Er bestätigte seine Mitarbeit in Babarykas Stab und im Koordinationsrat – doch er glaubte nicht, dass er danach festgenommen werden würde
29. August 2020 | Maria Melekhina, KYKY
Am 28. August wurde von Unbekannten in Minsk ein Unternehmer und Mitgründer der Agentur „Terra Group“ Vitalij Kriwko, der auch ein Mitglied des Koordinationsrats (KR) und Babarikas Stabs ist, gekidnappt. Kurz zuvor, am 26. August, gelang es KYKY mit Vitalij das erste und leider auch bisher letzte Interview über seine Rolle im Stab und in der zukünftigen Entwicklung dieses Landes zu führen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes haben die Kollegen von Vitalij uns mitgeteilt, dass er nach einem Besuch im Departement für Finanzermittlungen (DFE) nach Okrestino gebracht worden ist.
Teil 1. Koordination des Babarykas Stabs. „Sich zusammen fürchten ist einfacher“
Wer waren Sie vor Beginn Ihrer politischen Karriere? Bitte erzählen uns Sie Ihre Geschichte.
Politische Karriere klingt etwas übertrieben. Ich bin ein Unternehmer: Ich kümmere mich um die Organisation großer unternehmensinterner Veranstaltungen. Es gibt keine große Firma, mit der wir noch nicht zusammengearbeitet haben. Ich habe auch ein Gastronomieunternehmen – oder ich hatte es bevor COVID-19 nach Belarus kam. Der Markt ist kollabiert, und für die nächsten zwei Jahre kann man vergessen, dass er wieder auf das Niveau von 2019 kommt. Daher hatte ich Zeit und habe mich vom ersten Tag der Wahlkampagne an dem Stab von Viktar Babaryka angeschlossen.
Das Ziel war möglichst viele Unterschriften zu seiner Unterstützung zu sammeln. Die meisten Politstrategen behaupteten, dass 100.000 Unterschriften der apolitischen Einwohner von Belarus zu sammeln unmöglich wäre. Das Gegenteil war aber der Fall – wir haben 435.000 Unterschriften in ganz Belarus gesammelt. Die Verifizierung der Unterschriften war die Aufgabe einer anderen Person und es war enttäuschend, zu hören, dass die Hälfte der Unterschriften angeblich ungültig waren.
Haben Sie währenddessen Druck verspürt? Gab es vielleicht Drohungen?
Ich persönlich erhielt keine Drohungen, aber Druck verspürte man beim Sammeln der Unterschriften auf jeden Fall. Die Atmosphäre war gespannt. Es wurden uns diverse Steine in den Weg gelegt: Man sagte z.B.: „Hier darf man nicht stehen.“ oder rief OMON Polizisten. Man fragte mich immer: „Warum machst du bei denen mit? Das ist Politik. Du weißt schon, in welchem Land du lebst, oder?“
Die OMON Polizisten haben niemanden geschlagen?
Damals war quasi alles ruhig. Wir trafen uns mit den Wählern, die Viktar Dsmitryjewitsch immer gerne besuchte. Aber es gab immer eine leichte Spannung in der Luft, wenn du schon eine Veranstaltung im vorraus geplant hattest und man dich dann am Tag zuvor anrief und sagte: „Wir können Ihnen wegen einer Inspektion des Sanitätsamts den versprochenen Saal nicht zur Verfügung stellen.“ Viele Hotels haben uns abgesagt. Die haben ganz plötzlich irgendwelche Konferenzen organisiert. Uns war natürlich klar was dahintersteckt und wir konnten darüber nur lachen. Das zuständige Team – das „Road Show“ Projekt – tat wirklich sein Bestes, obwohl es jeden Tag vor neuen Herausforderungen stand. Dann wurde Viktar Dsmitryjewitsch inhaftiert, und das war ein harter Schlag für den Stab, weil es schwierig war, ohne den Kandidaten und Stableiter zu arbeiten. Wir glaubten immer noch, dass er als Kandidat registriert werden würde, aber… Und dann entschieden wir, unsere Kräfte zu vereinigen um Swetlana Tichanowskaja zu unterstützen.
Gab es ausser Swetlana noch andere Kandidaten, hinter die sich die Opposition vereint stellen konnte?
Wir haben uns alle Kandidaten angeschaut, da jede Hilfe und Verstärkung willkommen war. Ich bin dafür, mit allen zu sprechen und gemeinsam Kompromisse zu finden, aber in der Politik scheint das nicht so einfach zu sein und jeder hat seine eigenen Interessen. Außerdem hatte Tichanowskaja zu der Zeit die breiteste Unterstützung unter den alternativen Kandidaten.
Ich wiederhole: Wir glaubten bis zum Ende daran, dass Viktar Dsmitryjewitsch als Kandidat registriert werden würde. Wir erfüllten die Anforderung was die Zahl der Unterschriften angeht und haben die Gesetze respektiert, was uns nicht besonders beliebt gemacht hat. Als man erfahren hat, dass Babaryka nicht als Kandidat registriert wurde, versammelten wir uns alle, der gesamte Stab, um zu klären ob wir bereits wären bis zum Ende zu gehen. Es stellte sich heraus, das alle dazu bereit waren. Wir haben einstimmig beschlossen uns nicht nur vereinigt hinter eine alternative Kandidatin zu stellen, sondern hinter das gemeinsame Ziel.
Was war als Mitglied des Triarchienstabes mit Swetlana Tichanowskaja an der Spitze ihre Aufgabe?
Meine Aufgabe war die Organisation der Prozesse, die Personalauswahl. Ich organisierte Demonstrationen zur Unterstützung von Zichanouskaja während der Wahlkampagne. Dazu gehörten die Logistik, das technische Personal, die Moderatoren. Man muss ja immer früher da sein, den örtlichen Behörden die entsprechenden Zulassungen zeigen, und so weiter.
Wurden Ihnen da schon wieder Steine in den Weg gelegt?
Es gab natürlich gewisse Hindernisse, aber zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon eine Immunität dagegen. Es könnte zum Beispiel so etwas passieren: unsere Mitarbeiter kamen an, hatten alle Zulassungen und Papiere dabei. Wir begannen schon die Ausrüstung zu montieren und dann einer Stunde vor dem Beginn der Veranstaltung sagte man uns plötzlich: „Man darf hier nichts durchführen – geht an einen anderen Platz“. Das war eine der kleinen Störungen, über die wir eher lächelten. Wir haben sowas immer erwartet. Aber es gab auch Leute, die uns sagten: „Macht euren Job – alles wird gut.“ Und alles war tatsächlich gut.
Haben Sie etwas von Menschen gehört, die vom Westen bezahlten wurden, um an den Oppositionsdemonstrationen teilzunehmen?
Natürlich nicht! Ich kann es mir kaum vorstellen, wie das überhaupt möglich sein sollte. Wie kann man eigentlich Geld aus dem Westen hierher überweisen? Man würde solche Überweisungen sofort entdecken und darüber öffentlich berichten. Jeder versteht welche Konsequenzen das haben würde. Die Moderatoren unserer Veranstaltungen fragten nie nach einem Honorar. Sie arbeiteten für eine Idee – niemand wurde bezahlt.
Warum haben Sie beschlossen in genau diesem Moment ein öffentliches Interview zu geben, Ihr Gesicht zu zeigen?
Nun findet eine neue Wende statt. Ich habe mir selbst versprochen, dass ich nur bis zum 9. August arbeite und mit den Unterschriften helfe. Das ist mein Beitrag zum gemeinsamen Ziel und meine Erfüllung der Bürgerpflicht. Und ich habe tatsächlich gute Arbeit geleistet. Dann fuhr ich mit meiner Familie in Urlaub, um mich zu erholen. Als ich zurückkam, sah ich einen unglaublichen zivilen Aufstand der Gesellschaft, eine Atmosphäre der Solidarität. Die Belarussen sind klasse und ich werde immer darauf stolz sein, dass ich ein Belarusse bin. Darum habe ich beschlossen, wieder in dem Stab zu arbeiten, um einen Dialog zwischen der Gesellschaft und den Behörden aufzubauen.
Haben Sie schon mal über an Emigration gedacht?
So einen Gedanken hatte ich noch nie.
Und lebt Ihre Familie in Belarus?
Ja.
Haben Sie keine Angst, alles wegen Ihrer bürgerlichen Stellung zu verlieren? Und dass es im Prinzip Druck auf Ihre Familien geben kann? Wie es mit Tichanowskaja und Zepkalo passiert ist?
Natürlich habe ich Angst wie jeder Mensch, aber sich zusammen zu fürchten ist einfacher.
Teil 2. Der Koordinationsrat. „Warum befindet sich das Land in einem gesetzlosen Zustand?“
Heute wurde bekannt, dass ein Unternehmer namens Andrej Voronin, der ebenso zum Koordinationsrat gehörte,das Land wegen der Verhaftungsgefahr verlassen musste.
Ich tue nichts Illegales und organisiere keine illegalen Demonstrationen. Meine Arbeit machte ich während der Wahlkampagne und die war erlaubt. Ich organisierte die sanktionierten Demonstrationen in der Regionen und in Minsk. Manche Veranstaltungen wurden persönlich von Vertretern von Tichanowskaja organisiert, zum Beispiel in Mahiljou. Unsere Aufgabe war es, den Komfort und die Sicherheit der Besucher zu gewährleisten.
Aber Sie verstehen doch, dass in unserem Land jeder verhaften werden kann. Voronin wurde aus ökonomischen Gründen angeklagt: Steuerhinterziehung undVerschleierung großer Einkommensmengen. Aber Voronin selbst verbindet diese Verhaftungsgefahr mit seiner Teilnahme am Koordinationsrat und seiner öffentlichenbürgerlichen Position.
Mein Geschäft wurde im Februar 2020 wegen der Epidemie eingestellt. Unsere Kunden haben alle ihre Veranstaltungen entweder auf das Jahr 2021 verschoben oder ganz aufgegeben. Es geht meinen Geschäft also 2020 sowieso nicht gut. Vielleicht bringt 2021 einige positive Änderungen, aber das wird sicher nichts mehr im gleichen Umfang und Format.
Sie gehören doch auch zum Koordinationsrat, dessen Teilnehmer zukünftig auch verhaftet werden könnten.
Zum Koordinationsrat gehöre ich nur seit dem 25. August. Und ich interessiere mich eigentlich nicht für die juristische Beschaffenheit dieser Organisation. Ich will einen Dialog innerhalb der Gesellschaft aufbauen, damit es keine Spaltung in der Gesellschaft gibt. Ich mag es nicht, wann die Leute wegen der Flaggen streiten. Das ist wirklich nicht das Wichtigste heutzutage. Es ist wichtig, ein Recht auf Meinungsfreiheit zu haben und einen Dialog führen zu können. Leider versucht man heutzutage das zu verhindern und die Menschen wegen der Flaggen gegeneinander aufzuhetzen.
Möchten Sie diesen Dialog direkt mit den Wählern aufbauen, oder mit der „Regime“?
Ich würde gerne mit den regionalen Ideologen, die direkt mit den Leuten arbeiten, sprechen.
Sie denken, die werden Ihnen zuhören?
Ich weiß es nicht, aber wenn man mit ihnen nicht redet, werden sie einem sicher nicht zuhören, Einen Dialog ohne Geschrei auf dem Platz zu führen ist schwierig, sogar unmöglich. Ein Dialog, zum Beispiel, in einer Küche, ist dagegen viel einfacher zu organisieren. Sie werden mir eventuell nicht zuhören, aber vielleicht werde ich dem zuhören, was sie zu sagen haben. Alles ist möglich. Bisher habe ich noch nicht begriffen, was für eine Motivation z. B. ein Ideologe im Bezirk von Krupski dafür hat, die Leute zur Unterstützung von Lukaschenko aufzurufen. Viele sind überzeugt, dass sie etwas richtiges machen.
Der Dialog mit den Ideologen ist wichtig, aber es hat noch keine Revolution ohne Spaltung der Elite, unter anderem auch unter hochrangigen Beamten in der Regierung, gegeben. Manche sind ja bereits zur Seite des Lichts übergewechselt, die andere aber verteidigen das Regime. Zum Beispiel, Makej und Karajew sind Lukaschenko treu geblieben. Was denken Sie, kann man diese Leute noch anders überzeugen?
Ich denke, sie glauben wirklich daran, was sie im belarussischen Fernsehen sehen. Aber früher oder später findet die Spaltung bei diesen Regierungsmitgliedern statt. Die Änderungen sind nicht mehr zu übersehen. Belarus kann nicht mehr zum Ausgangspunkt zurückkehren. Erstens haben die Menschen verstanden, wie toll das ist miteinander solidarisch zu sein. Sie haben das Gefühl, dass sie endlich gehört werden. Es gibt noch keine konkreten Aktionen, aber man fühlt, dass wir an die Tür klopfen. Ich glaube die hochrangigen Beamten werden auch bald zu den belarussischen Menschen kommen um zu reden.
Und möchten Sie mit den Beamten sprechen?
Wenn ich eine Möglichkeit hätte, würde ich sie auf jeden Fall nutzen. Diese Personen sind sehr lange im System, sie haben feste Ansichten, sie wissen sehr viel und es gibt sicher tolle Kerle unter ihnen.
Und mit Polizisten?
Ja, auch. Die Hauptsache ist, dass es einen Dialog geben muss. Ich will ihre Position verstehen.
Sie haben gerade eine Chance, sich an diese Menschen zu wenden.
Ich will wissen, wieso es so viele Menschen gibt, die mit der Lage im Land nicht zufrieden sind. Ob man in der Regierung eine Erklärung dafür hat? Warum respektiert man das Gesetz nicht mehr und warum herrscht heute ein gesetzloser Zustand im Land? Ich hoffe, dass diese hochrangigen Beamte überzeugende Worte finden werden.
Was denken Sie ist die Motivationder Leute des Regimes? Sie müssen ja früher oder später die Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen. Lukaschenko wird es nicht immer geben.
Ich denke, ein Teil von ihnen macht sich gar keine Gedanken darüber. Wenn man seit Jahren in sogenannter Stabilität lebt, gewöhnt man sich daran. Sie glauben schon, dass es immer so bleiben wird. Auch diejenigen, die unmittelbar an der Wahlfälschung teilgenommen haben, glaube ich, machen sich keine Sorgen über die Konsequenzen und über ihre Verantwortung. Viele wollen einfach möglichst lang an ihrer Stelle arbeiten, egal ob Lehrer/in oder Amtsperson.
Wenn die Lage im Land sich ändert, wird die Gesellschaft diesen Leuten trotzdem verzeihen müssen, auch wenn es ihr sehr schwer fallen wird.
Sonst wird es eine dramatische Spaltung in der Gesellschaft geben. Ich sehen meine Aufgabe darin, die Menschen zu vereinigen. Auch diejenigen, die immer noch an das Regime glauben. Ich weiß nicht, wie viele das sind, aber die gibt es bestimmt immer noch. Ich möchte nicht, dass sie sich danach als Außenseiter fühlen. Ich möchte, dass sie das Leben im neuen Belarus auch genießen.
Es ist eine Schande, von Lukaschenkos Wählern verachtet zu werden und das dulden zu müssen. Und von OMON Polizisten auf der Straße verprügelt zu werden, nur dafür, dass die Menschen, die heutzutage das Regime verteidigen, später das Leben im neuem Belarus auch genießen könnten. Finden Sie nicht?
Ich verstehe, was Sie meinen, aber wenn wir das Land schnell und ohne Gewalt ändern möchten, müssen wir uns einigen. Wir dürfen die Leute später nicht in diejenigen aufspalten, die etwas geändert haben und jene, die sie nur verachtet haben.
Gibt es unter Ihren Bekannten Lukaschenko-Wähler?
Ja, es gibt ein paar.
Und, haben Sie es geschafft deren Meinung zu ändern?
Sie haben gesagt: „Wir haben Lukaschenko gewählt, da wir mit allem zufrieden sind. Wir stimmten für die Stabilität.“ Ich kann diese Position verstehen und respektieren, genauso wie sie meine Position. In dieser Situation kann jeder seine eigen Meinung haben. In einer zivilisierten Gesellschaft muss man mit jeder Meinung rechnen, aber die endgültige Entscheidung wird von der Mehrheit getroffen.
Teil 3. Die Zukunft. „Man darf nicht im Büro rennen. Alles andere darf man“
Lassen Sie uns wieder über die Veranstaltungen reden, da Sie das professionell machen. Was denken sie über Demonstrationen für Lukaschenko? Ist das akzeptabel? Und was denken Sie über die Regierungspropaganda, die nach dem Wahltag begonnen hat? Die Autos ohne Kennzeichen mit den Flaggen und Liedern über Sanja (Aljaksandr Lukaschenka), die Helikopter usw…
Jede Veranstaltung muss wirksam sein. Man kann versuchen finanzielle Ziele zu erreichen, oder die Loyalität der Mitarbeiter zu stärken, wenn es sich um eines korporatives Event handelt. Ich denke nicht, dass Demonstrationen für Lukaschenko effektiv sind – sie finden keinen Anklang bei den Leuten. Und die Kosten für die Helikopterflüge sind, glaube ich, viel höher als die erwünschte Wirkung.
All Ihre Aktivitäten innerhalb des Koordinationsrats machen sie kostenlos?
Ja, ich arbeite absolut unentgeltlich. Und ich habe vom Anfang an entschieden, dass niemand mehr aus meiner Agentur sich daran beteiligt. Es gibt gewisse Risiken und ich wollte niemanden hereinlegen. Unser ehemaliges Büro haben wir für die Errichtung des Stabs von Viktar Babaryka noch im Mai vermietet, da wir uns seinen Unterhalt haben nicht mehr leisten können (dort war auch der Triarchieneinheitsstab und jetzt befindet sich da der Koordinationsrat – Anmerkung von KYKY).
Wie haben Ihre Familie, Freunde und KollegInnen reagiert, als Sie entwchieden haben sich Babarykas Stab anzuschließen und dann dem Koordinationsrat?
Meine Eltern haben darüber nichts gewusst, ich habe ihnen das nur vorgestern mitgeteilt. Sie sind alt und haben es zu Herzen genommen. Hoffentlich endet das alles bald. Ich habe eine schlimmere Reaktion erwartet. Ich habe gedacht sie werden anfangen folgende Fragen zu stellen: „Warum bist du zu da gegangen? Wozu brauchst du das? Du könntest doch weiter ruhig leben.“ Meine Frau macht sich auch Sorgen, aber sie kennt mich.Man kann mich nicht überreden. Und wir haben ja bis jetzt ausschließlich im Rahmen des Gesetzes gehandelt.
Aber es herrscht das gesetzliches Default über Belarus. Das Gesetz gibt es nicht mehr.
Das bedeutet aber auch nicht, dass wir dagegen verstoßen sollen. Das sind unsere Werte. Und wenn wir darum kämpfen, dass alles laut Gesetz ist, haben wir kein moral Recht, irgendwo irgendwie gegen Gesetz zu handeln. Wie sonst?
Was genau werden Sie im Koordinationsrat tun?
Ich bin für die Kommunikation zuständig. Nun brauchen wir ein Instrument, das den Dialog zwischen der Gesellschaft und den Amtspersonen ermöglicht. Wie soll man das schaffen, wenn die Spannung ziemlich stark ist? Das muss man überlegen.
Werden Sie weiter in der Politik bleiben?
Auf jeden Fall nicht. Es gibt wenig Ehrlichkeit in der Politik.
Auf beiden Seiten?
Es ist unterschiedlich. Ich war meistens in Babarykas Stab tätig, deswegen kann ich sagen, dass alles da möglichst offen und ehrlich war. Wenn KGB (Ausschuss für staatliche Sicherheit) uns sofort einen Geschäftsraum in seinem Gebäude gewährt hätte, sollte man kein Staatsgeld dafür ausgeben – wir sind ja maximal öffentlich. Es gibt keine Doppelte Standarte bei uns, damit man später sagen könnte, es sei anders.
Echt? Es ist nicht Ihr Ernst, oder?
Erstens, wir haben wir keine Zeit dafür, zweitens, haben wir keinen professionellen Politiker und keinen richtigen Kampagnendirektor. Alle Entscheidungen wurden etwa so getroffen: Heute entschieden – morgen umgesetzt. Weil wenn wir sie morgen nicht umsetzen, wird sie übermorgen nicht mehr aktuell. Wir haben keine Zeit für doppelter Standarten. Was den Triarchienstab angeht, haben wir uns um das gemeinsame Ziel und die Prinzipien geeint, und nicht um bestimmte Menschen. Und nur nach drei Tagen nach der Vereinigung haben wir gedacht, dass wir wohl auch einen Security gebrauchen können – früher kam bloß keiner von uns zu solcher Idee.
Lukaschenko sagte, dass ihr selbst den Staat gebeten habt, euren Stab zu schützen. Ist das wahr?
Ich weiß nichts davon, ich flog mit meiner Familie in Urlaub sofort nach dem Wahltag. Aber ich kann vermuten, dass irgendwelche betrunkenen Kerle unsere Tür haben anklopfen können und jemand die Polizei hat anrufen können. Gilt das als eine Bitte an den Staat?
Kann sein.
Dann haben sich Sie schon selbst die Frage beantwortet. Aber meine Vermutung ist rein theoretisch.
Wie ist die Lage im Stab aktuell? Ist man nervös?
Unterschiedlich – wir alle sind doch nur Menschen. Wenn jemand festgenommen wird, geht es allen fürchterlich schlecht. Wenn jemand Geburtstag hat, herrscht da eine ganz andere Atmosphäre. Aber meistens sind alle positiv gestimmt. Wir könnten einander natürlich immer erzählen, dass du morgen festgenommen wirst, aber was käme dabei raus? Deswegen ist der Humor unsere Rettung. Ohne den hätten wir vieles nicht geschafft. Wir hätten uns sonst nur selbst erdrückt. Wozu das? Es gibt schon genug Leute, die sich das wünschen.
Natürlich gibt es noch Leute, die eine Hierarchie schaffen wollen, aber wir haben damit nichts zu tun. Und wir schätzten diejenigen, die schon lange zu uns gehören. Und den Neuen erzählen wir, was man machen darf und was nicht.
Und was darf man dann nicht?
Es gibt ein Prinzip: Keine Hetze im Büro. Das sorgt nur für eine angespannte Atmosphäre. Als unser Stab zum Beispiel Wachleute angestellt hat, begannen die Hektik in unsere Tätigkeit zu bringen. In einer Atmosphäre, in der man sich so fühlt, als ob man vor jemandem fliehen und sich verstecken müsste, kann man kaum etwas ausdenken und schöpferisch tätig sein. Einmal hatte ich genug davon und habe gesagt: „Vor der Bürotür könnt ihr alles machen was ihr wollt, aber im Büro wird sich ruhig verhalten wird nicht gehetzt.“ Tja, es gibt noch allgemeine Regeln im Büro: Nach dem Essen wird das Geschirr abgespült. Davon abgesehen kann man machen, was man will.
Der beste politische Scherz, den Sie hier gehört haben, lautet…
Daran kann ich mich nicht erinnern. Aber das letzte Mal, als wir gelacht haben, hat Mascha Kolesnikowa erzählt, wie man sie festgenommen und mit jemandem verwechselt hat (lacht). Das ist wirklich komisch. Sie hat das auch richtig gut erzählt. Wir lachen über einfache Dinge. Mein Kumpel Ilja Schapotkowskij befindet sich zum Beispiel im Moment im Isolationszentrum. Und er schrieb uns einen Brief: „Na endlich kann ich mich erholen.“ Ilja arbeitet rund um die Uhr in der Abteilung für Unterschriftsverifizierung. Das war lustig und ergreifend zugleich. Sein Anwalt erzählte dann, dass er so einen lebensfrohen Gefangenen noch nie gesehen hat.
Aber das ist Lachen unter Tränen.
Nein. Das ist die Fähigkeit seine Laune zu bestimmen, auch für sich selbst. Natürlich kann man in Angst versinken und ständig darüber nachdenken, dass man dich morgen festnimmt, aber das macht das Leben und die Arbeit nur schwerer. Jeder bestimmt seinen eigenen Weg. Hier haben sich schön positive und nicht so schlechte Menschen gesammelt, die versuchen, etwas in diesem Land zu ändern.
Verstehen Sie, dass das, was heute passiert, von historischem Wert ist und dass es für Sie persönlich ein Einwegticket sein kann? Wenn sich nichts verändern wird, werden Sie in diesem Land höchstwahrscheinlich nicht mehr leben und arbeiten können.
Ich mag das Leben in Belarus, ich mag Minsk, obwohl ich aus Krupki komme. Und ich will nicht ausreisen, obwohl ich sowohl nach Europa, als auch in die USA kann. Ich tue nichts Illegales und ich bin ein ziemlich guter Event-Spezialist. Wenn der Markt diese Krise überlebt, möchte ich mich hier so nützlich wie möglich machen. Die Angst stumpft den Verstand ab und nimmt einem die Möglichkeit, selbstständig zu entscheiden – wenn man nicht die richtigen, sondern nur die sicheren Entscheidungen trifft. Ich bin eigentlich sehr ängstlich, aber es ist unmöglich, stets in Angst zu leben. Ich mag diesen Zustand nicht,er ist sinnlos.
Also, wenn ich es darf, werde ich hier bleiben. Es gibt aber einige alltäglichen Umstände, die die Lage noch beeinflussen könnten. Zum Beispiel, wenn ich hier nicht genug verdienen werde könnte, um für meine Familie zu sorgen. Und wenn der Markt sich nicht erholt, werde ich nach neuen Einkommensquellen suchen müssen. Jewhen Tschernjak sagte einmal, dass man im Geschäft nach seinem Erdöl suchen muss. Und Belarus hat seines gefunden. Unser Potenzial sind die Menschen die endlich erwacht sind und die innere Emigration verlassen haben. Mit dieser Kraft sind wir im Stande, alle Krisen zu überwinden, allen möglichen finanziellen Hürden zum Trotz. Ich habe noch nie so sehr an Leute geglaubt. Ich war noch nie auf mein Land so stolz wie heute.
Haben Sie schon Champagner gekauft?
Ich trinke keinen Champagner. Ich trinke zurzeit gar nicht. Ich habe mir einfach vorgestellt, wie das wäre, festgenommen zu werden und dabei noch Kopfweh zu haben. Das wäre sehr unangenehm. Aber sobald das alles zu Ende ist, trinke ich mit meinen Freunden einen Cognac.