Interview mit Pawel Latuschka über ökonomischen Druck auf das Regime
1. März 2021 | ZUBR
Über europäische Investmentfonds und die belarusische Wirtschaft
Ein paar Worte zur wirtschaftlichen Situation in unserem Land. Belarus befindet sich in einem Zustand des politischen, innen- und außenpolitischen und rechtlichen Bankrotts. Der ökonomische Bankrott kommt immer näher. Die Verschuldung von Belarus nimmt zu und übersteigt achtzehn Milliarden US-Dollar. Das Regime schafft eine Situation, in der es neue Schulden aufnimmt, um seine Schulden zu decken. Wir sehen eine Verschlechterung des Geschäftsklimas im Land. Grund dafür ist in allererster Linie die Politik der Regierung. Wenn Unternehmen geschlossen werden und dies auf persönliche Anweisung eines illegitimen Führers öffentlich von der Rednertribüne aus angekündigt wird, verschlechtert sich die geschäftliche Reputation und die Regierung selbst zerstört Elemente eines potenziellen Wachstums für die Wirtschaft unseres Landes.
Die Attraktivität für Investor*innen nimmt ab, die externen Investitionen sinken, und es wird leider prognostiziert, dass keine Investor*innen nach Belarus kommen werden. Die Regierung ist in dieser Situation nicht in der Lage, einen klaren Plan für Reformen zum Ausgang aus dieser Situation vorzulegen.
Wir müssen auch anerkennen (die Propaganda sagt das oft), dass die Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten sowie anderer Staaten, die das Wahlergebnis nicht anerkannt haben, noch nicht in Kraft getreten sind. Und der Grund für die wirtschaftliche Katastrophe, die bereits nahe herangerückt ist, ist vor allem die Unfähigkeit der Regierung, ein Modell für die wirtschaftliche Entwicklung zu entwerfen.
Von nirgendwo her kann man neue Infusionen erwarten. Die Russische Föderation ist nicht bereit, wie bisher uneingeschränkt Ressourcen in die Wirtschaft unseres Landes zu pumpen.
Und ich bluffe nicht, wir sehen die Taktik, die die russische Führung in Bezug auf Lukaschenko verfolgt. Als eines der Instrumente zur Deckung von Auslandsschulden verwendete der Staat europäische Anleihen oder emittierte Anleihen und verteilte sie auf Investmentfonds in verschiedenen Ländern der Welt. Dies geschah letztes Jahr auf dem Höhepunkt der Verhaftung politischer Rival*innen des Regimes. Zu diesem Zeitpunkt haben mehrere europäische Banken Anleihen ausgegeben. Die Europäer haben einen solchen Begriff: Ethisches Investment, und dieser Begriff legt nahe, dass es unmöglich ist, Geld zu verdienen, wenn in einem anderen Staat Verbrechen begangen und Menschenrechte verletzt werden. Wir haben daher ernsthafte Gründe zu der Annahme, dass die Mittel, die das Regime durch die Ausgabe von Anleihen in Höhe von einer Milliarde US-Dollar erhalten hat, genau für die Schaffung eines Unterdrückungssystems ausgegeben wurden.
Ich möchte dem Finanzminister widersprechen, der sagte: „Wer wird schon Eurobonds aufgeben, die so erfolgreich bei 7 % pro Jahr platziert wurden“. Das ist eine Milchmädchenrechnung. Warum werden die Kredite aufgenommen? Um Löcher zu stopfen und Bedingungen für Entwicklung zu schaffen. Die gesamte Situation der letzten Jahre zeigt, dass das BIP ständig sinkt. Auf dieser Grundlage werden die Kredite, die das Finanzministerium auf ausländischen Märkten aufnimmt, zur Deckung dieser Schulden verwendet, und es gibt keine Grundlage für Wachstum. Pro Jahr werden 7% Zinsen gezahlt, und das ist viel höher als in den Vereinigten Staaten. Aber wovon können diese Zinsen gezahlt werden, wenn die Wirtschaft schrumpft?
Wie wird sich der Verkauf oder die Rückgabe von Eurobonds auf das Regime auswirken?
Es wird es sicherlich hart treffen, denn heute betragen die Gold- und Devisenreserven (nach Schätzungen zum Jahresende) 7 Mrd. USD, 2011 waren es 5 Mrd. USD. Und wir erinnern uns daran, wie es 2011 zu einer Abwertung auf ein Drittel kam. Wir können vorhersagen, dass sich die Situation weiter in diese Richtung entwickeln wird. Wenn die Eigentümer von Eurobonds damit beginnen, sie zu verkaufen und der belarusischen Regierung zur Auszahlung vorzulegen, könnte dies zu ernsthaftem Druck auf den Devisenmarkt führen. Infolgedessen wird all dies zu einer Inflation führen, einschließlich einer Erhöhung des Wechselkurses. In dieser Situation werden die Menschen in Belarus nicht anders handeln als in jedem anderen Land: Um ihre Ersparnisse zu schützen, stoßen sie Landeswährung ab und erwerben Devisen.
Heute schießt sich die Regierung auf dieselbe Weise ins Knie und legt Preise für Waren fest, was wahrscheinlich zu einem Defizit und zu Problemen mit der Verfügbarkeit dieser Waren auf dem Inlandsmarkt führt.
Welcher Importeur führt schließlich Waren mit Wechselkursverlust ein? Wenn die Regierung solche Instrumente nicht aufgibt, wird dies langfristig dazu führen, dass wir leere Regale haben. Es gibt nur einen Ausweg. Je länger Lukaschenko an der Macht ist, desto tiefer werden die wirtschaftlichen Probleme in unserem Land werden. Niemand mehr wird ihm Kredite geben.
Zusammenarbeit mit amtierenden Staatsdienern und Entwicklung des Projekts
Wir sehen, dass bereits eintausenddreihundert Eingaben von Regierungsbeamten an uns gesendet wurden. Viele Beamte sind sich der tatsächlichen Lage bewusst. Wie die Geschichte des Sicherheitsapparates zeigt, flüstern Polizisten den Festgenommenen regelmäßig ins Ohr: „Nun, was soll ich denn sonst tun? Habe ich eine Wahl? Ich will nicht mitmachen.“ Beamte hingegen haben sich in rechtlicher Hinsicht weniger zuschulden kommen lassen. Ich bin überzeugt, dass sie immer mehr werden. Es ist wichtig zu unterstreichen, dass wir die Sicherheit aller Informationen und die Einhaltung von Vertraulichkeit garantieren.
Über das Kupala-Theater und die Kommentare von Paljakowa
Ich werde versuchen, eine Bewertung abzugeben. Das Kupala-Theater ist der Goldfundus der Nation. Sie müssen verstehen, dass das Theater nicht aus einem Gebäude, Beton und Stahl besteht, sondern hauptsächlich aus Schauspieler*innen, einem kreativen Team. Mit Auszeichnungen wie „Verdienter Künstler“ oder „Künster des Volkes von Belarus“ versehene Leute verließen das Theater und trafen diese Entscheidung persönlich. Über Menschen so zu sprechen: dass sie jemand „herausgebracht“ und „geführt“ und sich an ihnen die Füße abgewischt hat, das ist widerwärtig. Es bedeutet, die Gefühle und den Schmerz dieser Menschen noch einmal mit Füßen zu treten. Niemand hat irgendjemanden herausgebracht, das war die Entscheidung der Truppe. Das Kupala-Theater übernahm Verantwortung und sagte den Menschen, dass es mit ihnen ist.
Übrigens habe ich anderthalb Jahre als Direktor des Kupala-Theaters gearbeitet, davor war ich Kultusminister, und irgendwie habe ich diese Herrschaften [Innenminister Makej und seine Frau, Vera Paljakowa] bei Theateraufführungen nicht gesehen. Um sich einen Urteil zu erlauben, muss man Theater besuchen.
Es interessiert mich, was Vera Paljakowa über das Free Art Theatre sagen würde, das eigentlich nicht mehr existiert. Über das neue Schauspielhaus, aus dem die Hälfte der Truppe ausgetreten ist. Über das Bolschoi Opern- und Balletttheater und die entlassenen Künstler. Über die Belarusische Staatliche Philharmonie, deren Musiker*innen mitten in einer Probe festgenommen wurden… Diese Liste kann noch lange fortgesetzt werden…
Musiker*innen, Künstler*innen, wie viele von ihnen haben Gefängnisse von innen gesehen? Auch an ihnen hat man sich die Füße abgewischt… Wie kann man nicht verstehen, was gut und böse, wahr und falsch ist? Von den Lippen dieser Herrschaften haben wir nichts über die verprügelten Menschen gehört, über die, die gefoltert und getötet wurden.
Wenn Herr Makej denkt, dass man in unserem Land töten darf und es wird kein Strafverfahren eingeleitet, dass man vergewaltigen darf und kein Strafverfahren eingeleitet wird, dass man Tausende belarusischer Bürger foltern darf, worüber soll man dann mit diesen Leuten diskutieren? Die Tiefe der Heuchelei sprengt alle Maßstäbe. Einst schrieb Karatkewitsch die folgenden Verse:
Du kannst alles: Liebe sterben lassen,
was war, vergessen und verdrängen.
Doch deine Heimat nicht zu lieben
kannst du nur taub,
kannst du nur stumm,
kannst du nur blind.
Böse Zungen wirst du reden hören,
Beacht’ sie nicht, sie sind nur Lug und Trug.
Nur einer musst du Treue schwören
Bis zum letzten Atemzug:
Der Wahrheit,
wahrhaftig,
einzig
und allein.
Makej schlug die Losung „Ich liebe Belarus“ vor. Dies sind Worte von Kastus Kalinouski. Soll man erwarten, dass Makej vom belarusischen Volk geliebt wird? Ist es Verrat, die Wahrheit zu sagen? Nein. Verrat bedeutet, die Wahrheit zu verbergen, nicht über die Getöteten, über Gewalt, über Journalisten, über die jungen Mädchen hinter Gittern zu sprechen.
