„Ich dachte, jetzt bin ich blind“

Bruder von Daria Domratschewa berichtet von seiner brutalen Gefangennahme, die auf Video festgehalten wurde

12. Oktober 2020, 11:16 | Dsmitry Smirnou, TUT.BY
Source: TUT.BY

Am Sonntag, während der gewaltsamen Auflösung von Demonstrationen, wurde Daria Domratschewas Bruder Nikita zusammengeschlagen und festgenommen. Heute ist er bereits wieder zu Hause. Nikita berichtet im Detail über den Vorfall und bestätigt auch, dass seine Festnahme auf Video aufgenommen wurde.

Hier ist das Video:

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Gestern fuhr ich mit dem Fahrrad auf einem Radweg entlang der Uferpromenade im Stadteil Sybitskaja zu meiner Mutter. Als ich die Brücke erreichte, erblickte ich Menschen in olivgrüner Uniform, die schreiend auf mich zugerannt kamen. Ich hatte Angst, kehrte um, aber aus der Gegenrichtung, von der Ecke des Gebäudes her, kam eine weitere Schar schwarz gekleideter Einsatzkräfte herangelaufen.

Sie stießen mich einfach vom Fahrrad und fingen ohne Begründung an, auf mich einzuprügeln. Es blitzte in meinen Augen, Blut lief von meinem Kopf herab. Ich fürchtete um mein Fahrrad. Ich habe es seit 10 Jahren und es liegt mir sehr am Herzen. Ich versuchte zu entkommen, um es zu retten.

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Aber man brachte mich in einen Kleinbus. Dort drohten sie mir und stupsten mich mit einem Schlagstock. Von den Schlägen und dem Blut in meinem Gesicht konnte ich nichts sehen. Irgendwann dachte ich, ich wäre blind, also bat ich um einen Krankenwagen. Sie verweigerten meine Bitte jedoch mit der Begründung, der Arzt sei auf der Polizeiwache. Außerdem schnürten die Handschellen mir das Blut ab, aber auf meine Bitte, sie zu lockern reagierten die Sicherheitskräfte mit Lachen und Beleidigungen. Sie durchsuchten meine persönlichen Sachen, mein Portemonnaie, aber da gab es keine [nationale belarussische] Symbolik.

Nach einer Weile verfrachteten sie mich in ein anderes Auto und fuhren mich etwa eine Stunde lang durch die Stadt, aber immerhin verpassten sie mir einen Verband, um das Blut zu stoppen.

Ich wurde zusammen mit einer Gruppe anderer Gefangener zum Polizeirevier gebracht. Ich hatte keine Schuhe an, diese waren bei der Festnahme verloren gegangen. Sie kopierten die Daten aus meinen Dokumenten, machten Fotos von mir, aber niemand nahm meine Aussage auf.

Nach einer Weile kam ein Krankenwagen. Im gleichen Moment wurde mir ein fertiges Protokoll mit allen Aussagen der Mitarbeiter unter die Nase gehalten, aber man gab mir keine Gelegenheit, es zu lesen, was damit begründet wurde, dass es persönliche Daten der Strafverfolgungsbeamten enthalte.

Im Protokoll stand, dass ich an einer nicht genehmigten Massenveranstaltung teilgenommen hätte. Ich fühlte mich sehr schlecht, hatte starke Kopfschmerzen, also habe ich mich nicht gewehrt und unterschrieben. Der Prozess soll vor dem Gericht des Minsker Stadtteils Frunsenski stattfinden, das Datum kenne ich nicht.

Ein Krankenwagen brachte mich ins Krankenhaus Nummer Drei, wo ich nach mehrstündigem Warten in der allgemeinen Schlange in ein Krankenzimmer gebracht wurde. Am Morgen unterzeichnete ich eine Verzichtserklärung für den Krankenhausaufenthalt und ging nach Hause.

Haben Sie den Sicherheitskräften gesagt, wer sie sind? Wer Ihre Schwester ist?

Nein.

Und was ist mit dem Fahrrad?

Ich habe meine Frau gebeten, dort nach ihm zu suchen, wo ich festgenommen worden war, aber dort war es schon nicht mehr. Ich mache mir Sorgen um sein Schicksal.

Haben Sie schon mit Dascha [Daria Domratschewa] gesprochen?

Noch nicht, aber sie hat von unserer Mutter erfahren, was geschehen ist.

Im Anschluss an das Interview zeigte uns Nikita einige Fotos. So sah er am Tag nach der Festnahme aus.

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