Muay Thai Championin und Rettungsassistentin Anastasia Kalaschnikawa spricht über ihre Verhaftung und ihr Gericht wegen Blumen
27. Januar 2021 | Nadseja Filiptschyk, BY.Tribuna.com
Die Minskerin Anastasia Kalaschnikawa verbindet seit einigen Jahren ihre Arbeit als Rettungsassistentin des mobilen Rettungsdienstes mit ihrem Training und der Teilnahme an Kämpfen. Die junge Frau errang Siege bei den nationalen Meisterschaften im Kickboxen und Muay Thai, erhielt Preise bei den internationalen Turnieren. Die Sportlerin hat ein farbiges Tattoo auf ihrem Bein – ein Porträt von Alexander Lukaschenko, aber Kalaschnikawa steht nicht im Verdacht der Sympathie für die Machthaber: Vor einigen Monaten unterzeichnete sie einen Brief der Sportler für faire Wahlen und gegen Gewalt. Sie weiß ganz genau, auf welche Art von Gewalt sich dieser Brief bezieht, denn gleich nach den Wahlen kam schon einmal Kalaschnikawa als Rettungsassistentin in die Untersuchungshaftanstalt Akrestina.
Kürzlich haben die Medien erneut über Kalaschnikawa berichtet. Zugegeben, der Anlass dafür war kein erfreulicher – die junge Frau wurde am 17. Januar verhaftet, am nächsten Tag wurde sie zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Basissätze [ca. 275 Euro Anm.d.Red.] verurteilt. Der Grund für die Geldstrafe waren zwei Nelken, die die Athletin in der Nähe des Todesortes von Alexander Taraikowski auf den Schnee legte. Wir trafen uns mit Kalaschnikawa ein paar Tage nach ihrer Freilassung, um über ihre Verhaftung wegen zweier Blumen, über die Akreszina-Geschichten und über Sportler, die über Gewalt nur in ihren Küchen sprechen, zu erfahren.
Du hast gerade deine erste Arbeitsschicht nach der Inhaftierung beendet. Wie haben deine Kollegen*innen reagiert?
Gut, aus irgendeinem Grund haben sie auch Geld für mich gesammelt, ich war schockiert. Sie fragten, wie es mir gehe, aber sie diskutierten alles so, als würde man mich dort umbringen. Alle waren besorgt, sie dachten, alles würde schlimmer werden als es wirklich war.
Ich weiß, dass du in der Vergangenheit schon mehrmals Blumen zum Denkmal für Alexander Taraikowski, der am 10. August ermordet wurde, gebracht hast.
Ja.
Warum ist dir das wichtig?
In gewisser Weise ist es ein Ausdruck von Trauer, aber dies wird nicht für die Toten getan. Wir haben einen Mann verloren und das ist schlimm, noch schlimmer ist, dass er getötet wurde. Und am schlimmsten ist die Tatsache, dass niemand für den Mord bestraft wurde, niemand sich auch nur die Mühe gegeben hat, den Fall auf irgendeine Weise zu untersuchen. Der Familie spuckte man gerade ins Gesicht. Wenn ich mich nicht täusche, sagten sie sogar über Alexander, er sei betrunken oder habe eine Granate in der Hand. Ich habe keine Streikposten am Denkmal arrangiert, ich habe nur Blumen mitgebracht, als ich die Gelegenheit dazu hatte.
Am Tag der Verhaftung wusste ich überhaupt nicht, dass es Sonntag war. Wegen meiner Arbeit weiß ich nichts Genaues über die Wochentage, ich weiß nur, dass ich nach einer vierundzwanzigstündigen Schicht drei oder vier Tage frei habe. Auf der Polizeidirektion der Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten musste ich auf das Datum meiner Uhr schauen, also stocherte ich mit dem Finger auf der Uhr herum, die sie vergessen hatten mir abzunehmen, und der Wochentag kam zum Vorschein. Ich sah, dass es Sonntag war, und das Puzzle setzte sich zusammen.
Am 17. Januar hast du auch Blumen zum Denkmal gebracht. Was ist danach passiert?
Ich wollte keine Blumen dorthin bringen, ich war gerade mit der U-Bahn nach Hause zurückgekehrt – ich wohne in der Nähe. Ich kam aus der U-Bahn und sah, dass ein paar Blumen und ein paar Fetzen von Bändern auf dem Mahnmal lagen. Wie es sich herausstellte, ging es darum, dass die Einsatzkräfte jedes Mal, wenn sie eine Person dort festnahmen, auch Blumen wegbrachten oder zertrampelten.
Ich dachte, ich sollte ein paar Nelken kaufen. Ich ging hinunter zur Unterführung, um Blumen zu holen, und gleichzeitig telefonierte ich mit meiner Mutter, ich hatte Kopfhörer auf. Ich verließ die Unterführung, legte die Blumen ab und hob den Kopf. Ich sah ein Mädchen, das mich ansah, dann wandte sie ihren Blick dem Parkplatz zu. Ich schaute hinüber – da fuhr ein Polizeibus aus dem Parkplatz.
Wie hast du reagiert?
Ich bin nicht weggelaufen. Ich glaube, mein Gefühl hat mich getäuscht, schließlich ist es dumm, nichts getan zu haben und dafür festgenommen zu werden nur dafür, dass man eine Blume auf den Schnee legt! Trotzdem warnte ich meine Mutter, dass ich einen Polizeibus gesehen habe und ging in Richtung Bushaltestelle. Ein paar Minuten später haben sie mich dort festgenommen.
Der Polizeibus fuhr vor, Einsatzkräfte sprangen heraus. Einer von ihnen packte mich an der Schulter und sagte: „Lass uns reden gehen.“ Ich fragte, worüber wir reden würden, aber er wiederholte dasselbe eindringlicher. Ich bot an, auf der Straße zu reden. Ich telefonierte immer noch mit meiner Mutter und in diesem Moment fing sie an zu weinen.
Mehrmals fragte ich den OMON-Vollstrecker – wofür? Ich war kein Dummkopf und verstand, dass es nicht bei dem Gespräch bleiben würde, dass man mich mitnehmen und mir etwas vorwerfen würde, und mich interessierte, was man mir vorwerfen könne. Mir wurde klar, dass er das nicht sagen würde, er begann mich zum Auto zu schieben und zu sagen, dass es sonst schlimmer wäre. Dann bat ich ihn, mich das Telefon ausschalten zu lassen.
Haben sie dich darum gebeten, dein Telefon im Auto zu entsperren?
Nein, aber sie haben eine Kamera herausgenommen und aus irgendeinem Grund angefangen, mich zu filmen.
Haben sie dir irgendwelche Fragen vor der Kamera gestellt?
Ich wurde gefragt, was ich an der Puschkinskaja-U-Station gemacht und was ich in meinen Händen gehabt hätte. Ich antwortete, dass ich auf dem Weg nach Hause sei und dass ich Blumen in den Händen gehalten und sie an der Gedenkstätte hinterlassen hätte. Offenbar versuchte er, mich zu einer Art Geständnis zu verleiten, indem er sagte, dass ich mit zwei Nelken irgendwo hin gelaufen sei, um die Regierung zu stürzen. Das heißt, der Einsatzpolizist stellte seltsame Fragen, und zwar in einem solchen Ton, als ob ich ein Maschinengewehr in den Händen hätte und keine Blumen.
Der ganze Polizeibus war voll mit Einsatzkräften, aber nur zwei von ihnen verhielten sich aggressiv – derjenige, der mich festhielt, und derjenige, der auf dem Vordersitz saß. Alle trugen Sturmhauben, aber diese beiden trugen Masken. Sie waren empört über die Tatsache, dass ich einem Mann, den ich nicht persönlich kannte, Blumen überbrachte und dass ich nicht mit den Blumen zum Friedhof ging. Ich entgegnete: „Sie wissen nicht, ob ich da war.“
Das verärgerte den Sonderpolizisten, und er wechselte das Thema. Er fing an, darüber zu reden, wie wir aus wer weiß wem Helden machten, aus irgendwelchen Mistkerlen. Er erzählte mir von einem Verrückten aus Brest, der ein Mädchen vergewaltigte, zerstückelte und dann versuchte, ihre Überreste zu verbrennen. Dieser Wahnsinnige wurde gefasst, und dann starb er – entweder im Gefängnis oder nach seiner Entlassung. Jedenfalls sagte dieser Einsatzpolizist über den Wahnsinnigen: „Ihr habt einen Helden aus ihm gemacht.“ Ich fragte: „Wer hat es getan?“ Er antwortete: „Stelle dich nicht so dumm!“
Aber ich habe wirklich nicht verstanden, worum es ging, und ich dachte, dass etwas mit mir nicht stimmt. Infolgedessen fragte ich meine Zellengenossen, was für ein Verrückter aus Brest ein Held geworden sei. Im Allgemeinen war es sehr unangenehm, mit den Einsatzkräften zu interagieren und sich dabei schutzlos zu fühlen.
Ich wurde ungefähr 20 Minuten nach drei, ziemlich früh, festgenommen. Laut Protokoll passierte alles eine Stunde zuvor, aber zu dieser Zeit war ich noch in Malinauka und traf mich in einem Café mit einer Freundin.
War es in der Polizeidirektion des Bezirks sicherer als im Polizeibus?
Es gab nur einen Mitarbeiter, der sich aggressiv verhielt, denjenigen, der mich gebeten hat, das Telefon zu entsperren. Ich weigerte mich, dies zu tun, dann drohte er, dass er das Telefon selbst entsperren würde. Ich antwortete: „Sie können mit meinem Telefon machen, was Sie wollen, solange es legal ist.“ Der Rest der Einsatzpolizisten verhielt sich neutral, sie verdrehten ständig die Augen und fragten: ,,Warum bleibst du nicht zu Hause?“
Hast du das Gefühl, dass sie müde sind?
Ja, sie wollen es nicht tun, zumindest die meisten von ihnen. Sie wollen, dass alles schnell vorbei ist, aber sie erkennen nicht, dass sie durch ihre Arbeit nur dazu beitragen, dass alles weitergeht. Und auch alle Beamten, die wir in der Polizeidirektion der Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten getroffen haben, verteidigten sich irgendwie psychologisch. Du stellst ihnen verschiedene Fragen, der eine antwortet, dass er uns nicht festgenommen habe, der andere, dass er das Protokoll nicht geschrieben habe, der dritte, dass er meine Sachen nicht beschlagnahmt habe. „Ich bin auch dagegen, das ist alles absurd, und ich kann nichts dafür, dass du verhaftet wirst.“
Wer war mit dir in der Polizeidirektion der Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten?
Im Büro waren mehrere ältere Frauen mit mir, zwei von ihnen wurden dann von einem Krankenwagen abgeholt. Bis spät in die Nacht konnten sie uns nicht zur Untersuchungshaftanstalt Akreszina bringen, da sie auf den Konvoi warten mussten und ließen uns in die Zelle hinunter. Dann brachten sie Palina Loika, eine Rettungssanitäterin aus der zweiten Rettungsstation. Ein Blogger wurde ebenfalls mit uns zur Untersuchungshaftanstalt transportiert, der wegen seines Videos in Polizeiuniform [Emin Musaew – Anm.] festgenommen wurde. Er war der einzige, der nicht nach Artikel 23.34, sondern nach Artikel 17.1 [geringfügiges „Rowdytum“ – Anm.] verurteilt wurde. Keiner der Festgenommenen erkannte diesen Kerl, aber absolut alle Mitarbeiter der Polizeidirektion der Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten begrüßten ihn. Deshalb haben wir ihn ausgelacht und gesagt, wenn die Polizisten die ersten Fans des belarusischen Bloggers sind, muss das wirklich schlimm sein.
Was ist in der Polizeidirektion der Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten passiert, dass die Häftlinge in einem Krankenwagen von dort weggebracht wurden?
Beide Frauen hatten eine hypertensive Krise, ich glaube, sie wurden zu nervös. Eine der Frauen war sehr besorgt, dass sie betrogen worden war. Als sie festgenommen wurde, wurde ihr versprochen, dass sie bei der Polizei nur die Daten aufschreiben solle und man sie dann gehen lassen würde, und ich erklärte ihr, dass sie uns nicht rauslassen würden. Diese Frau wohnte in einem Haus gegenüber der Puschkinskaja und kam gerade heraus, um zu sehen, was an der Gedenkstätte los war. Der Beamte, der mit uns im Büro war, verschärfte die Situation ständig – er sagte der Frau, dass sie im Gefängnis landen würde. Sie versuchte zu scherzen, war aber sehr besorgt und fragte den Angestellten ständig, ob sie geschlagen würde. Sie tat mir leid.
Mir wurde gesagt, dass du bereits im August noch in der Untersuchungshaftanstalt (IWS) warst, damals aber als Rettungsassistentin. Kannst du es mir selbst erzählen?
Wir sind nachts in der Untersuchungshaftanstalt (IWS) angekommen. Die Rettungsstation, die den Bezirk Akreszina bedient, hatte an diesem Tag keine Kapazität mehr, und wir wurden um Hilfe gebeten. Sobald wir durch das Tor eintraten, sahen wir Menschen an der Wand knien. Hinter ihnen befanden sich mehrere weitere Reihen von Menschen, die ebenfalls auf den Knien und gleichzeitig mit dem Gesicht nach unten lagen. Sie wurden permanent geschlagen.
Wir wurden aufgefordert, durch das andere Tor rauszufahren, und mehrere Menschen mit Verletzungen wurden zu uns gebracht. Wir haben versucht, sie zu untersuchen und ihnen zu helfen. Gleichzeitig haben wir verstanden, dass die Menschen hinter dem Zaun weiterhin geschlagen wurden. Wir hörten Schläge, Stöhnen, wie sie gezwungen waren, etwas zu wiederholen. Noch in unserer Anwesenheit wurden Männer wie zum Tode Verurteilte aus der Untersuchungshaftanstalt rausgeführt. Sie liefen im Gänsemarsch, wurden immer weiter angefeuert, und schließlich rannten sie genau dorthin, wo Menschen geschlagen wurden.
Ich schaute ständig in Gesichter, ich hatte Angst, jemanden zu sehen, den ich kannte. Schließlich gab es kein Internet, wir wussten nicht, welcher unserer Verwandten inhaftiert werden konnte. Ich habe nicht verstanden, was los war und warum alles so war. Wir nahmen damals vier Patienten auf, und ich rief einen anderen Krankenwagen für zwei weitere verängstigte Teenager um die 18. Übrigens stritt ich mich wegen ihnen mit einem Mitarbeiter der Untersuchungshaftanstalt. Die Jungs weinten und baten sie loszulassen, sie sagten, dass sie nur im Laden gestanden hätten, während ein Mitarbeiter in einem Trainingsanzug sie noch stärker bedroht und geschrieen hätte , er würde sie und ihre Familien vernichten. Einer der Teenager hatte anscheinend einen gebrochenen Kiefer, der andere eine gebrochene Nase. Ich kann nicht begreifen, wozu sie so geschlagen werden mussten. Infolgedessen blieb ich dort, um auf das nächste Krankenwagenteam zu warten, das die Teenager wegbrachte. Ich hatte Angst, dass die Jungs mit diesen Verletzungen sonst ins Gefängnis gebracht würden.
Wie war diese Nacht in der Untersuchungshaftanstalt?
Es war sehr kalt.
Könnten deine Angehörige dir nicht warme Kleidung bringen?
Als ich bei der Polizeidirektion der Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten war, wurde meinem Bruder nicht gesagt, wo ich war. Sie sagten nur, dass ich nicht festgenommen worden war oder dass sie mich in die Untersuchungshaftanstalt gebracht hätten, sie gaben ihm Telefonnummern, auf die keiner antwortete.
Und einmal kam der Leiter der Untersuchungshaftanstalt in unsere Zelle. Ich kannte ihn von einem Foto aus den Medien. Von der Tür aus fragte er: „Wer ist Kalaschnikawa?“ Ich dachte, verdammt, warum ich? Am Ende stand er in unserer Zelle und beleidigte uns, indem er mir sagte, dass ich wegen der Blumen im Gefängnis säße, und dass ich es verdient habe. Er sagte auch, dass er mir verzeihen würde, wenn ich die weiß-rot-weiße-Fahne tragen würde, aber weil ich „Blumen für die Bastarde“ bringe, werde ich im Gefängnis absitzen. Ich wusste nicht, wie ich das alles verstehen und was ich sagen sollte. Es gab ein unangenehmes Gefühl, dass ich hier allein war, dass es aber viele von ihnen gab, und ich konnte nichts tun.
Wir hatten keine Matratzen, wir haben auf Brettern geschlafen. Sie gaben keine Bettwäsche, sagten „Desinfektion“ und lächelten. Am Morgen kamen Leute, wie ich verstanden habe, aus dem Pressezentrum der Polizeidirektion für innere Angelegenheiten des Exekutivkomitees der Stadt Minsk. Sie versuchten, Inhalte für sich selbst zu drehen, und sie brachten uns einen nach dem anderen nach oben und führten uns in in die Aula. Nach der Aufnahme wurde ich kurz in die erstbeste Männerzelle gebracht – soweit ich weiß, waren die Jungs aus dieser Zelle gerade auf einem Spaziergang. Die Männer dieser Zelle hatten nicht nur Wärme, sondern auch Matratzen auf den Kojen. Wir alle haben verstanden, warum die „Desinfektion“ auf unserer Etage war, weil hier höchstwahrscheinlich nur die nach Artikel 23.34 Inhaftierten saßen.
Heute wird viel über die Covid-Epidemie in der Untersuchungshaftanstalt gesprochen. Was kannst du als Rettungsassistentin dazu sagen?
Ich hatte mehr Angst, dort Wanzen zu fangen. Die Mitarbeiter der Untersuchungshaftanstalt haben große Angst vor Covid, daher tragen alle Gefangenen Masken. Eine andere Sache ist, dass dort keine Masken ausgeteilt werden, so dass du tagelang dieselbe Maske trägst. Außerdem haben wir nicht immer Abstand gehalten – wegen der Kälte haben wir in einer Umarmung geschlafen. Und als wir zur Untersuchungshaftanstalt gebracht wurden, standen wir einige Zeit zu viert in einer 1×1 Meter großen Zelle. Die Kammern selbst sind schmutzig, aber nachdem ich auf den Brettern geschlafen hatte, roch ich nach Obdachlosen. Vielleicht hatten wir Glück, dass wir keine Matratzen bekommen haben? In der Männerzelle war der Geruch noch stärker.
Die Bedingungen der Unterbringung sind jetzt klar, aber was war mit dem Essen?
Wenn das Essen dort immer so ist, wundert es mich nicht, dass Menschen krank werden. Am Morgen brachten sie uns Tee und etwas Grütze mit Wasser – es war so geschmacklos, dass ich nicht einmal verstand, aus welcher Grütze es gemacht war, aber es war ein Diätgericht. Sie gaben mir auch eine dicke Scheibe Brot, und davon war ich ein wenig satt. „Ich habe verstanden, dass, wenn sie uns zum Beispiel nach Schodsina verlagern werden und wir hier noch kein Essen bekommen haben, werden wir das nächste Mal erst morgen früh essen.“
Was wurde bei dir ins Protokoll geschrieben?
Sie befand sich mit Blumen an der Adresse Puschkinski Praspekt 21A , nahm an der Mahnwache teil. Keine Informationen darüber, welche Art von Mahnwache dort stattfand oder was ich dort tat. Bei der Verhandlung fand ich heraus, dass ich nach Aussage eines Zeugen irgendwelche Zeichen der Solidarität gezeigt hatte, aber im Bericht stand nichts darüber. Sie behaupteten auch, dass ich die Aufmerksamkeit von Autofahrern auf mich gezogen habe, aber wie könnte ich das tun?
Sie versuchten mich ständig davon zu überzeugen, dass ich durch meine Handlungen gegen das Gesetz verstoßen hatte, und die Polizei-Sondereinheit OMON behauptete auch, ich hätte sie provoziert. Ich fragte, wen ich provoziert hätte, und sie antworteten mir: „Gib nicht vor, ein Dummkopf zu sein.“ Vielleicht habe ich den Hausmeisterdienst zum Putzen provoziert?
Das heißt, es klappte nicht mit dem Dialog während des Prozesses.
Also hat die Richterin nicht mit mir gesprochen, sie hat nur das Video auf TikTok geguckt. Der Prozess fand über Skype statt, daher konnte ich nicht sehen, warum sie ständig auf das Telefon schaute. Aber mein Bruder war im Gerichtssaal und bemerkte, was los war. Er sagte, dass die Richterin während der Pause noch mit ihrem Assistenten über das TikTok-Video diskutierte.
Hast du erwartet, bei dem Prozess zu einer Haftstrafe verurteilt zu werden?
Ja, ich war mir sicher, dass nichts Gutes für mir erscheinen würde. Ein Mitarbeiter der Untersuchungshaftanstalt stand ständig bei der Verhandlung daneben, er ging nicht weg, selbst dann nicht, als ich über Skype mit einem Anwalt kommunizierte, obwohl solche Gespräche vertraulich sein sollten. Und als sie mir eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen verhängten, fragten ihn andere Mitarbeiter der Untersuchungshaftanstalt, wie alles endete, und waren überrascht, als sie von der Geldstrafe hörten. Ich denke, es war die Anwesenheit meines Anwalts, die mir geholfen hatte, und auch die Tatsache, dass das Protokoll mit Verstößen erstellt wurde. Ich hatte Glück, obwohl ich für nichts eine Geldstrafe erhalten habe.
Wird man dir helfen, die Geldstrafe zu kompensieren?
Ja, man hat mir vom ByMedSol-Fonds geschrieben, dass dies kein Problem sei. Bei der Arbeit hat man auch Geld für mich gesammelt, aber ich möchte einen Teil des Geldes an Palina Loika überweisen, sie wurde zu 25 Tagen Haftstrafe verurteilt.
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Die Medien haben vor einigen Jahren über dich als Mädchen mit einem ungewöhnlichen Tattoo geschrieben – ein Porträt von Lukaschenko auf deinem Bein. Ist das Tattoo noch vorhanden?
Ja doch. 2013 habe ich 22 Tagessätze dafür bekommen.
Unter welchen Umständen?
Ich wurde im Stadion vor einem Fußballspiel „Partizan“ festgenommen. Angeblich rannte ich herum und flüchtete, und in diesem Moment erschien plötzlich ein Zug von OMON Einsatzkräften. Tatsächlich warteten meine Freundin und ich nur auf den Beginn des Spiels. Ich hatte einen Streit mit einem Sonderpolizisten und er schlug mich auf mein Bein, direkt auf Sascha [Lukaschenko-Tatoo – Anm.] Ich war verärgert und fragte ihn: „Lieben Sie etwa nicht unseren Präsidenten? Wie arbeiten Sie dann hier?“ Irgendwann wurde dieser Mann wütend, machte ein Zeichen und die OMON-Polizisten legten mich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden. Infolgedessen wurde ich festgenommen und wäre vielleicht zu einer Haftstrafe verurteilt worden, aber ein Krankenwagen hat mich mitgenommen.
Hattest du eine Verletzung?
Es ist wahrscheinlicher, dass sich die Polizeidirektion der Inneren Angelegenheiten des Bezirkes einfach nicht mit mir befassen wollte. Als die OMON mich hereinbrachte, sahen sie mich überrascht an, mich, einem 158 Zentimeter groß, in einem weißen T-Shirt und Shorts. Als sie anfingen, meine Sachen zu beschreiben, leerte ich gerade den Inhalt der Tasche auf dem Tisch. Ich fuhr von der Schule nach Hause und in meiner Tasche befanden sich medizinische Bücher und ein Phonendoskop. Sie fragten: „Sind Sie Ärztin?“ Ich antwortete – noch nicht. Infolgedessen wurde ich des Rowdytums und des Widerstands beschuldigt. Es gab vier Opfer – den OMON-Zugführer und drei Kollegen, die sich für ihn einsetzten. Angeblich habe ich die Uniform aller vier zerrissen, beleidigt und alle geschlagen. Als das Protokoll vorgelesen wurde, in dem dies alles geschrieben war, lachten alle in der Polizeidirektion der Inneren Angelegenheiten des Bezirkes, und ich saß unter Schock. Meine Augenbraue wurde schwer zertrümmert, sie riefen einen Krankenwagen und ließen mich später frei. Ich verließ das Land für anderthalb Monate und fand bei meiner Ankunft im Briefkasten einen Gerichtsbeschluss und eine Geldstrafe. Meine Mitarbeiter haben mir geholfen, diese zu bezahlen.
Warum hast du dich überhaupt für ein solches Tattoo entschieden? Nur zum Spaß?
Ja doch. Ich war etwa 19 oder 20 Jahre alt, und wer zeichnet sich in diesem Alter schon durch besonders überlegtes Handeln aus?
Hast du nicht daran gedacht, das Tattoo zu entfernen?
Vollständig zu entfernen – nein, ich habe nicht daran gedacht, sondern ich wollte es korrigieren. Eigentlich habe ich noch mein anderes Bein und es gibt auch Kolja, also ist das in Ordnung.
Ich bereue nicht, dass ich mir dieses Tattoo zugelegt habe. Ich habe meine eigenen Tattoos für mich gemacht und nicht wirklich darüber nachgedacht, worauf die Leute achten würden. Ich habe einige sehr krumme Tattoos, aber ich werde sie nicht überarbeiten. All dies ist ein Spiegelbild meines Lebens in einigen Momenten, es ist eine Erfahrung.
Im Herbst wurde deine Aussage in Storys weit verbreitet. „Du hast darüber nachgedacht, warum Kickboxer sich nicht über die Gewalt im Land äußern“
Ich habe dort geflucht. Ich habe diese Storys speziell vor meiner Mutter versteckt, und als ich sah, dass sie im ganzen Internet verbreitet worden war… Den ganzen Tag schaute ich auf das Telefon und dachte, meine Mutter würde mich anrufen und mir von der Storys erzählen, aber sie hat nie angerufen.
Wie haben deine Freunde aus dem Sport auf dieses Video reagiert?
Einige waren beleidigt und haben dann einen Pro-Regierungsbrief unterschrieben. Es hat Spaß gemacht da zuzusehen. Sie haben alles persönlich genommen, es kommt vor, dass die Menschen sich einfach als den Nabel der Erde betrachten. Tatsächlich war ich sehr wütend über ihr Schweigen, weshalb ich mich in der Storys ausdrückte. Ich war auch überrascht, dass man ausgerechnet mich fragte, warum Kickboxer sich nicht offen äußern – fragen wir sie doch selbst!
Meine subjektive Meinung, und die betrifft nicht nur Sportler, ist folgende: Irgendwann, am Anfang des Septembers, musste jeder eine Entscheidung treffen. Wer sich äußern wollte – er hat sich geäußert, der Rest wartet nur noch ab, wer gewinnt. Es ist schon klar, dass wir in unseren Küchen sitzen und über alles diskutieren.
Ich sage nicht, dass die Stillen schlechte Menschen sind, ich sage nur, dass es ihnen egal ist. Auf der einen Schale der Waage liegen Menschenleben, die verletzt wurden, und auf der anderen Schale sind Gehälter, aber nur eine davon kann man wählen. Das heißt, du musst bereit sein, entweder die Leben anderer Menschen preiszugeben und dafür dein Gehalt zu kassieren, oder dich zu widersetzen, aber dabei zu verstehen, wie es für dich enden kann.
Einige Leute fragen: „Vielleicht merken die Athleten das alles einfach nicht?“ Sind sie Dummköpfe und können nicht lesen? In den Sporthallen reden alle untereinander über Politik, manchmal hängt man in den Umkleideräumen sogar Verbots-Ankündigungen auf, all dies zu diskutieren. Und wir alle verstehen die Meinung der Mehrheit der Athleten, die Machthaber werden nur von einigen wenigen unterstützt. Aber diejenigen, die dagegen sind, werden niemals etwas sagen. Es ist wichtiger für sie, das zu behalten, was sie jetzt haben. Und jemand dabei wird ständig jammern, dass es nicht genug für ihn ist, was er hat, aber es ist wichtig für ihn, die Position eines Opfers für sich zu behalten.
Gibt es Unterzeichner des Pro-Regierungsbriefes unter deinen Bekannten?
Ich habe einen Trainer, Dsima Walent, aber Dsima hat später seine Unterschrift zurückgezogen. So wie ich es verstehe, bezweifelte er allgemein, ob er den Brief unterschreiben sollte. Alles ist klar: Wenn man dir einen Brief und einen Arbeitsvertrag vorlegt, ist dies für viele ein entscheidender Faktor. Ich verstehe mich gut mit Dsima, daher war es für mich ein wenig beleidigend, etwas über seine Unterschrift zu erfahren. Bei den übrigen Unterzeichnern war alles wie erwartet.
Warum?
Sie lieben sich selbst mehr und das ist keine schlechte Qualität für einen Sportler. Vielleicht gewinnen sie etwas dadurch irgendwie.
Aber was ist mit der Motivation, das Volk zu vertreten?
Was mich betrifft, geht ein sehr kleiner Prozentsatz der Athleten in den Ring, um Schläge gegen den Kopf zu kommen und gleichzeitig zu denken, dass das Volk hinter ihnen steht. Sie gehen für sich selbst und bei den großen Champions ist es ein gutes Ego. Wenn du denkst, dass du zumindest etwas schlechter bist als dein Gegner, ist es unwahrscheinlich, dass du gewinnst – natürlich muss man sich auch selbst anstrengen.
Du hast doch beschlossen, den Brief für faire Wahlen zu unterschreiben.
Ich denke, es gibt mehr Punkte im Zusammenhang mit der Situation im Land als mit den Wahlen. Die Wahlen waren eher der Auslöser für alles, auch wenn sie so unverschämt gefälscht waren.
Bist du wählen gegangen?
Ja, wir haben mit der ganzen Familie gewählt. Mutter ging zum ersten Mal seit den 90er Jahren zu den Wahlen, sie war eine so typische Belarusin, die davon überzeugt war, dass ihre Stimme nichts bedeutete. Und dann hat sie mich im April noch gefragt, für wen es besser ist zu stimmen.