„Es ist uns egal, falls du verreckst“

Wie Häftlinge in Belarus misshandelt werden

14. August 2020 | BBC

Elizaveta Fokht, Anna Pushkarskaya, Oksana Chizh

18+. Achtung: Der Text enthält grafische Beschreibungen von Gewalt.

Spezialeinheiten, die für den Kampf gegen Terroristen ausgebildet wurden, waren an der Niederschlagung friedlicher Proteste beteiligt.
Quelle: Getty Images via BBC

Nach Protesten in Belarus, die nach der Präsidentschaftswahl begonnen haben, wurden Tausende von Menschen festgenommen, verhaftet und schikaniert. Viele wurden geschlagen, demütigt und ausgehungert. Die BBC sprach mit mehreren Menschen, die in belarusischen Polizeiwagen, Gefängnissen und Polizeidienststellen grausamer Behandlung ausgesetzt waren.

Alina Beresneva, 20 Jahre alt

In der Nacht vom 10. August kehrten meine Freunde und ich aus der Innenstadt von Minsk zurück und wurden von der Bereitschaftspolizei OMON angegriffen. Wir beteiligten uns nicht an dem Protest, aber sie haben mich trotzdem zu Boden geschlagen. Ich habe immer noch die Kratzer am Arm. Wir wurden in einen Bus gesteckt. 

Wir wurden nach Akrescina gebracht (in das Gefangenenlager der Hauptdirektion für innere Angelegenheiten des Minsker Stadtexekutivkomitees (NADYA DC: Übersetzung ist von ihrer Website, – BBC). Ein Mann, der am Eingang stand, sagte immer wieder: „Schlampen, bewegt euch schneller!”. Ich habe gefragt: „Warum reden Sie so mit uns?” Er nahm mich am Hals und warf mich gegen die Wand und sagte: „Schlampe, schau den Boden an, dann wisst ihr, wohin ihr nächstes Mal hingeht.”

Zwölf Mädchen und ich wurden in eine Zelle für vier gesteckt. Wir fragten einen Angestellten, ob es möglich wäre zu telefonieren, ob es möglich wäre einen Anwalt anzurufen, worauf er antwortete: „Habt ihr zu viele amerikanische Filme gesehen? Das hier ist  kein Amerika, ihr habt keinen Anspruch auf irgendetwas.”

Die Nacht verging, gegen Mittag fingen sie an, uns zu zählen und nach unserem Vor– und Nachnamen zu fragen. Wir haben seit mehr als einem Tag nichts gegessen, alle hatten Bauchschmerzen, alle waren hungrig, also begannen wir um Essen zu bitten. Wir waren bereit, dafür zu bezahlen. Sie antworteten: „Nein, Schlampen, ihr werdet lernen, den richtigen zu wählen.” Wir waren sehr schockiert über ihre Antwort. Es war schrecklich.

Der Abend kam. Durch einen Spalt bei der Tür bemerkten wir, dass die Leute hinausgeführt und gezwungen wurden, etwas zu unterschreiben, obwohl sie schrien und protestierten. Jetzt waren wir an der Reihe, diese Aufzeichnungen zu unterschreiben. Die Mädels und ich vereinbarten, alles Weitere, was man uns zuschreibt, abzulehnen.

Ich versuchte, mich mit dem Protokoll vertraut zu machen, ich begann es zu lesen und sagte: „Bitte lassen Sie mir die Möglichkeit anzuschauen, was ich unterschreibe”. Der Antwort war: „Ich sage es dir, Schlampe, unterschreibe schnell, oder ich werde dich ******** (vergewaltigen) und für weitere 20 Tage einsperren.” Ich war schockiert, Tränen flossen und haben Spuren auf diesem Protokoll hinterlassen. Ich unterschrieb „Ich stimme zu”. Ich wusste nicht einmal, was ich unterschrieb.

Man hat uns versprochen, dass wir heute gehen dürfen. Wir dachten, wir würden alles vergessen, wie in einem Albtraum, aber es war nicht so. Wir wurden in unsere Zellen zurückgebracht und dann in eine andere Zelle verlegt, in der bereits 20 Mädchen waren, 33 mit uns insgesamt. Es war Schikanierung pur.

Es war schrecklich ohne Essen auszukommen. Ich bin eine starke Frau. Aber in diesem Moment war ich zerbrochen. Ich saß einfach nur da, mein Magen war so verdreht, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte. Du sitzst da und verstehst, wie dein Körper versucht, damit umzugehen, aber es funktioniert nicht. Und du sitzst  da wie ein kleines Kind. Du bist wütend und hast keine Kraft, und niemand kann dir helfen.

Angehörige des Mädchen, die während eines Protests vor einem Gefangenenlager in Minsk festgenommenen wurde.
Quelle: Natalia Fedosenko, TASS via BBC

Ich wusste nicht, was ich tun sollte, ich saß nur da, zusammengerollt, ich hatte kalten Schweiß, und sie holten mir einen Arzt. Aus letzter Kraft bin ich aufgestanden und sagte: „Sehen Sie, ich kann nicht mal stehen, mir ist übel, mir ist schwindelig”. Die Ärztin sagte: „Das nächste Mal weißt du, wo du hingehst. Am Ende bekam ich eine Validol-Tablette – auf nüchternen Magen. Ich habe es natürlich nicht genommen, damit mir nicht noch schlimmer wird”.

Es noch eine Nacht vergangen. Wir beschlossen, dass wir anfangen würden zu schreien und um Hilfe zu rufen, wenn sie uns nichts zu essen bringen. Am 11. August kam noch ein Miliztransporter. Wir sahen aus dem Fenster, wie Kerle schikaniert wurden. Sie waren auf den Knien fast halbnackt mit den Händen hinter dem Kopf. Wenn sich jemand bewegte, wurde er mit Stöcken geschlagen.

Eines unserer Mädchen bekam ihre Periode. Sie fragte: „Geben Sie mir bitte etwas Toilettenpapier.” Sie sagten: „Wisch es mit deiner Shirt ab.” Am Ende zog sie einfach ihre Unterwäsche aus, wusch  und trug diese, bis es wieder schmutzig wurde. Dann gab es Schichtwechsel und eine Frau brachte uns schließlich Papier. Wir haben sie einfach vergöttert.

Unsere Fenster waren zur Straße gerichtet. Wir sahen Menschen, die riefen: „Lasst unsere Kinder los!” In der Zelle nebenan saß ein Mann, der heftig schrie, er habe ein Problem mit seinem Bein. Er konnte drei Tage lang keinen Krankenwagen bekommen, er hielt es nicht aus und fing an, Richtung Fenster zu schreien, damit die Leute ihn hören konnten. Also öffnete ein Polizist die Tür – es war gut zu hören – und fing an, ihn zu schlagen und zu sagen: „Miststück, reck deinen Arsch, jetzt schiebe ich dir dein Blut zurück in den Arsch.”

Wenn es möglich wäre, diese Menschen zu bestrafen, würde ich es gerne tun. All dies hat das Leben in ein Vorher und ein Nachher geteilt. Früher wollte ich ins Innenministerium, wollte Polizistin werden, um Menschen und Menschenrechte zu schützen, aber nachdem ich dort war, will ich das nicht mehr. Jetzt möchte ich einfach dieses Land verlassen, alle meine Verwandten und Freunde mitnehmen, damit ich nicht hier bleiben muss.

Sergey (Name wurde auf Wunsch des Protagonisten von der Redaktion geändert), 25 Jahre alt.

Ich wurde am dritten Protesttag, dem 11. August, in der Nähe eines Einkaufszentrums festgenommen. Es war nicht nur eine Bereitschaftspolizei, es war die Spezialeinheit „Almaz” (Diamant), eine Elite, die Terroristen bekämpft.

Als wir einen Konvoi mit Spezialausrüstung auf uns zukommen sahen, war uns klar, dass wir uns nur verstecken konnten. Ich saß an einem abgelegenen Ort, eine Zeit lang konnten die mich nicht finden. So kam es, dass ich Menschen vor dem Einkaufszentrum auf dem Boden kniend sah, die geschlagen wurden. Einer von ihnen fiel hin, ein Bereitschaftspolizist beugte sich über ihn, er hob die Augen, und unsere Blicke trafen sich. In diesem Moment dachte ich, das mein Leben zu Ende ist.

Source: BBC

Ich wurde zu den anderen gebracht. Jeder, der was gesagt hat, wurde verprügelt. Sie haben mich niedergeschlagen und ein bisschen verprügelt. Ich hatte einen Rucksack mit Atemschutzgeräten und Masken. Einer der Offiziere sah es und sagte: „Oh, es ist von einem Organisator.” Sie begannen mit der Suche nach dem Eigentümer dieses Rucksackes.

Ich beschloss nicht zu gestehen, dass es mein Rucksack war – ich verstand, dass es eine zusätzliche Gewalt hervorrufen würde. Nach weniger Minuten der Prügelei fragten sie mich noch mal, ob der Rucksack mir gehöre. Ich sagte, es sei nicht meins. Ich wurde von drei Männern der Sondereinheit in die Ecke des Einkaufszentrums gebracht. Mir waren die Hände gebunden. Sie zogen eine Kampfgranate heraus – ich weiß, dass es anders als eine Blendgranate aussieht– und sie sagten, sie würden Sicherung herausziehen, und die Granate in meine Unterhose stecken, dass es mich in die Luft jagen wird. Und dann werden die erzählen, dass ich selbst durch einen improvisierten Sprengsatz explodiert bin und niemand wird in der Lage sein, etwas zu beweisen.

Ich sagte immer wieder, der Rucksack gehöre nicht mir. Sie steckten mir eine Granate in die Hose und rannten weg. Dann kamen sie zurück und sagten mir, ich sei ******** [frech], und fingen wieder zu schlagen. Sie schlugen mich in die Leistengegend, sie schlugen mich ins Gesicht. Sie sagten mir, ich solle meinen Rucksack zwischen den Zähnen tragen. Sie schlugen mich immer wieder mit ihren Händen ins Gesicht, während wir zum Parkplatz gingen. Jedes Mal wenn ich meinen Rucksack fallen ließ, wurde ich ins Gesicht schlagen. Am Ende habe ich mehrere Zahnverletzungen.

Ich wurde zu einem Polizeitransporter gebracht, es waren 20 Personen da. Wir wurden einen auf den anderen geworfen. Es war ein Polizist, der über Menschen lief. Sie stellten ihre Beine auf Hälse und fingen an, Menschen zu würgen. Hände der Menschen waren wegen Schlingen geschwollen – diejenigen, die sich beschwerten, wurden an den Händen geschlagen. In unserem Auto saß ein Asthmatiker, er begann zu ersticken. Ein Polizist kam auf ihn zu, setzte seinen Fuß auf seinen Hals, fing an ihn zu würgen und sagte: „Wenn du stirbst, ist uns das egal.”

Als wir nach draußen gebracht wurden, wurden die Farben auf den Boden verschüttet. Mein Gesicht wurde mit der Farbe verschmiert und so gekennzeichnet. Dann haben sie mich in ein anderes Auto gesetzt. Es gab vier Polizisten mit Schlagstöcken. Du wirst auf den Boden gelegt und auf die Beine geschlagen, währenddessen wirst du verurteilt: „Es ist, damit du nicht wegläufst! Hast genug gerannt!” Ich war alleine dort, vielleicht wurden dorthin auch die anderen gebracht. Mädchen wurden in meiner Anwesenheit nicht geschlagen.

Einsatzkräfte des OMONs am 11. August.
Quelle: Getty Images via BBC

Dann brachten sie mich wieder in den Gefängnistransporter. Da waren zwei Mädchen, circa 18 Jahre alt. Ihr Fehler war, dass sie den Kopf erhoben und darauf achteten, wem schlecht geworden ist. Nach mehreren solcher Appelle wurde eins der Mädchen von den Bereitschaftspolizisten angeschrien und an den Haaren gezogen. Irgendwie hat er geschafft viele Haaren rauszureissen: „Ihr seid Schlampen, wir bringen euch ins Gefängnis, wir stecken euch in eine Zelle mit Männern, dort werdet ihr ****** [vergewaltigt], und dann bringen wir euch in den Wald”.

Da war ein Kerl, der das Telefon nicht entsperren wollte. Man zog ihn nackt aus und sagte ihm, wenn er das Passwort nicht nenne, wird er mit Stöcken vergewaltigt. Dann willigte er ein, dann wurde zu den anderen geworfen. 

Wir wurden zu einem Zwischenpunkt gebracht. Wir mussten aus dem Miliztransporter aussteigen. Es gab einen Korridor von 40 Polizisten zu einem anderen Bus. Auf dieser Strecke wird man geschlagen. Wenn du fällst, schlagen sie auf deine Beine, auf deinen Kopf so lange bis du aufstehst. Als ich zum Bus kam, stürzte ich beim Aufprall. Die Spezialkräfte schenkten mir wieder Aufmerksamkeit, denn ich hatte ein T–Shirt der Solidarität mit russischen politischen Gefangenen. Ich wurde zusätzlich geschlagen, und dann nahmen sie mich an Händen und Füßen und warfen mich wie einen Sack in den Bus.

Sie schrien mich an, sagten mir, ich solle bis zu einem bestimmten Punkt kriechen. Ich kroch langsam, ich wurde wieder geschlagen. Irgendwann konnte ich mich einfach nicht mehr bewegen. Ein anderer Polizist kam auf mich zu, stellte seinen Fuß auf den Rücken und fing an, mit einem Schlagstock auf den Kopf zu schlagen – aber nicht mehr nur mit Gummi, sondern mit einem Metallstab. Das wurde mir klar, denn nach dem ersten Schlag wurde ich ausgeschaltet. Ich fühlte nichts mehr.

Ich wurde für eine Weile geschlagen. Dann sind mehrere Leute auf mich draufgefallen. Es war schwer zu atmen. Die Leute, die oben lagen, wurden verprügelt. Es war nicht klar, wo es schlimmer war – oben, wo man Luft hatte, aber geschlagen wurde, oder unten, wo man erstickte, aber nicht geschlagen wurde.

Dann wurden wir rausgelassen, es gab einen weiteren „Korridor”, wo wir geschlagen wurden bis zur nächsten Zelle, die so genannte Becher – Zelle. Die Zelle war für drei Personen gebaut, aber acht Menschen wurden hineingedrückt. Ich wurde gegen die Wand gedrückt und sah Blut – erst da wurde mir klar, dass ich einen Schädelbruch hatte. Irgendwann verlor ich das Bewusstsein, es passierte mehrmals.

Als wir zu einem Gefängnis gebracht wurden, konnte ich wegen der Verletzungen und der Hitze nicht mehr stehen. Ich bin aus meiner Zelle rausgefallen. Sie sagten: „Ich glaube, der Typ hier ist fertig.” Sie warfen mich aus dem Gefängnistransporter raus. Die Sanitäter kamen direkt auf mich zu, sie sagten, mein Kopf sei verletzt, alles sei gebrochen, ich hätte definitiv eine Gehirnerschütterung. Ich musste mich übergeben und sabberte aus dem Mund. Danach wurde ich nicht mehr angerührt. Die Bereitschaftspolizisten selbst standen bereits da und spekulierten darüber, ob ich sterben würde oder nicht.

Es gab nicht genug Krankenwagen, um alle rauszuholen, ich lag eine Stunde lang da. Irgendwann kamen sie mich abzuholen. Im Krankenwagen bat ich darum, mich nicht ins Krankenhaus, sondern nach Hause zu bringen, weil die Leute vom Krankenhaus wieder von Polizeien abgeholt werden. Aber wegen der Kopfverletzung und des Beinbruchverdachtes brachten sie mich ins Krankenhaus.

Ärzte verstehen, dass Menschen gefoltert werden, sie versuchen möglichst viele rauszuholen. Insgesamt bekam ich 12 Stiche bei drei Wunden, war operiert. Ein paar Stunden später holten mich Freunde aus dem Krankenhaus ab. Da ich weder einen Reisepass noch ein Telefon hatte, wurde meine Identität nie festgestellt.

Während ich geschlagen wurde, habe ich die meiste Zeit über nichts nachgedacht. Ich hatte Angst, ich hatte so eine Gewalt nicht erwartet. Ich habe darüber nachgedacht, mich zusammenzurollen, um gesund zu bleiben. Aber um ehrlich zu sein, habe ich auch an die Auswanderung gedacht. Dass ich, wenn sich nichts ändert, Angst haben würde, in so einem Land zu leben, in dem man jederzeit getötet werden kann und niemand bestraft wird. Es ist erschreckend, daran zu denken, dass neben uns Mitarbeiter dieser Diensten leben, die Menschen quälen und weiterhin ein normales Leben führen.

Oleg, 24 Jahre alt (Name wurde auf Wunsch des Protagonisten von der Redaktion geändert)

Ich bin ein LKW-Fahrer, ich habe keinerlei Bezug zur Politik, ich bin kein Volksfeind. Vor einer Woche kam ich von einer Tour aus Sibirien zurück. Ich habe im Internet geschaut, was gerade passiert. Ich habe gesehen, dass Kinder [auf die Straßen] rausgehen, Großmütter. Ich habe mir gedacht – ich als junger Mann werde das alles zu Hause aussitzen? Und bin auch gegangen.

Ich wurde [in der Nacht] vom 10 auf den 11 August verhaftet, kurz vor Mitternacht. In der Nähe von mir gab es einen Knall. Ich wurde betäubt. Auf der Erde sah ich einen jungen Mann liegen. Ich wollte ihm helfen, aufzustehen – doch sein Bein war beinahe abgerissen. Eine Blendgranate hat ihn direkt in die Kniescheibe getroffen – das Knie war weg.

Ich konnte mein Handy nicht finden und bin auf der Suche nach einem Krankenwagen gerannt. Ein Krankenwagen war gerade in der Nähe unterwegs, ich habe  Ärzte gebeten, zu kommen. Sie baten mich und noch ein paar Leute, zu bleiben und zu helfen. 20 Meter weiter standen die Einsatzkräfte des OMON – mit Schildern, Waffen, Maschinengewehren.

Sie hatten uns zunächst nicht festgenommen und sagten auch anderen, dass sie uns in Ruhe lassen sollen. Doch dann kamen sie plötzlich von hinten, haben uns schnell auf den Boden geworfen und uns auf die Beine geschlagen. Sie haben uns die Arme über dem Kopf verrenkt und haben uns getreten. Der Arzt hatte versucht, mit ihnen zu reden, sie angeschrien: „Was macht ihr da, wir werden das alleine nicht schaffen, diese Menschen helfen uns!” 

Wir durften zunächst aufstehen, doch nach eineinhalb Minuten kamen sie wieder und haben uns mit Schlagstöcken verprügelt. Auf dem Weg zum Gefangenentransporter haben sie uns auch geschlagen und geschrien: „Ihr seid letzter Abschaum”. Sie schlugen mit Füßen, mit Händen, überall am Körper. Mit uns saß ein Mann, er war circa 50 Jahre alt und hatte einen Behindertenausweis (zweite Stufe). Er fragte nach Medikamenten, sagte, dass er sich schlecht fühle. Er wurde die ganze Zeit geschlagen.

Als die große Zelle im Gefangenentransporter voll wurde, wurden wir in die kleinen einsortiert – jeweils zu sechst. Es gab nur ein winziges Fenster, man konnte kaum atmen. Wir saßen eineinhalb Stunden lang im Rauch. Danach wurden wir nach Akrestina [Straße, in der sich die Haftanstalt befindet] gefahren. Als wir aus dem Wagen kamen, formten die Mitarbeiter der Polizei und des OMON einen Korridor. Wir rannten zum Zaun und sie haben uns wieder geschlagen. Sie lachten und sagten: „Ihr wolltet Veränderungen? Ihr kriegt Veränderungen!”

Einsatzkräfte des OMON bei der Protestaktion am 9. August in Minsk.
Source: Getty Images via BBC

Eineinhalb Stunden standen  wir vor einem Betonzaun –  auf den Knien mit dem Kopf nach unten. Auf dem Boden waren Steine – meine Knie sind immer noch komplett blau. Wenn sich jemand beschwerte – wurde er geschlagen. Ein Mann schrie, er sei ein Offizier des FSB [Russischer Geheimdienst] Daraufhin wurde er umzingelt und ins Solarplexus geschlagen. Fünf Menschen prügelten mit ihren Schlagstöcken auf ihn ein. Ein Reporter aus Russland wurde zusammengeschlagen – er hat dabei einfach fürchterlich geschrien. Für jede Frage gab es sofort Prügel.

Als ich da stand, habe ich an nichts denken können. Die Menschen, die verprügelt wurden, taten mir sehr leid. Ab und zu hatte ich auch noch was abbekommen. Dann wurden wir ins Gebäude geführt. Als wir reinrannten, um unsere Sachen abzugeben, wurde auf uns weiterhin mit Schlagstöcken eingeprügelt. Sie trieben uns in den Hof [wo Insassen normalerweise spazieren gehen können]. Dort waren bereits ca. 130 Menschen, sehr gedrängt. Pro zwei Stunden durften zehn Personen auf Toilette gehen. Und jede Stunde kriegten wir zwei Zweiliterflaschen Wasser. Manche haben das Wasser nicht mal gesehen, da war es schon alle.

Dann wurden wir wieder auf die Straße geführt – und auf dem Weg weiter geschlagen. Wir mussten uns hinknien und wurden befragt, bevor wir in eine Zelle gebracht wurden – und dabei immer weiter geschlagen. In der Zelle waren 120 Menschen, in 24 Stunden kriegten wir nur Wasser und ein Laib Brot für alle.

Am nächsten Morgen gab es die Verhandlungen. Zu diesem Zeitpunkt waren noch 25 Menschen in der Zelle geblieben. Bei meiner Verhandlung willigte der Richter ein, mich zu befreien, ein Haftbefehl wurde nicht erlassen. Doch ich wurde trotzdem noch bis zum späten Abend festgehalten. Meine persönlichen Sachen wurden nicht gefunden, man versprach mir, sie später auszuhändigen. Man führte mich auf die Straße raus, dort sah ich eine Menge junger Menschen, die mit dem Gesicht nach unten lagen. Sie wurden geschlagen, sie haben geschrien. Und hinter dem Zaun standen ihre Verwandten.

Selbst ein Polizist, der mit uns stand, sagte, dass es alles furchtbar und schrecklich sei. Wir wurden durch den Hinterhof herausgeführt und man sagte uns, dass wenn wir zu der Menge gehen, wo die Angehörigen und die Presse warten, werden wir wieder geholt und nur noch blau [von Schlägen] sein. Als wir rausgingen, sind die Menschen zu uns gerannt, als wären wir Helden. Sie haben uns Zigaretten angeboten, gaben uns Handys, um unsere Familien anzurufen. Im Endeffekt sind meine Beine, mein Rücken und meine Schulterblätter komplett zerschlagen.

Maryla, 31 Jahre alt

Am 12 August nach 23 Uhr war ich mit meinen Freunden mit dem Auto auf dem Weg nach hause. Der Prospekt war leer, es gab kein Stau, wie in den ersten Tagen der Proteste, als Autos die Straßen blockiert haben. In der Nähe der Stela [Denkmal für den großen Vaterländischen Krieg], wo sich die Menschen am Tag der Wahl versammelten, wurden wir von einem Verkehrspolizisten gestoppt. Außer des Wagens der Verkehrspolizei standen dort auch ein paar Kleinbusse. Menschen in schwarzer Uniform und schwarzen Sturmhauben kamen auf uns zu. Ich glaube, sie hatten Aufnäher des MWD [Einsatzkräfte des Innenministeriums], aber genau habe ich es nicht sehen können. Es waren viele, allein zu uns kamen drei. Sie haben sich nicht vorgestellt und sagten uns nur, wir sollen aus dem Auto aussteigen.

Wir mussten unsere Handys entblocken, dann haben die Einsatzkräfte unsere Fotos und Videos durchgeschaut. Ich wurde zur Seite geführt, die Jungs wurde mit den erhobenen Armen ans Auto gestellt. Die Jungs haben ihre Handys gezeigt, in der Fotogalerie hatten alle Videos von den letzten Nächten – wie Autos im Auto stehen und hupen und so weiter. Wir wissen, dass wir das per Gesetz nicht hätten zeigen müssen, doch wenn um dich herum ein Haufen in schwarz gekleideter Leute mit Maschinengewehren oder anderen Waffen steht… Sie haben angefangen zu fluchen, haben geschrien: „Ihr wolltet Veränderungen! Wir zeigen euch gleich Veränderungen!” Sie haben überlegt, was sie mit uns tun sollen und haben sich entschieden, uns ins RUWD [Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten] zu fahren.

Sie haben uns Autoschlüssel weggenommen, haben uns in den Kleinbus gebracht, das Gesicht des Fahrers haben wir auch nicht gesehen. Mit uns sind zwei bewaffnete Männer eingestiegen, jemand ist mit unserem Auto hinterhergefahren. Dann haben sie sich an mich erinnert und befahlen mir, mein Passwort in mein Handy einzugeben. Ich sagte: „Meine Hände zittern.” Einer von ihnen sagte sogar „Lass sie doch in Ruhe, warum brauchst du das?” Der zweite – der aggressivste von ihnen – hat mir trotzdem das Telefon abgenommen und auch gemeint: „Hier, da haben wir Videos von den Protesten….”

Wir wurden in den Innenhof des RUWD geführt. Da lagen bereits junge Männer auf dem Asphalt – aus dem Auto, welches vor uns hingebracht wurde – und eine junge Frau stand an der Wand. Ich musste mich in der Nähe von ihr hinstellen – auch mit dem Gesicht zur Wand. Die Jungs waren an einer anderen Wand. Und da habe ich Schläge gehört und verstanden, dass es mein Ehemann ist, der gerade verprügelt wird. Weil der Schlagende gefragt hat: „Warum hast du ein weißes Armband?” Es war ein weißes Armband aus Gummi an seinem Handgelenk – das Symbol dafür, dass wir für Tichanowskaja sind und für friedliche Veränderungen. Ich wollte nach ihm sehen, aber diejenigen, die hinter mir standen, sagten: „Beweg deinen Kopf nicht!”

Es wurden unsere Daten erfasst. Ein Mitarbeiter ohne Maske und in Zivil kam auf mich zu, sein Gesicht konnte ich jedoch nicht sehen, da ich mit dem Gesicht zur Wand stand. Er sagte mir, ich solle das Passwort am Telefon eingeben, aber auch: „Maschenka”, „Wenn Sie etwas brauchen, wenden Sie sich bitte an mich” – so ein super netter Polizist.

Während ich das Telefon freischaltete, gelang es mir, „Telegramm” und was anderes zu löschen, weil ich hörte, wie sie sagten, dass sie unsere Abos überwachen würden.  Dann sagte er: „Ich werde gleich sehen, was Sie gelöscht haben”, aber es ist ihm nicht gelungen.

Teilnehmer an einer Protestaktion in Minsk am 11. August.
Quelle: Valery Sharifulin, TASS via BBC

Die Jungs und die Frau aus dem anderen Auto wurden irgendwohin gebracht, und dann wurden wir auch beim Nachnamen gerufen. Während ich lief, fing jemand, der wie ein Bereitschaftspolizist aussah, an zu schreien, dass ich meinen Kopf senken soll. Und ein Angestellter in Zivil sagte: „Lass sie in Ruhe, es ist alles in Ordnung” . Und dann geschah folgendes. Sie sagten uns bereits, wir sollten unsere Sachen mitnehmen, gaben uns unsere Telefone – aber einer unserer Freunde erhielt ständig Anrufe von seiner Frau, als Klingelton hatte er ein Lied von Tsoi „Veränderungen!”. Die Polizisten sagten ihm, er solle es stumm schalten, und jemand weiter hinten sagte „sie sollen noch  bleiben, sie haben ihre Lektion noch nicht gelernt”.

Wir wurden wieder reingeführt und mit dem Gesicht zur anderen Wand des Hofes gestellt. Die Jungs mit den Händen hinter dem Kopf, ich hielt die Hände knapp hinter dem Rücken. Mein Mann hat leicht gelächelt und wurde dafür geschlagen. Zuerst sagten sie mir, ich könne stehen, wie ich will, aber dann kam ein anderer Mann zu mir und sagte, ich solle auch meine Beine breiter machen. Es gaben die ganze Zeit verschiedene Teams, und es war schwer zu verstehen, was sie wollten. Bei einem gefangenen Mann sind die Beine eingeschlafen und es wurde ihm erlaubt, sich zu bewegen, aber dann kam ein anderer Polizist, trat ihm in die Beine und sagte, er solle sich wieder neben der Wand stellen.

Sie standen hinter uns, schikanierten uns und sagten: „Es wäre besser für euch zu Hause zu bleiben”. Der Arm unseres Freundes wurde taub, er durfte ihn nicht bewegen, aber sie sagten: „Warum besuchst du denn Proteste, wenn du so schwach bist?” Meistens sagten sie dieselben Sätze, die ich schon von meinen inhaftierten Freunden gehört hatte: „Ihr bewirft uns mit Molotow–Cocktails”, „der Westen bezahlt euch”.

Am Ende hörten wir, wie ein anderer Typ hereingebracht wurde und die rhythmischen Geräusche von Schlagstöcken gegen seinen Körper drangen – mehrere Leute schlugen ihn sehr heftig zusammen. Er flehte sie an, ihn nicht zu schlagen – sie fluchten und schlugen ihn. Es war wirklich beängstigend. Dann nahmen sie ihn mit und sagten uns, dass wir bis 7.00 Uhr morgens, dem Ende ihrer Schicht, stehen würden. Dann kam jemand und fragte: „Wer ist hier der Ungestüme? Aber nicht das Mädchen.” Seine Kollegen begannen zu lachen und zeigten auf unseren Freund. Und sie zwangen ihn, Liegestütze zu machen, sagten ihm, er solle in der unbequemsten Position verharren, und versprachen, dass sie ihn schlagen würden, wenn er nicht normal Liegestütze machen würde – alles mit Spott und unflätigen Fluchen. Dann sagten sie ihm, er sollte Kniebeugen machen.

Dann wurde uns gesagt, dass sie uns inoffiziell gehen lassen würden: „Wir hoffen, dass ihr nirgendwo anders teilnehmen werdet”. Wir kamen gegen 2:00 Uhr morgens nach Hause. Die Jungs hatten große Prellungen von den Gummistöcken. Aber wir werden nicht aufhören, weil es ihr Hauptziel war, uns einzuschüchtern, aber sie haben Angst vor uns und sehen uns eher als Feinde.

Nikita Teliszenko, Journalist des Portals Znak.com, 29 Jahre alt

Ich ging einkaufen, ich brauchte Klamotten, denn nach den letzten Aktionen war meine alte zu kaputt. Ich habe die Sachen in einer Tüte mit. Als ich auf dem halben Weg war sah ich auf der Straße Dvorez Sporta [Sportpalast], dass alle junge Menschen, die aus dem Bus steigen, direkt von der Haltestelle in die Gefangenentransporter gebracht werden. Ich habe angefangen, die Situation für meine Redaktion zu beschreiben. In diesem Moment fuhr ein Bus dicht an mich ran, es sind Menschen herausgestürmt und haben mich an den Armen gepackt.

Mein Handy wurde mir aus der Hand gerissen. Sie dachten, weil ich gerade etwas schreibe, müsste ich Internet haben und ein Koordinator [der Proteste] sein. Sie haben Fotos von Spezialtechnik [der Polizei] gesehen, von vergangenen Aktionen. Sie haben mich ins Auto gepackt und mich zu dem Gefangenentransporter gefahren, in dem ich dann zwei Stunden einfach nur saß. Ich habe versucht, ihnen zu erklären, dass ich ein Journalist bin, aber es hat sie nicht überzeugt.

Schlimm wurde es vor dem RUWD [Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten] „Moskowskij”, wo wir hingebracht wurden. Die Transporter werden geöffnet und den Menschen werden sofort die Arme verrenkt. Wenn du deinen Kopf zu hoch hälst, kriegst du sofort einen Schlag auf den Hinterkopf – entweder mit einem Schlagstock oder einem Schild. Man wird geschleppt. Ein junger Mann vor mir wurde einfach nur aus Spaß mit dem Kopf  aus voller Wucht gegen den Türpfosten geschleudert. Er hat aufgeschrien und den Kopf gehoben – und sofort wieder was abbekommen.

Dann kam das, was mich am meisten getroffen hat –  „Menschen–Teppich”. Wir wurden hereingebracht und das erste was ich sehe, sind Menschen, die einfach nur auf dem Boden liegen. Alle treten auf sie rauf – sowohl die EInsatzkräfte, als auch du selbst. Ich musste auf einen Mann drauftreten, denn als ich versucht hatte, ihn zu umgehen, wurde ich wieder geschlagen.

Auf dem Boden waren Blut und Ausscheidungen. Du wirst auf den Boden geworfen und darfst deinen Kopf nicht drehen. Ich hatte Glück, dass ich eine Maske hatte. Neben mir lag ein junger Mann, er hatte versucht, sich zu drehen und wurde sofort mit Kampfstiefeln in den Kopf getreten, obwohl man ihm ansah, dass er bereits stark zusammengeschlagen wurde. Es gab Menschen mit kaputt geschlagenen Händen, die sie nicht mehr bewegen konnten.

Die Menschen wurden gezwungen, zu beten. Ein junger Mann wurde reingebracht, der gefleht hatte: „Onkeln, schlagt mich nicht”. Sie sagten ihm, sie werden ihn gleich fertig machen und seine Zähne zählen. Ein paar Schläge folgten. Er erstickt bereits fast an seinem eigenen Blut und der OMON-Polizist sagt ihm: „Sage Vater Unser auf!”. Und du sitzt da und hörst, wie ein Junge mit zerschlagenem Mund aufsagt: „Vater Unser im Himmel…”

Der schlimmste Moment ist, wenn du sitzt, und die Menschen auf den Fluren, ein Stockwerk weiter unten, so dermaßen zusammengeschlagen werden, dass sie nicht mehr reden können und nur noch heulen. Du drehst deinen Kopf und siehst Blut auf dem Boden, die Menschen schreien, und an der Wand hängt eine Ehrentafel mit lächelnden Polizisten, die das gerade alles anstellen. In diesem Moment versteht du, dass du in der Hölle gelandet bist.

Nach dem Schichtwechsel hat sich herausgestellt, dass zwei der verhafteten Menschen verschwunden sind. Sie haben gesehen, dass sie Menschen nicht mehr auseinanderhalten können und haben uns in Einzelzellen gebracht – in jede ca. 20–30 Menschen. Es gab keine Belüftung, wir standen an der Wand. Nach einer Stunde war alles nass vom Kondensat. Menschen im höheren Alter fühlten sich schlecht, ein Mann hat das Bewusstsein verloren.

Einsatzkräfte des OMON schlagen einen festgenommenen Mann auf der Protestaktion am 9. August in Minsk.
Quelle: Getty Images via BBC

Dann nach ca. 16 Stunden im RUWD (Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten) wurden wir sehr brutal herausgeführt und in den Gefangenentransporter geschmissen. Sitzen war verboten, Menschen wurden in drei Schichten aufeinander gelegt. Einige Verletzte waren ganz unten, sie hatten keine Luft zum Atmen. Sie schrien vor Schmerzen. Man kam zu ihnen, hat sie mit Schlagstöcken auf den Kopf geschlagen, erniedrigt. Es erinnerte mich an Gestapo-Folter, normalerweise kann man sich nicht vorstellen, dass so etwas möglich ist.

Wir durften nicht auf die Toilette. Diejenigen, die nachfragten, bekamen Anweisung in die Hose zu machen. Im Endeffekt haben einige wirklich in die Hose gemacht, auch groß. Zu diesem Zeitpunkt haben alle bereits aufgehört, nach irgendwas zu fragen – sie haben schon im RUWD verstanden, dass keine Hilfe kommt. Diejenigen, die sich beschwerten, wurden brutalst zusammengeschlagen.

Als der Transporter losfuhr, durften Menschen etwas auseinander kriechen. Doch wenn jemand versucht hatte, sich an Bänken zu stützen oder den Kopf zu heben, wurde sofort geschlagen. Dann wurde es den Einsatzkräften langweilig und sie befahlen uns, auf die Knie zu gehen und die Hymne von Belarus zu singen. Das haben sie mit einem Handy aufgenommen. Als der Transporter auf der Straße fuhr, haben viele Autos um ihn herum gehupt. Doch wenn die Fahrer wüssten, was drin passiert, würden sie nicht hupen – sie würden die Transporter stürmen.

Nach eineinhalb Stunden habe ich die Selbstbeherrschung verloren. Ich sagte ihnen: „Entschuldigen Sie, ich bin ein russischer Journalist, was habe ich denn getan?” Ich wurde wieder geschlagen – auf die Nieren, den Nacken, den Kopf, eine Antwort habe ich nicht bekommen. Mit mir war ein junger Mann, der sagte: „Bitte, erschießt uns, warum quält ihr uns?” Ihm antworteten sie, dass sie niemanden erschießen werden, weil im Gefängnis noch viel mehr Schmerz auf uns wartet und wir dort von einem nach dem anderen vergewaltigt werden.

Als wir in die [Untersuchungshaftanstalt] Szodino gebracht wurden, sagten sie uns: „Verabschiedet euch von eurem Leben, hier werden sie euch umbringen”. Doch zu unserer Überraschung wurden wir dort normal empfangen. Die Gefängnismitarbeiter waren nur grausam, bis die SOBR–Einsatzkräfte [Spezialeingreiftruppe des Innenministeriums] weg waren. Menschen waren froh, im Gefängnis zu sein – am meisten hatten sie Angst, dass sie in den Gefangenentransporters wieder nach Minsk gebracht werden.

Dort war ich drei–vier Stunden. Dann kam ein Oberst auf mich zu, ich wurde herausgeführt und wir sind auf die Suche nach meinen Sachen gegangen. Diejenigen, die mit mir gemeinsam da waren, waren froh, dass ich gehen darf und darüber berichten kann, was hier passiert. Beim Ausgang wartete ein Vertreter des Konsulats auf mich. Ich wurde aus Belarus deportiert – mit einem Einreiseverbot für fünf Jahre. Ich wurde nach Smolensk gebracht.

Wenn das Einreiseverbot nicht wäre, würde ich zurück nach Belarus gehen und weiterarbeiten. Dort sind einzigartige Menschen. Die nehmen die Veränderungen positiv wahr und sind durch ein gemeinsames Ziel verbunden.

Natalia, 34 Jahre alt

Ich lief mit meinen Freundinnen ohne große Abenteuer auf der Straße. Dann tauchte hinter uns plötzlich eine Menge Leute auf, die von den OMON–Einsatzkräften wegrannten, und dann auch die Einsatzkräfte selbst. Einige Polizisten sind an uns vorbeigerannt, aber einer, der wohl müde vom Rennen war, hat sich mich und meine Freundin vorgeknöpft. Er sagte: „Was lachst du? Ich sehe, du amüsierst dich. Und dass einem Polizisten heute das Gesicht mit einer Flasche aufgeschlitzt wurde, findest du auch witzig, was?” Dabei habe ich gar nicht gelacht, ich wollte nur, dass er uns in Frieden lässt.

Doch das schien ihn aus irgendeinem Grund zu verärgern, er zerrte mich in den Kleinbus. Im Kleinbus waren bereits Menschen. Man fragte uns: „Gefällt es euch, Kanonenfutter zu sein? Wo ist eure Tichanowskaja? Wo ist eure Zepkalo?”

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„Jungs, das ist eine Schande” – Ehemalige Einsatzkräfte schmeißen öffentlich ihre Uniform weg.
Quelle: Getty Images via BBC

Wir wurden ins RUWD (Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten) „Sovetstkoje” gebracht. Auf der Straße wurden alle mit dem Gesicht zum Zaun gestellt, mit den Armen an den Zaun. An dieser Wand standen wir bis zum Morgen des nächsten Tages. Ab und zu wurden wir woanders hingestellt. Dann haben sie uns in den Keller geführt, wo sie uns die Sachen,  Smartphones weggenommen haben – und uns wieder an dieselbe Wand geschickt.

Jemand fuhr mit einem Auto vorbei und versuchte das Lied „Peremen” [Veränderungen] von Viktor Tsoi anzumachen. Und wir hörten, wie sich

Polizisten unterhielten, dass sie sie auch hierher zerren sollten – mitsamt ihrer „Veränderungen”. Irgendeine junge Frau hat ihren Freund gesucht. Sie hat sich wohl auf das Autodach draufgestellt, denn wir konnten über dem Zaun ihr Gesicht sehen. Und die Bullen sagten untereinander: „Schau mal, da steht irgendeine Kuh, jag sie mal darunter!” So reden sie über Menschen. 

Die Jungs wurden geschlagen. Einem jungen Mann wurde eine Rippe gebrochen, wie es schien. Es gab ein Mädchen mit einem kaputtgeschlagenen Bein – anscheinend noch von ihrer Festnahme. In erster Linie wurden diejenigen geschlagen, die am kühnsten waren. Dann kamen  Gefangenentransporter und man fing an, Männer rein zu laden. Jemand wurde offensichtlich geschlagen. Es wurden anscheinend sehr viele Menschen eingepfercht und ich hörte: „Beine unter sich selbst! Beine unter sich selbst!” Und man hörte Schläge und Schreie. So wurden sie in vollen Transportern irgendwo weggefahren.

Frauen sind geblieben. Sie fingen an, uns ins RUWD–Gebäude zu rufen und uns angeboten,  ein Protokoll zu unterschreiben. Im Protokoll stand nur Unsinn – dass ich aktiv an den Protesten teilgenommen und Parolen „Stop, Kakerlake!” gerufen hatte. Ich entschied mich, das nicht zu unterschreiben. Diejenigen, die unterschrieben, wurden sofort nach hause gehen lassen. Diejenigen, die sich geweigert hatten, wurden nach Akrestina ins Zentrum für Isolation bei Rechtsverstößen (ZIP) gefahren.

Frau mit Kind beobachten die Protestaktion am 10. August in Minsk.
Quelle: Valery Sharifulin, TASS via BBC

Eigentlich sind dort nicht alle Unmenschen. Wir hatten einen „netten Polizisten”, der sagte uns: „Okay, solange es niemand sieht, könnt ihr euren Familien ein paar SMS schreiben.” Ich weiß nicht, ob er nur eine Rolle gespielt hatte oder in Wirklichkeit ein guter Mensch war, aber ich möchte daran glauben, dass es auch etwas Menschliches in ihnen gibt.

Da dort extrem viele Menschen hingebracht wurden, war es ein reines Chaos. Wir hätten ins ZIP kommen sollen, doch da war es voll und es wurde entschieden, uns in die vorübergehende Haftanstalt zu bringen. In der vorübergehenden Haftanstalt gab es auch keinen Platz und es wurde entschieden, uns vorübergehend ins sogenannte „Becher” zu bringen – ein Raum, kleiner als 1m2, da wurden wir zu viert eingepfercht. 

Danach wurden wir in eine Zwei–Mann–Zelle gebracht und haben eine Matratze ausgehändigt bekommen. Zum schlafen gab es zwei Betten, die bereits von anderen zwei Frauen besetzt waren, einen Tisch, eine kleine Bank und der Boden. Wir schliefen überall drauf – auf dem Tisch, man könnte fast sagen, auf dem Bücherregal – oder quer auf der Matratze. Circa 24 Stunden lang hatten wir nichts zu essen, aber danach haben sie angefangen, uns etwas zum Essen zu geben.

Als unser dritter Tag in der Anstalt zu Ende ging und wir sagten, dass wir jetzt freigelassen werden müssen, antworteten sie uns: „Niemand muss hier für euch irgendetwas tun”. Man spricht mit dir, als wärst du ein Tier. Selbst Tiere dürfte man so nicht behandeln. Diese Menschen sind irgendwie auf einer anderen Ebene – sie reden mit uns wie mit Verbrechern und untereinander ebenfalls.

Nach 74 Stunden, in der Nacht auf den 13. August, sagte man uns, wir sollen aus der Zelle rausgehen. Wir wurden nach draußen herausgeführt und mit dem Gesicht zur Wand gestellt. Man sagte uns, unsere Sachen kriegen wir nicht wieder. In meinem Fall handelt es sich um mein Handy, meinen Ausweis, meinen Führerschein und Geld. Manche hatten ihr einzige Schlüssel dort. Zwei junge Mädchen hatten sich beschwert – dann wurden sie geschlagen und zurück in die Zelle geschickt. 

Ich hatte mich umgedreht und gesagt, „Was macht ihr denn da?”, woraufhin ich einen Schlag ins Gesicht mit der Hand und einen Schlag auf die Beine mit einem Schlagstock bekam. Ein wütender Bulle fragte „Wer will hier noch seine Sachen?”, und sagte uns dann, wir sollen wegrennen. Alle hatten Schuhe ohne Schnürsenkel an, doch wir mussten zum Ausgang rennen. Sie sagten uns „Wir haben dort eine Absperrkette, wenn ihr da rein läuft, kommt ihr wieder hierher.”