Einsatzkräfte drangen in die Kirche „Nowaja Schisn“ ein und vertrieben Gemeindemitglieder
20. Februar 2021 | Voice of Belarus
Am 17. Februar kamen Gerichtsvollzieher und Polizei in die protestantische Kirche „Nowaja Schisn“ (Neues Leben, Anm. d. Übers.) in Minsk, um die Gläubigen aus dem Gebäude zu vertreiben. Als die Gläubigen sich weigerten, sie in das Gebäude einzulassen, sägten die Schlosser das Schloss an der Tür ab und stoppten das Gebet, das drinnen stattfand. Unter Androhung der Verhaftung befahl die Polizei allen, das Kirchengebäude zu verlassen, und gestattete ihnen, einige Gegenstände mitzunehmen.
Am Morgen des 16. Februar färbte sich der Himmel in vielen Städten von Belarus weiß-rot-weiß. Nachdem einer der berühmten belarusischen Produzenten erfahren hatte, was in der Kirche passiert war, hinterließ er auf Facebook seinen Kommentar: „Sie suchen nach Gott, um ihm eine Vorladung für den gestrigen weiß-rot-weißen Himmel auszuhändigen.“
Die Geschichte der Konfrontation zwischen dem Staat und der Kirche
Die Geschichte der Konfrontation zwischen dem Staat und der Kirche begann 2005, als die Stadt beschloss, „Nowaja Schisn“ aus ihrem eigenen Gebäude, das bereits 1992 gebaut wurde, zu vertreiben.
Wie es auf der offiziellen Webseite der Kirche heißt, kauften Gemeindemitglieder im Jahr 2002 ein baufälliges Gebäude eines Kuhstalls, die sich zur damaligen Zeit in der Region Minsk befand. Heute befindet sich dieses Gebiet innerhalb der Stadtgrenzen.
Zwischen 1999 und 2004 durfte die Kirche kein Gebäude mieten, die Gottesdienste wurden im Freien abgehalten. Da das Gebäude des ehemaligen Kuhstalls sich rechtmäßig im Besitz der Kirche befand, mussten die Gläubigen das Gebäude auf eigene Kosten und mit eigenen Kräften renovieren. Das Ergebnis war ein für Gottesdienste geeigneter Raum.
Durch die Entscheidung des Exekutivkomitees der Stadt Minsk wurden im Jahr 2005 das Gebäude und das dazugehörige Grundstück jedoch „aufgrund der nicht bestimmungsgemäßen Nutzung“ beschlagnahmt. Ursprünglich wurde das Gebäude zwecks Viehzucht gebaut. Da aber das Gebiet, wo sich das Grundstück befindet, im Jahr 2003 in die Stadt Minsk eingemeindet wurde, wurde somit die Viehzucht nicht mehr erlaubt.
Später wurde der Kirche eine Entschädigung angeboten, die jedoch erheblich geringer als die Investition in Renovierungsmaßnahmen ausfiel. Die Gemeindemitglieder der Kirche hielten diese Entscheidung für unfair, auch wurden sie von anderen Bürgern unterstützt. Es wurden sogar über 3000 Unterschriften von Anwohnern für den Erhalt des Gebäude-Nutzungsrechts durch die Kirchengemeinde gesammelt.
Als die Bürgerstimmen nicht beachtet wurden, wurde in der Kirche ein Hungerstreik, der 23 Tage dauerte, ausgerufen. Infolgedessen wurde der Pastor Wjatschaslau Hantscharenka in die Präsidialverwaltung eingeladen, wo er aufgefordert wurde, den Hungerstreik zu beenden. Ihm wurde versichert, dass Maßnahmen zum Schutz der Rechte der Gläubigen ergriffen würden und die Sache geklärt würde.
Den Gläubigen wurde die Gewaltverurteilung nicht verziehen
Der Druck auf die Gläubigen nahm Anfang 2021 zu, nachdem der Pastor von „Nawaja Schisn“ im Jahr 2020 Gesetzesverstöße und Gräueltaten im Land verurteilt und Gemeindemitglieder ein Video zur Gewalt gegen
Zivilisten aufgenommen hatten.
„Nawaja Schisn“ zählt über 1.500 Gemeindemitglieder. Es laufen mehr als 50 Dienste. Die Kirche leistet eine breite gemeinnützige Arbeit, sie hilft Obdachlosen, alkoholabhängigen Menschen, Kinderheimen, Heimen für Menschen mit Behinderungen, Hospizen, Gesundheitseinrichtungen und Mehrkindfamilien. Die Kirche fördert moralische Werte bei Kindern und Jugendlichen und setzt sich für Familienwerte ein. Es gibt ein Freiwilligenzentrum, das mit Sozialzentren der Bezirksverwaltungen zusammenarbeitet und dabei hilft, die Folgen der Pandemie zu überwinden.
Seit 5 Jahren gibt es in dem Gebäude, aus dem die Gemeindemitglieder vertrieben wurden, die Kirche „Nowaja schisn“ für Gehörlose. Vor Kurzem fand hier eine große Konferenz für Gehörlose aus dem ganzen Land statt. Regelmäßig, mehrmals im Jahr, wird Kleidung an Bedürftige verteilt. Jedes Mal kommen fast 100 Menschen aus verschiedenen Stadtteilen von Minsk hierher, um Kleidung und Schuhe, die die Gemeindemitglieder für sie gesammelt haben, kostenlos zu bekommen. Die restlichen Sachen werden in die Regionen weitergegeben. Bereits zweimal fand in der Kawaljowa-Straße 72 ein Ball für Menschen mit Behinderungen „Night to Shine“ statt. Jedes Mal nahmen etwa 90 Menschen mit Behinderungen daran teil. Es nahmen daran teil auch Freiwillige, die jeden von ihnen begleiteten, Organisatoren, Künstler und viele andere.