„Auf den Winter folgt sicher der Frühling“
25. Januar 2021, 14:18 | Radio Svaboda
Der Berater von Radio Svaboda und Administrator des Telegram-Kanals Belamova Ihar Losik beendete seinen Hungerstreik am 42. Tag. Dies gab der Anwalt Dsmitry Lepretar bekannt, der den politischen Gefangenen am 25. Januar im Gefängnis von Schodsina besuchte.
Durch einen Anwalt übermittelte Ihar eine Nachricht an alle, die ihn unterstützt haben:
„Ich habe beschlossen, den Hungerstreik zu beenden. Warum habe ich es getan? Eindeutig aus freien Stücken. Ich habe seit über 40 Tagen nichts mehr gegessen und ich glaube, ich hätte die Kraft länger durchzuhalten. Aber ich war schlichtweg überwältigt von der unglaublichen Welle der Solidarität. Und von den Bitten von Hunderten und Tausenden Belarusen, aufzuhören, unseren gemeinsamen Sieg bei guter Verfassung abzuwarten.
Ich weiß auch, dass viele Menschen ebenfalls einen Hungerstreik begonnen haben, während ich hungerte. Ich kann eine derartig große Last der Verantwortung nicht tragen, ich möchte nicht, dass andere für meine bewusste Entscheidung leiden müssen. Als ich all eure Appelle in den Briefen las, wurde mir klar, dass ich meine Familie und euch allen diese Sorgen und Befürchtungen nicht zumuten kann.
Ich hatte nie den Wunsch aufzufallen, ich wollte keine öffentliche Aufmerksamkeit.
Ich wollte nur in Frieden leben und meine Tochter großziehen. Aber ich war gezwungen, zu dieser extremen Maßnahme zu greifen.
Ich war lange vor den Wahlen verhaftet worden und hatte keine Vorstellung von den drastischen Veränderungen, die in den letzten sechs Monaten stattgefunden haben. Im Gefängnis war es nicht so offensichtlich. Mir wurde aber klar, dass ich mich auf euch verlassen kann, denn ihr werdet es schaffen. Dessen bin ich mir jetzt absolut sicher. Ihr habt Mitgefühl und Solidarität, und sie scheren sich nicht um das Leid von Hunderten von Familien, um Kinder, um Menschenleben. Ihr werdet nicht enttäuschen. Das sind Zeiten, in denen es keine falschen Entscheidungen gibt, sondern nur Handlungen.
Auf den Winter folgt sicher der Frühling, die Nacht weicht der Morgendämmerung. Der Lauf der Geschichte konnte noch nie durch Dekrete, Verhaftungen oder Erschießungen gestoppt werden.
Einen riesigen Dank euch allen für eure Unterstützung, ich werde auf die guten Nachrichten warten.
P.S. Viele haben geschrieben, ich würde nichts erreichen. Das stimmt nicht. Ich habe nicht nur auf meinen eigenen Fall aufmerksam gemacht, sondern auch auf die Situation der politischen Gefangenen in unserem Land. Über uns wird jetzt laut gesprochen und auf allen möglichen Plattformen wird die Freilassung der unschuldig Inhaftierten und Verurteilten gefordert. Das ist nicht wenig. Ich hoffe, dass auch nach meinem Hungerstreik das Thema der politischen Gefangenen nicht von der öffentlichen Agenda verschwindet. Nochmals vielen Dank an alle für eure Unterstützung und Solidarität.“
- Ihar Losik ist seit dem 25. Juni 2020 im Gefängnis – 212 Tage. Seit dem 15. Dezember 2020 hat Ihar aus Protest gegen eine neue Anklage nach Artikel 293 – Vorbereitung auf die Teilnahme an Massenunruhen – dauerhaft die Nahrung verweigert.
- Zuvor wurde Ihar nur nach Artikel 342 des Strafgesetzbuchs angeklagt – Organisation und Vorbereitung von Maßnahmen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen.
- Nach einem Monat Hungerstreik begann sich Ihars Zustand zu verschlechtern, und letzte Woche wurde er in eine Zelle mit Videoüberwachung gebracht. Nach seiner eigenen Aussage hat er extreme Blutdruckschwankungen im Laufe des Tages. Gefängnisärzte besuchen Ihar regelmäßig in seiner Zelle, und ein Psychologe sprach auch mit ihm.