Für die Tätowierungen oder für die langen Haare. „Du Schwuchtel! Gleich wirst du im Gefängnis im Wechselschritt durchgefickt!“ – haben die Polizisten geschrien. 

A demonstrator injured during the first post-election protests in Minsk on 10 August 2020.
Source: Vasily Fedosenko, REUTERS via KYKY

Die Leute, die auf den Stufen lagen, baten darum, ihre Position ändern zu dürfen. Aber dafür bekamen sie die Schläge auf den Kopf mit einem Gummiknüppel. 

In diesem Zustand haben wir 1 Stunde im Miliztransporter verbracht. Ich denke es lag daran, dass sie nicht wussten, was sie mit uns anfangen sollen, da viele Untersuchungshaftanstalten überfüllt waren. 

Plötzlich kam ein Befehl von den Kräften der Miliz-Sondereinheit: „Trennt euch und hockt euch hin.“ Die Hände mussten wir am Hinterkopf fassen. Es war verboten, am Sitz sich anzulehnen, oder sich aufzurichten. Diejenigen, die gegen diese Anforderung verstießen, wurden gnadenlos geschlagen. Ab und an wurde ein Stellungswechsel jedoch zugelassen: dafür musste man die Hand hochheben, den eigenen Namen nennen und sagen wo man herkommt und wo man festgenommen wurde. 

Wenn dem Wachmann der Nachname, die Tätowierung oder das Aussehen des Gefangenen nicht gefiel, durfte man die Stellung nicht wechseln. Und wenn man nochmal fragte, wurde derjenige geschlagen. Dazu kam die Aussage, dass ein weiterer Versuch, die Stellung zu wechseln, mit einem Fluchtversuch gleichgestellt wird – was eine Hinrichtung vor Ort bedeutet. Damals dachte ich noch, dass es die Kräfte der Miliz-Sondereinheit waren, aber erst am Ende des Weges stelle sich heraus, dass es die Kräfte der schnellen Spezialeingreifstruppe waren. 

Die Fragen, ob man, um auf die Toilette zu gehen, anhalten könnte wurden ignoriert. Uns wurde gesagt, dass wir es einfach in die Hose tun sollen. Einige konnten es nicht mehr ertragen und haben sogar groß gemacht. Und so fuhren wir weiter in diesen herumschwabenden Exkrementen. Wenn unsere Wachen lange Weile hatten, zwangen sie uns Lieder zu singen, hauptsächlich die Hymne von Belarus, und filmten alles mit dem Handy. Wenn das Singen ihnen nicht gefiel, wurde man wieder geschlagen. Wenn jemand schlecht sang, musste man von Vorn anfangen. „Falls ihr denkt, dass ihr bereits Schmerzen gespürt habt – das waren noch keine Schmerzen. Schmerzhaft wird es gleich im Gefängnis sein. Eure Familie wird euch nie wiedersehen,“ – haben sie uns gesagt.

„Ihr Vollidioten seid jetzt hier, und euere Tichanowskaja (Swetlana Tichanowskaja ist eine Konkurrentin des amtierenden Präsidenten, Alexander Lukaschenko. Gestern musste sie unter Druck der belarussischen Behörden das Land verlassen – Anmerkung vom Znak.com) hat das Land verlassen. Und ihr werdet kein Leben mehr haben,“ – sagte einer der Wachen. 

Die Reise dauerte zweieinhalb Stunden. Es waren zwei Stunden des Schmerzes und des Blutes. 

Als wir gefahren sind, gelang es mir, einen unserer Wachen zum Reden zu bringen (dann erfuhr ich, dass sie die Kräfte der schnellen Spezialeingreifstruppe waren). Natürlich habe ich dafür ordentlich auf den Deckel bekommen, aber im Endeffekt bereue ich es nicht. Letztendlich konnte ich in eine bequemere Position wechseln. Ich fragte ihn warum ich festgenommen wurde, warum ich mit dem Schutzschild auf den Hinterkopf geschlagen wurde, warum auf die Nieren? „Wir warten nur darauf, dass ihr anfangt etwas auf der Straße zu verbrennen.“ – hat mir einer gesagt. „Und dann werden wir auf euch schießen. Wir haben den Befehl. Es gab früher ein großartiges Land – die Sowjetunion, und, wegen solchen Schwuchteln wie euch, starb es. Weil keiner euch rechtzeitig gezeigt hat, wo euer Platz ist. Falls ihr (hier meinte er Russland – Anmerkung von Znak.com) denkt, dass ihr Tichanowskaja hier eingeführt habt, sie hat euch nur verarscht. Ihr sollt Bescheid wissen, dass wir hier keine zweite Ukraine haben werden. Wir werden es nicht erlauben, dass Belarus Teil von Russland wird.“

A girl is trying to shout out to detainees in the paddy wagon.
Source: Euroradio

„Du Arschloch kam hierher,“ – fragte mich einer.
„Ich bin ein Journalist. Ich bin gekommen, um darüber zu schreiben, was hier passiert…“ 
„Und? Hast was geschrieben, du Pisser? Du wirst dich noch lange an dieses Material erinnern.“

„Hört auf uns zu quellen. Stellt uns einfach raus und erschießt uns,“ – rief ein junger Mann, dessen Nerven nach den Schlägen und Schmerzen nicht mehr mithalten konnten.

„Ihr Arschlöcher werdet nicht so leicht davonkommen,“ – antwortete einer der Wachen 

Während dieser langen höllischen Reise wurde mir klar, dass unter diesen Kräften der schnellen Spezialeingreifstruppe, die uns begleiteten, sowohl die ausgesprochenen Sadisten als auch die ideologischen Individuen waren, die wirklich denken, dass sie ihr Heimatland von äußeren und inneren Feinden retten. Mit den letzten ist also ein Dialog möglich. 

Gefängnis 

Die ganze Zeit wussten wir nicht wohin sie uns bringen: in die vorübergehende Haftanstalt, in die Untersuchungshaftanstalt, ins Gefängnis, oder einfach in den nächsten Wald, wo sie uns entweder bis zum Halbtot schlagen oder einfach töten werden. Ich übertreibe überhaupt nicht. Ich hatte das Gefühl, dass alles möglich ist. 

Als wir die Endstation erreicht haben (ich nenne sie so, da ich bis zum Enden nicht verstanden habe, wo wir eigentlich waren), standen wir erst anderthalb oder zwei Stunden dort, weil sieben weitere Miliztransporter zusammen mit uns ankamen und es eine Warteschlange gab. Als der Befehl kam, den Miliztransporter zu verlassen, brachten sie uns auf die Knie und führten in irgendeinen Keller hinein. Dort standen Leute mit den Diensthunden. 

Die Angst um Zukunft wurde umso stärker, aber am Ende stellte sich heraus, dass dort alles lange nicht so furchtbar war, wie in der Polizeibehörde des Bezirks Moskovsky. 

Eine lange Zeit führten sie uns durch einige Korridore und dann brachten sie uns in den Gefängnishof – in den Filmen zeigen sie solche Höfe, wo die Gefangenen spazieren gehen. Und für uns war es schon fast ein Paradies. 

Zum ersten Mal in 24 Stunden konnten wir die Arme ausstrecken, uns aufrichten, uns hinlegen, und vor allem wurden wir von niemandem dafür geschlagen. Ein junger Mann hat eine Wirbelsäulenverletzung erlitten. In der Polizeibehörde des Bezirks Moskovsky sprangen die Kräfte der Miliz-Sondereinheit auf ihm. Außerdem wurde eines seiner Knien herausgeschlagen. Die Kniescheibe baumelte an der Seite rum. Er ging in diesen Hof rein und fiel einfach zum Boden. 

Zum ersten Mal wurden wir wie Menschen behandelt. Sie brachten einen Eimer, damit man auf die Toilette gehen kann (einige von uns konnten das fast einen Tag lang nicht machen), stellten eine eineinhalb Liter Wasserflasche. Für 25 Leute war das natürlich nicht genug, aber immerhin…

„Werden wir heute nicht mehr geschlagen?“ – fragte einer der Gefangenen denjenigen, der das Wasser brachte.

„Nein,“ – antwortete der Gefängnisbeamte mit Überraschung. – „Nun werdet ihr einfach in die Zellen geschickt, das war’s.“

Vartan Grigorian, released from custody, shows his wounds after being beaten by the police.
Source: Natalia Fedosenko, ТАСС / Scanpix / LETA via Meduza

Zum ersten Mal an einem Tag konnten wir miteinander sprechen. Unter anderen wurden festgenommen: Unternehmer, IT-Spezialisten, Schlosser, zwei Ingenieure, ein Bauarbeiter, und ehemalige Häftlinge. Übrigens, einer von ihnen sagte, dass dies weder eine vorübergehende Haftanstalt noch eine Untersuchungshaftanstalt ist, sondern eine Kolonie in Schodino. Das wusste er, weil er hier schon inhaftiert war. Bald wurde auch mein Bekannter Nikolai Arkadievitsch in den Hof reingelassen. 

Ein Mann in Uniform betrat den Steg über dem Gefängnishof und schrie: „Telischenko?! Ist Nikita Telischenko hier?“ Ich habe geantwortet. Dieser Mann in Militäruniform sprach kurz mit dem neben ihm stehenden Mann und rief dann: „Nikita, komm zur Tür, du wirst gleich geholt.“

Meine Zellennachbarn haben sich für mich sehr gefreut. „Nun wirst du endlich abgeholt“, – sagte Nikolai Arkadievitsch zu mir beim Abschied. 

Der Weg nach Hause

Der Mann in Uniform hatte den Nachnamen Iljuschkewitsch, und er war der Oberst der Abteilung für Strafvollzug beim belarussischen Innenministerium (die Abteilung für die Vollstreckung von Strafen, ein Bestandteil vom Innenministerium – ist ein Analogon zum russischen Bundesdienst für die Vollstreckung von Strafen, was dem Justizministerium unterstellt ist). Er sagte, dass ich und noch ein anderer russischer Staatsbürger (das war ein Korrespondent von „RIA Nowosti“) gleich abgeholt werden. Wer uns abholt – wusste ich nicht. „Entweder KGB oder jemand aus der Botschaft“ – dachte ich. Sie gaben mir alle meine Sachen und wir gingen aus dem Gefängnistor raus. 

Draußen standen viele Menschen. Die Verwandten, die nach ihre Familienangehörigen gesucht haben, die nach der Inhaftierung vermisst wurden, Menschenrechtsaktivisten, usw. Wir wurden von einer Frau empfangen, die sich als Angestellte des belarussischen Migrationsdienstes vorstellte. Sie brachte uns in die Stadt Schodino, in die Migrationsabteilung, wo sie unsere Fingerabdrücke nahmen und uns einen Abschiebungsbefehl erteilten. Nach diesem Befehl mussten ich und der „RIA Nowosti“ Korrespondent bis 24:00 Uhr das Territorium der Republik Belarus verlassen. In diesem Moment war es bereits 22:30 Uhr. 

Laut ihr sollte ich morgen vor Gericht stehen. Sie konnte allerdings nicht erklären unter welcher Anklage (ich habe keine Dokumente gesehen, in denen es darum ging, mich in die administrative oder strafrechtliche Verantwortung zu bringen). Sie hat auch gesagt dass wir von 15 Tagen bis 6 Monaten Haft bekommen könnten. 

Dann kam ein Mitarbeiter der russischen Botschaft in Belarus an. Er hat erzählt, dass, um uns zu finden, der russische Botschafter den Leiter des belarussischen Außenministeriums persönlich angerufen hat. Der Diplomat setzte uns in ein Auto und fuhr mit uns nach Smolensk. 

In den verbliebenen anderthalb Stunden gelang es uns, die Grenze zu Russland zu überqueren, und um 2:30 kamen wir in Smolensk an. Der Konsul kaufte uns Burger, weil weder ich noch mein Kollege russisches Geld hatten. Danach fuhr er uns zum Hotel und hat sich verabschiedet. 

Jetzt fahre ich nach Moskau, um von dort nach meine Heimatstadt Jekaterinburg zurückzukehren.