Studenten der Belorusischen Staatlichen Universität von Informatik und Radiotechnik (BSUIR): „Der Dozent hat unsere Noten in den Studienbüchern wegen unserer politischen Sicht korrigiert“

22. September 2020, 11:50 | Anya Perova, TUT.BY
Source: TUT.BY

Am Wochenende veröffentlichte der Mirny BSUIR-Telegrammkanal ein Foto eines Studienbuches, in dem die Note „zehn“ für die Prüfung mit einem anderen Stift auf die Note „vier“ korrigiert wurde. Die Autoren des Beitrags argumentieren: Die Situation ist nicht die einzige, die ganze Studentengruppe wurde deswegen betroffen. Dies liegt daran, dass der Dozent „seine Meinung geändert“ hat, um aufgrund der politischen Sicht seiner Studenten gute Noten zu vergeben. TUT.BY hörte die Meinung der Studenten und erfuhr die Position der Universität.

Illustratives Bild. Foto: TUT.BY Leser.
Source: TUT.BY

Position der Studenten: „Das Verhalten des Dozenten widerspricht der Position der Universität“

Wir haben Christina kontaktiert, eine Studentin im fünften Semester der BSUIR. Das Problem ist im ganzen Studiensemester an der Fakultät für Computersysteme und Netzwerke, Fachrichtung Informative Technology Software aufgetreten.

„Zunächst ist festzustellen, warum diese Situation überhaupt aufgetreten ist. Aufgrund von COVID-19 wurde die Fachprüfung „Objektorientierte Programmierung“ unter der Leitung von Kirill Andreevich Surkov online durchgeführt. Folglich gab es keine Möglichkeit, die Noten in die Studienbücher gleich einzutragen“, erklärt die Studentin. „Der Dozent sagte uns damals, dass er die Noten erst im September eintragen wird, jene aber für die Notendatenbank bei der Universität rechtzeitig eingereicht werden.“ Das heißt, die Universitätsdatenbank enthielt ursprünglich Noten, die nicht korrigiert wurden. – Anmerkung TUT.BY).

„Als es September wurde und das neue Semester begann, bat Kirill Surkov die Gruppensprecher, die Noten in das Studienheft reinzuschreiben, damit er diese nun schnell unterschreiben könne.

Deshalb stehen jetzt in unseren Studienbüchern die mit schwarzem Stift geschriebenen Noten über unseren bereits erhaltenen Noten, die in die Notendatenbank eingetragen wurden.“

Sie können sehen, dass die korrigierte Note und die Unterschrift des Dozenten dieselbe Farbe haben. Das Studienbuch sagt „zweites Jahr“, da die Prüfung mit der korrigierten Note in der zweiten Hälfte des letzten akademischen Jahres bestanden wurde. – Foto mit freundlicher Genehmigung von BSUIR-Studenten.
Source: TUT.BY

Ein Student gibt zu: „Die Situation brodelte schon vor Beginn des Schuljahres.“

„Kirill Andreevich hat Accounts in sozialen Netzwerken. Es ist daher ziemlich leicht, seine politische Meinung zu dem, was im Land passiert, zu verstehen. Ich möchte betonen, dass wir Studenten, seine persönliche Sicht und seine gesetzlichen Rechte respektieren und nicht wollen, dass seine Rechte verletzt werden, wie die Rechte jedes Bürgers der Republik Belarus.“

„Die erste Vorlesung war ruhig“, erzählt Christina. „Aber fünf Minuten vor dem Vorlesungsende äußerte sich Kirill Andreevich. Wir waren nicht allzu überrascht, da wir seine Meinung dank Social Media bereits kannten. Einige der Studenten versuchten, sich auf die Polemik einzulassen, aber als es klar wurde, dass es hoffnungslos war, verließen ein paar Stunden das Raum.“

Der Konflikt nahm weiter zu: An vielen Universitäten begannen friedliche Aktionen zur Unterstützung der Inhaftierten.

Die Studenten saßen im Hörsaal als belorussische Flagge (ich meine die Aktionen, bei denen die Studenten in weißen und roten Kleidern in der Reihenfolge der Farben der Flagge saßen – Anmerkung TUT.BY). „An unserer Universität fanden die ersten derartigen Aktionen vom 7. bis 8. September statt, jedoch nicht in meiner Gruppe. Aber am 9. September hatten wir zwei Vorlesungen im Studienplan, darunter einen von Kirill Andreevich. Wir haben uns aus mehreren Gründen entschlossen, die Proteste noch am selben Tag durchzuführen. Das wichtigste ist, wenn es eine Gelegenheit gibt, sie hier und jetzt zu ergreifen und nicht irgendwann später.“

So sahen die studentischen Proteste aus. Illustrative Aufnahme. Foto: TUT.BY Leser.
Source: TUT.BY

Eine Woche später – am 16. September – gab es wieder eine Vorlesung von Kirill Surkov.

„Er führte sie wie gewohnt durch, es gab keine politischen Aussagen“, gibt das Mädchen zu. Am Ende der Vorlesung erinnerten sich die Gruppensprecher an die Noten für die Prüfung. Kirill Andreevich musste sie noch unterschreiben. Aber dann sagte er so etwas wie: „Gegen wen war Ihr Protest gerichtet? Gegen mich. Und jetzt? Sie sind gegen die Fälschung von Wahlen und ich bin gegen die Fälschung Ihrer Noten. Daher werden die ursprünglichen Noten für die Prüfung annulliert, ich gebe allen eine vier.“

Ein Student meint, dass es zunächst wie ein Witz aussah. Aber am 18. September gab es wieder eine Vorlesung von Herrn Surkov, nach der er schließlich alle Studienbücher zur Unterschrift sammelte.

„Der Dozent gab die Studienbücher erst am nächsten Tag zurück, obwohl vereinbart wurde, dass er sie sofort am 18. zurückgeben würde. Einige der Studenten hätten die Prüfung an diesem Tag wiederholen können. Aber das ist eine Kleinigkeit“, bemerkt Christina. „Damals entdeckten wir, dass das komplette Semester eine vier hatte.“

Studenten (wir haben anonym mit mehreren weiteren Studenten aus der „Mirnij BSUIR“ gesprochen) erinnern sich an einen Post des Rektors Vadim Bogush, in dem steht: „Liebe Freunde, ich bitte Sie, alle Handlungen und Taten zu unterlassen, die der Universität einen Imageverlust zufügen, ihren Namen beflecken und sie in politische Spiele verwickeln könnten.“

„Das Verhalten von Kirill Andreevich widerspricht eindeutig dieser Aussage“, sagt Christina. „In den Vorlesungen zeigten wir in keiner Weise unsere politische Position, außer die einmalige Aktion zur Unterstützung der Inhaftierten, einschließlich unserer Universität und sogar unseres Semester. Wir rufen keine Parolen, wir arrangieren keine Provokationen. Und ein Teil unseres Semesters ist total unpolitisch: Sie haben nicht einmal an einer der einmaligen Aktion teilgenommen. Aber trotzdem, wenn ich so sagen darf, waren die „Repressalien“ für alle gleich.“

Die Position des Dekans: „Die Verwaltung der Universtät garantiert, dass die Noten gültig sind. Aber es gibt eine Nuance“

Kirill Surkov selbst hat noch nicht auf die Nachricht des TUT.BY-Korrespondenten geantwortet. Sobald dies geschieht, sind wir bereit, seine Position zu veröffentlichen. Die Studenten schickten die Informationen jedoch an die Redaktion von TUT.BY, dass am Morgen des 22. September ein Treffen mit der Leiterin der Abteilung für Informationstechnologiesoftware, Natalia Lapitskaya, stattfinden wird. Unser Korrespondent kam auch dorthin: Das Treffen war offen.

„Um die Prüfungsnoten zu ändern, ist nur eines erforderlich – ein Verstoß gegen das Prüfungsverfahren, welches grundsätzlich nachgewiesen werden muss. Bis jetzt wurde die Prüfung von allen Personen bestanden, die sie bestehen konnten. Die Noten wurden vergeben – die Entscheidungen der Stipendienkommissionen wurden dahingehend getroffen. Keine anderen Maßnahmen, außer die Entscheidung des Universitätsrates, die Ergebnisse der Prüfung aufzuheben, können die Ergebnisse der Prüfungen annullieren“, erklärt der Dekan.

Illustrative Aufnahme. Foto: TUT.BY Leser.
Source: TUT.BY

Dann bat Natalia Lapitskaya die versammelten Studenten, ihre Hand zu heben, wie viele von ihnen persönlich die korrigierte Note in ihrem eigenen Studienbuch sahen. Und sie sagte: fünf Leute. Dann fügte sie hinzu:

„Die Änderungen in Studienbüchern für die bestimmten Personen […] korrigierten Noten wurden unter Verstoß gegen die Regeln für Änderungen vorgenommen. Das Studienbuch ist kein Duplikat, und dennoch müssen auch darin Änderungen gemäß den Regeln vorgenommen werden. Gegen diese Regeln […] wurde verstoßen.“

Somit versichert Natalia Lapitskaya, dass diese Änderungen keine Auswirkungen haben. Genau gesagt, hätten nicht, wenn ein anderes Problem nicht vorhanden wäre:

„Aufgrund der Art und Weise, wie die Informationen von Journalisten präsentiert wurden (wir sprechen über die Veröffentlichung auf dem dev.by-Portal am 21. September. – Hinweis von TUT.BY), wird die Frage nach der Regelmäßigkeit und Rechtmäßigkeit der Organisation der Prüfung in Frage gestellt. Daher entscheidet die Verwaltung, ob die Prüfungsergebnisse anerkannt werden. […] Und jetzt diskutiert die Presse und fordert dementsprechend Maßnahmen.“

Der Dekan stellte außerdem fest, dass es in der Presse leider Informationen gibt, die nicht der Realität entsprechen. Lapitskaya sagt, dass die Prüfung an den Vollzeitfakultäten tatsächlich in Vollzeitform organisiert wurde. Und nur die Vorgespräche und die vorläufige Bewertung des Wissens wurde aus der Ferne durchgeführt – um den hygienischen und epidemiologischen Standards zu entsprechen.

„Die Presse berichtet den Studenten zufolge, dass die Prüfung aus der Ferne bestanden wurde, was bedeutet, dass der Mechanismus für die Ablegung der Prüfung verletzt wurde. Daher können die Noten in Frage gestellt werden.“

Danach fragte Natalya Lapitskaya die Studenten, ob es sich lohne, solche impulsiven Entscheidungen zu treffen und die Presse zu kontaktieren. Und sie betonte: „Die Garantie der BSUIR-Administration besteht darin, dass alle erhaltenen Bewertungen in Kraft bleiben. Vorausgesetzt, die Verwaltung schafft es, sie zu verteidigen und nachzuweisen, dass die Prüfung wie gefordert ohne Verstöße bestanden wurde.“

Am Ende des Treffens betonte der Dekan separat, dass Kirill Andreevich Surkov nach dem Geschehen möglicherweise die Zusammenarbeit mit der Universität verweigern könne und es nicht einfach wird, einen neuen Lehrer zu finden: Die Personalsituation ist äußerst schwierig. Was ihre wahren politischen Ansichten betrifft, so kennen die Studenten sie nicht, weder von Surkow noch von Lapitskaya.

And lecturers do not pay attention to the civic position of the students themselves.