Zusammenfassung der Ereignisse in Belarus: die Woche nach den Wahlen

17/08/2020

Wir übersetzten Artikel von unabhängigen belarusischen Medien in 6 Sprachen: Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch und Polnisch.

Videoinhalte in englischer Sprache finden Sie hier: https://www.facebook.com/prayforbelarus/videos/

Veröffentlichungen in 6 Sprachen: https://drive.google.com/drive/u/0/folders/1pObuct5Knsk66Xy7XotTMcyZS7pcpVdQ

Allgemeine Informationen:

Am 9. August fanden in Belarus Präsidentschaftswahlen statt. Das waren die sechsten Wahlen, bei denen Alexander Lukaschenko zum Sieger erklärt wurde (1994, 2001, 2006, 2010, 2015, 2020). Damit ist Lukaschenko seit 26 Jahren durchgehend im Amt des Präsidenten von Belarus. Seine politischen Opponenten werden immer wieder strafrechtlich verfolgt und landen oftmals hinter Gittern.

Der Wahlkampf 2020 zeichnete sich dadurch aus, dass Lukaschenkos Mitbewerber bereits in den Anfangsstadien des Wahlkampfes verhaftet wurden. So wurde der bekannte Blogger Sergej Tichanowskij bereits im Mai nach einer Provokation während einer Kundgebung festgenommen. Später berichteten die staatlichen Medien, man habe hinter seinem Sofa 900.000 Dollar gefunden.

Tichanowskijs Frau, Swetlana Tichanowskaja, beschloss, anstelle ihres Mannes zu kandidieren und wurde als Kandidatin registriert. Nach der Verhaftung von Viktar Babaryka und Drohungen gegen Valery Tsepkalo – zwei weitere beliebte Kandidaten – und nach ihrer Nichtregistrierung als Kandidaten vereinen sich ihre Wahlkampfteams um Swetlana Tichanovskaja.

Die Kundgebungen des um Swetlana Tichanowskaja vereinten Wahlkampfteams in verschiedenen Städten von Belarus hatten enormen Zulauf von Bürgerinnen und Bürgern, die sich Veränderungen wünschen. Am Wahltag erlebten belarusische Bürger zahlreiche Verstöße gegen die Wahlordnung:  Manipulation von Wahlscheinen, fehlende Beobachter sowie Behinderung der Stimmabgabe an belarusischen Botschaften im Ausland.

Die Vorsitzende des Zentralen Wahlkomitees, Lidija Jermoschina, erklärte die Wahlen für gültig und erklärte Alexander Lukaschenko mit 80,1% der Stimmen zum Wahlsieger. Diese offensichtlich gefälschten Wahlergebnisse führen zu massiven Protesten im ganzen Land.

Die wichtigsten Ereignisse der vergangenen Woche

9. August:

1. Festnahmen von unabhängigen Beobachtern.

Ab dem ersten Tag der vorläufigen Abstimmung durften unabhängige belarusische Wahlbeobachter die Wahllokale nicht betreten. Sie wurden an der Arbeit gehindert. Die Mitglieder der Beobachterkommissionen (bestehend vor allem aus Lehrern und Vertretern der Staatsunternehmen) zogen immer wieder Polizei und Polizei-Sondereinheiten (OMON) hinzu, um gegen die unabhängigen Beobachter vorzugehen. Diese wurden “wegen Rowdytum” festgenommen.

2. Am Abend nach der Wahl begannen Massenproteste, die bis heute andauern.

Foto: Vadim Zamirovsky, tut.by.

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3. Landesweit wurde das Internet abgeschaltet. Offiziell wurde dies als „Angriffe von außen“ bezeichnet. Ein Dos-Angriff auf Belarus konnte nach Untersuchungen jedoch nicht bestätigt werden. Das Internet war vom 9. bis 11. August nicht verfügbar. In den Tagen danach funktionierte das Internet mit Unterbrechungen. Dabei waren staatliche Nachrichtenseiten durchgehend verfügbar.

4. Gewaltsame Inhaftierungen von friedlichen Demonstranten in ganz Belarus. Menschen wurden zusammengeschlagen, Spaziergänger auf der Straße festgenommen. Sicherheitskräfte zerstörten vorbeifahrende Autos. Menschen verschwinden spurlos. Häftlinge werden gefoltert und misshandelt.

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Foto: Vadim Zamirovsky, tut.by.

5. Von Anfang an wurden Blendgranaten und Gummigeschosse gegen friedliche Demonstranten eingesetzt. Blendgranaten wurden auch in die private Wohnungen geworfen.

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6. Sicherheitskräfte nehmen gezielt Journalisten  fest. An einem der Tage wurden Menschen, die Westen mit Aufschrift “Presse” trugen, mit Gummigeschossen beschossen. Im Nachhinein hatten einige Journalisten hatten Angst, diese Westen zu tragen.

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10. August:

7. Im ganzen Land bildeten Menschen Solidaritätsketten, nicht nur in großen Städten, sondern auch in kleinen Dörfern.

8. Swetlana Tichanowskaja reichte beim Zentralen Wahlkomitee Beschwerde ein und verschwand daraufhin für 7 Stunden. Danach veröffentlichte sie zwei Videobotschaften: Eine der Botschaften musste sie im Büro der Leiterin des Zentralen Wahlkomitees Lidija Jermoschina vom Blatt ablesen; in der zweiten erklärte Tichanowskaja, sie sei momentan in Litauen, da die Machthaber sie vor eine harte Wahl gestellt hatten.

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9. Am 10. August starb ein friedlicher Demonstrant, Alexander Taraikowskij, an der U-Bahnstation Puschkinskaja. Das Innenministerium gab zunächst bekannt, der Tod sei durch die Explosion eines Sprengsatzes verursacht worden, den der Getötete angeblich auf die Polizei-Sondereinheiten werfen wollte. Die am 15. August veröffentlichten Videos und Fotos zeigten jedoch deutlich, dass der Mann von den Sicherheitskräften beschossen wurde.

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Mstislav Tschernow, TUT.BY via AP/TASS

11. August:

10. Willkürliche Gewaltexzesse der Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten dauern an. Frauen in Weiß und mit Blumen in der Hand gehen auf die Straße und bilden Solidaritätsketten. Diese Initiative dauert mehrere Tage und findet im ganzen Land statt.

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11. Die größten Unternehmen in Belarus beginnen zu streiken.

12. Am 15. und 16. August fordert Swetlana Tichanowskaja die Bürgermeister der Städte auf, zu friedliche Demonstrationen zu organisieren. Sie schlägt außerdem vor, einen Koordinierungsrat einzurichten, der aus Vertretern der Zivilgesellschaft bestehen soll.

13. Die Belarusen schließen sich zusammen und leisten gegenseitige Unterstützung. Freiwillige beobachten Untersuchungsgefängnisse und helfen bei der Erstellung von Listen der Verhafteten. Sie bringen Essen und warme Kleidung zum berüchtigten  Akrescina-Gefängnis in Minsk und zu Gefängnissen in Schodsina und Slutsk. Nach unbestätigten Angaben werden Verhaftete auch in Polizeitransportern aus Akrescina abtransportiert und nachts auf die Straße geworfen.

12. August:

14. Alexander Vikhor, der in Gomel verhaftet wurde, stirbt im Gefängnis. Er hatte nicht protestiert, sondern wurde einfach auf der Straße festgenommen, als er zu seiner Freundin fuhr. Alexander litt an Herzinsuffizienz; als ihm schlecht wurde und er um Hilfe bat, wurde er in eine neuropsychiatrische Klinik gebracht. Ärzte berichteten der Familie von einem Hirnödem. Die Familie konnte jedoch über lange Zeit keine offiziellen Informationen erhalten. Später informierte die Polizei die Mutter des Inhaftierten, dass er an einer Überdosis gestorben sei. Am 10. August konnte er seine Mutter aus dem Gefängnis anrufen, um zu sagen, dass er verhaftet wurde. Der junge Mann war Profischwimmer.

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15. Ärzte beteiligen sich an Solidaritätsaktionen, ein Notfallarzt des Unfallkrankenhauses wird dort festgenommen. Mehr als 400 Lehrer schreiben einen offenen Brief an die Behörden, Polizei und Polizei-Sondereinheiten.

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13. August:

16. Botschafter der EU-Länder legen Blumen an der Station Puschkinskaja nieder, wo ein Demonstrant starb.

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17. Zahlreiche Verhaftete werden aus den Gefängnissen entlassen. Die Misshandlungen und Folterungen von Verhafteten werden publik. Erschreckende Bilder erscheinen im Internet, viele Menschen sind in Krankenhäusern und auf Intensivstationen. Etwa 80 Menschen werden vermisst.

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15. August :

18. Private Sachgegenstände werden den Gefangenen nicht zurückgegeben. Einige Menschen, die am 15. August zum Gefängnis kamen, um ihre privaten Gegenstände abzuholen, wurden wieder festgenommen, ihr Aufenthaltsort wird nicht bekannt gegeben.

19. Anwälte dürfen Viktor Babaryko eine Woche lang nicht besuchen.

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20. Am 15. August streiken die Angestellten der öffentlichen Fernsehanstalt. 

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21. Mitglieder des Europäischen Parlaments dürfen nicht nach Belarus einreisen. Am 15. August sollten sie sich mit Journalisten treffen, die über die Proteste berichteten.

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16. August:

22. Menschen aus dem ganzen Land werden zu einer regierungsfreundlichen Kundgebung nach Minsk gebracht. Viele von ihnen standen vor der Wahl: sich zu beteiligen oder ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Alexander Lukaschenko sagte bei der Kundgebung: „Selbst wenn ich tot bin, werde ich nicht zulassen, dass das Land hergegeben wird.“

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23. Als Reaktion auf die Kundgebung der Regierung gehen die Menschen in der Hauptstadt und in den Regionen auf die Straße. Im Zentrum von Minsk haben sich nach Schätzungen von tut.by mehr als 200.000 Menschen versammelt, was 1/10 der Gesamtbevölkerung der Stadt entspricht. In vielen Städten und Kleinstädten gehen die Menschen in großer Anzahl mit Losungen wie „Geh weg“, „Tribunal“, „Kein Vergessen, kein Vergeben” auf die Straße.

Foto : Photographers against.

Interaktive Karte der Proteste in Belarus und der Solidaritätsaktionen in der Welt – 2020: Text 57.

Die Plattform Golos (Die Stimme)  hat eine Zwischenanalyse der Wahlergebnisse veröffentlicht.

Die Initiative Golos ermöglichte eine alternative Abstimmung. Nach Ankreuzen eines Kandidaten sollte man den Stimmzettel von beiden Seiten fotografieren und das Foto einen Chat-Bot von Telegramm oder Viber senden.

Mit Hilfe von Golos wurden in vielen Wahllokalen Fälschungen aufgedeckt.

In 989 Wahllokalen (17% aller Wahllokale) erhielt Swetlana Tichanowskaja nach offiziellen Protokollen 393.193 Stimmen. Dies sind 66,8% der 588 622 Stimmen, die sie Zentralem Wahlkomitee bei den Präsidentschaftswahlen insgesamt erhalten hat.

Mehr hier: Text 51.

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