Belarusische Waren. Nicht billig

Ein investigativer Bericht darüber, wie Alexander Lukaschenkos Entourage an russischen Bürgern Geld verdient

4. Februar 2021 | Olga Churakova, Alexander Jaroshevich, Olga Ratmirova, Stas Ivashkevich, proekt.media
Belarusian products. Expensive
Source: proekt.media

Jedes Jahr verliert Russland Milliarden von Rubeln durch Schmuggel und Reexport von Waren aus Belarus. Moskau sieht weg und lässt Unternehmen, die mit dem belarusischem Machapparat in Verbindung stehend, daran verdienen. Eine gemeinsame investigative Untersuchung von „Projekt“, „BelSat“ und Naviny.by.

  1. Warum Zigarettenschmuggel in Russland gedeckt wird
  2. Wie belarusische Machthaber an illegalen Tabakwaren verdienen
  3. Wie Belarus zum Blumenparadies wurde
  4. Die tatsächlichen Profiteure des Blumenimports

Wie die russischen Behörden beim Zigarettenschmuggel wegsehen

Im September 2020 verkündete der russische Premierminister Michail Mischustin eine beispiellose Erhöhung der Verbrauchsteuer auf Tabak: 20 Prozent. „In einer schwierigen Situation müssen sich alle an der Lösung der Probleme beteiligen, mit denen das Land und die Menschen konfrontiert sind“, erklärte Mischustin. Neben dem Kampf gegen das Rauchen hatte die Erhöhung der Verbrauchsteuer ein anderes Ziel: Geld eintreiben für die von Krise und Pandemie schwer gebeutelte Staatskasse.

Die Tabakbranche reagierte entsetzt: Durch den Regierungsbeschluss stieg der Preis für eine legale Packung Zigaretten um satte 20 Rubel. In den letzten acht Jahren stieg der Marktanteil der illegalen Zigaretten in Russland von 0,3 auf 7 Prozent. Über die Hälfte des gesamten illegalen Marktes – 54 Prozent – stellen illegale Zigaretten aus belarusischer Herstellung.

Was ist der Grund für die Nachfrage nach illegalem Tabak?

Russische Experten vergleichen die Handelspolitik der Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion (auch Zollunion genannt) mit staatlich betriebenem Schmuggel, da Russland bei der Unionsgründung die Kontrolle über Wareneinfuhren seinen Nachbarn anvertraute. Russland und Belarus traten bereits 2010 der Zollunion genannt bei, 2011 wurden die Transportkontrollen zwischen den Ländern eingestellt und an die Außengrenzen der Zollunion verlagert. So wurde es möglich, die Grenze zwischen Russland und Belarus ungestört zu passieren, ohne dass Fahrzeuge angehalten und kontrolliert wurden.

2013 und 2014 begann Russland auf Empfehlung der WHO, im Kampf gegen das Rauchen die Verbrauchsteuer auf Tabak jährlich zu erhöhen. Die Preise stiegen um ein Vielfaches, dann begann die Wirtschaftskrise, das Einkommen der Bevölkerung stagnierte und die Raucher suchten nach billigeren Tabakwaren. Der Unterschied bei den Zigarettensteuern zwischen Russland und seinen Partnern in der Zollunion ist so groß, dass er Schmuggel geradezu provoziert. Laut einer Umfrage von VTsIOM (Allrussisches Zentrum der Erforschung der öffentlichen Meinung) aus dem Jahr 2020 war sich nur jeder fünfte Raucher sicher, die Legalität von Zigaretten feststellen zu können. Und jeder Vierte kaufte bewusst illegale Zigaretten, vor allem die, die ihre finanzielle Situation als schlecht einschätzten. Hohe Verbrauchsteuern, hohe Preise (46%) und niedriger Lebensstandard (41%) waren die am häufigsten genannten Gründe für die Verbreitung von Schmuggelzigaretten. Über die Hälfte der Befragten waren der Ansicht, dass die bestehenden Maßnahmen zur Bekämpfung des illegalen Zigarettenmarktes unwirksam sind (53%).

Warum illegale Zigaretten aus Belarus eingeschmuggelt werden

Der Zigarettenpreis in Belarus ist mit etwa 60 Rubel pro Schachtel der niedrigste in der Zollunion – in Russland kostet eine Schachtel rund 120 Rubel. Ähnlich ist es mit der Verbrauchsteuer auf Zigaretten (1308 Rubel pro tausend Stück in Belarus gegenüber 2.805 Rubel in Russland ). In Belarus wird der Preis vom Staat bewusst niedrig gehalten: 2019 erteilte Präsident Lukaschenko die Anweisung, einen Anstieg der Tabakpreise nicht zuzulassen.

Gleichzeitig werden in Belarus riesige Mengen von Tabakwaren produziert, die den Inlandsverbrauch um das Zwei- bis Dreifache übersteigen. Momentan sind in Belarus drei Tabakfabriken tätig: „Neman“ in Grodno, „Tabak-Invest“ und „Inter Tobacco“ in Minsk.

Production of cigarettes at the Neman factory
Herstellung von Zigaretten in der Fabrik „Neman“.
Source: grodnonews.by

„Neman“ wurde im 19. Jahrhundert gegründet und ist das älteste Staatsunternehmen von Belarus. Die Fabrik produziert überwiegend Zigaretten im unteren Preissegment mit den Eigenmarken „Credo“, „Minsk“, „NZ“, „Queen“, „Matrix“, „Magnat“, „Premier“ und „Fest“. Darüber hinaus werden hier auf Vertragsbasis Zigaretten für British American Tobacco (Rothmans, Pall Mall, Kent, Vogue) und für Tobacco International Enterprises Limited (Oscar, Cooper, Velvet) hergestellt.

 „Tabak-Invest“ ist eine private Fabrik, die den Geschäftsleuten Viktar Petrovich und Pavel Topuzidis gehört. Auch hier werden sowohl eigene, als auch Fremdmarken auf Vertragsbasis hergestellt. „Inter Tobacco“ ist die jüngste private Fabrik in Belarus. Die Fabrik wurde im vergangenen Jahr eröffnet und gehört zur Unternehmensgruppe „Energo-Oil“, die vom Geschäftsmann Aljaksej Aleksin kontrolliert wird. Die Fabrik produziert ebenfalls eigene und ausländische Marken.

Die Namen der obengenannten Geschäftsleute sind für die nachfolgende Geschichte von Bedeutung.

Wie der Zigarettenschmuggel nach Russland funktioniert

Kurz von Jahreswechsel hielten Zollbeamte in der Region Pskow einen Lastwagen zur Kontrolle an. Laut Unterlagen handelte es sich bei der Fracht um Möbel aus Belarus, eine Organisation in Moskau war als Empfänger angegeben. Statt der Möbeln fanden die Zollbeamten belarusische Zigaretten im Wert von ca. 1,5 Millionen Rubel. Eines der Muster, nach den die Schmuggler arbeiten: Sie registrieren Unternehmen in den russischen Grenzregionen oder in Moskau, während sie tatsächlich in Belarus tätig sind.

The trailer of the truck stopped in the Pskov region
Die Ladefläche des Lastwagens, der in der Region Pskow gestoppt wurde.
Source: informpskov.ru

Die Zigaretten werden entweder als „Bauteile“ (Tabak, Hülsen und Pappbögen getrennt voneinander) oder „zusammengebaut“ nach Russland gebracht, berichtet einer der Verkäufer, die von einem „Projekt“-Reporter im russischen sozialen Netzwerk „Vkontakte“ gefunden wurden. „In Russland findet dann das Pressen und Füllen von Zigaretten und das Zuschneiden von Pappschachteln statt. Die Steuerstempel sind eine billige typografische Nachbildung des Originals. Pappe und Hülsen erwecken keinen Verdacht. Den Tabak versteckten wir einfach in Kissen“, berichtet er. Der Verkäufer vermutet, dass der russische Zoll an dem Schmuggel mitverdient: Mittel- und hochrangige Mitarbeiter seien daran beteiligt.

Eine der häufigsten Arten des Warentransports aus Belarus ist der sogenannte „unterbrochene Transit“: Belarusische Unternehmen geben an, sie würden Zigaretten nach Kirgisistan, Kasachstan oder Armenien transportieren und sie dort angeblich entladen, obwohl sie das Endziel nie erreichen. Der LKW fährt mit einer Ladung Zigaretten und offiziellen Dokumenten ein, den zufolge die Waren in ein anderes Land gebracht werden, doch stattdessen werden sie in Russland entladen.

Der Halbgroßhandel mit Schmuggelware in Russland ist nach Art des Drogenhandels organisiert, er läuft beinahe wie im Darknet über anonyme Telegrammkanäle und Gruppen im sozialen Netzwerk „VKontakte“. Im Dezember 2020 gab es mindestens sechshundert solche Handelsplätze. Es ist unmöglich, die tatsächlichen Betreiber von solchen Gruppen und Chats zu ausfindig zu machen: Das Profil enthält keine echten Namen oder Fotos, die Administratoren wechseln sich ständig ab.

Um über die Telegrammkanäle einen Einkauf zu tätigen, muss der Einkäufer den Administratoren empfohlen werden, sonst reagieren die Verkäufer häufig gar nicht erst auf Anfragen. Einer der Gesprächspartner von „Projekt“ im sozialen Netzwerk „Vkontakte“ erklärte sich bereit, einem Neuling „fürs Erste“ zwei Kartons von belarussischen Zigaretten mit und ohne Steuerzeichen zu verkaufen: Der Transport durch Russland sollte vom Transportunternehmen „Delovye Linii“ durchgeführt werden. Der Verkäufer antwortete nicht auf die Frage, wie die Zigaretten aus Belarus geliefert werden sollen, garantierte jedoch die Sicherheit der Lieferung.

Neben geschlossenen Gruppen sind belarusische Zigaretten auf zahlreichen Websites im russischen Segment des Internets (Seiten mit der Endung „.ru“) zu finden, obwohl der Internethandel mit Tabakwaren in Russland verboten ist. Ein „Projekt“-Reporter kontaktierte unter dem Deckmantel eines Käufers den Verkäufer eines Online-Shops, in dem Zigaretten aus Belarus, Kirgisistan, Tadschikisch und anderen Ländern angeboten werden. In diesem Shop fanden sich belarusische Zigaretten, sowohl mit, als auch ohne Steuerzeichen, der Marken „NZ“, „Korona“, „Minsk“, „Fest“ und anderer Marken, die üblicherweise in der niedrigen Preisklasse nachgefragt werden. Das ganze Jahr 2020 über suchten und sperrten Anwälte der Kanzlei „Gorodissky und Partner“ im Auftrag von Tabakunternehmen solche Online-Shops. Die Anzahl der Websites schrumpfte auf ein Viertel, doch der Handel verbreitete sich über Instagram-Accounts. Die Anzahl der Handelsplätze verzehnfachte sich.

Es folgt der Wortlaut des Schriftverkehrs zwischen unserem Reporter und einem Verkäufer:

correspondence between our correspondent and the seller
Der Schriftverkehr zwischen „Projekt“-Reporter und Verkäufer.
Source: proekt.media

Olya: Alexander, guten Abend! Ich möchte Tabak bestellen, sagen Sie bitte, wie liefern Sie aus Belarus? Mit welchen Transportunternehmen (Transportcontainern)?
Alexander: In der Russischen Föderation liefern wir mit „Delovye Linii“.
Olya: Und aus Grodno wird auch mit „Delovye Linii“ geliefert, ja?
Alexander: Von Grodno aus geht es per Flugzeug, glaube ich.
Olya: Auch wenn wir 100–150 Kartons bestellen?
Alexander: Wo soll es hingehen? Welche Stadt?
Olya: Ins Gebiet Tver. Also, wohin würden Sie dann per Flugzeug liefern? Wir haben bei uns keinen Flughafen.
Alexander: Wir liefern per Transportcontainer in der gesamten Russischen Föderation. Die Ladung wird in Ihre Stadt gebracht.
Olya: Ach so, ich verstehe. Wird sie denn mit dem Flugzeug sicher ankommen? Ist das ein regulärer Flug, wissen Sie das? Sorry für die dummen Fragen, ich mache so eine Bestellung zum ersten Mal, die Chefs sind sehr besorgt um die Sicherheit.
Alexander: Die Waren sind bereits in Russland, sie wurden bereits aus Grodno geliefert – das nur so für Sie, zur Info. Wir versenden in ganz Russland mit „Delovye Linii“.

Auf russischer Seite sind vor allem kleine Akteure am Schmuggel beteiligt, wie aus den Gesprächen von „Projekt“ mit den Schmugglern hervorgeht: „Es gibt kleine regionale Lager, von dort geht es zu Verteilungsstellen in einzelnen Gebieten, das machen dann Leute, die mal eben schnell was verdienen wollen für ein billiges Auto oder so.“ Ihm zufolge könnten die Waren problemlos verkauft werden, die Behörden reagierten nicht, wenn der Umsatz nicht über 5 bis 7 Millionen Rubel liege. „Für höhere Beträge sind digitale Geldbörsen ungeeignet, das Geld muss dann an die Bank überwiesen werden, und das können dann bei den Behörden alle sehen, die sich dafür interessieren“, fügt er hinzu.

Der „Projekt“-Reporter konnte ohne weiteres belarusische Schmuggelware im Zentrum von Moskau kaufen: Zigaretten mit und ohne Steuerzeichen wurden in mehreren Tabakkiosken zu einem Preis von 70 bis 80 Rubel pro Schachtel verkauft. Auf die Frage, wer die Zigaretten liefere, antwortete einer der Verkäufer, er kaufe sie angeblich auf dem größten Großhandelsmarkt Moskaus – „Food City“. Dieser ist Teil der Unternehmensstrukturen der Geschäftsleute God Nisanov und Zarakh Iliev.

Wer an den belarusischen Zigaretten verdient

Im Gegensatz zu Russland verdienen auf belarusischer Seite sehr große Akteure an illegalem Tabak. Als die „Inter Tobacco“-Fabrik im Jahr 2020 gebaut wurde, änderte Präsident Lukaschenko extra für dieses Unternehmen die Verwaltungsgrenzen von Minsk und beschnitt die Fläche der Hauptstadt um beinahe eineinhalb Hektar Land. Auf diesem Land befindet sich die Fabrik.

Die Sache ist, dass der Inhaber dieses Geschäfts, Aljaksej Aleksin, für Lukaschenko kein Fremder ist. Er arbeitete für die Firma „Belvneshtorginvest“, die zur Struktur der Präsidialverwaltung von Belarus gehörte. Anschließend beaufsichtigte er den Handel mit Ölprodukten bei der Unternehmensgruppe „Triple“ des Geschäftsmannes Yuri Chizh. 2012 verhängte die Europäische Union Sanktionen gegen Chizh, der als „Lukaschenkos Geldbörse“ galt. Zwei Jahre vor den Sanktionen wurden alle Öl-Aktiva von Chizh an Aleksin übertragen.

Aliaksei Aleksin
Aljaksej Aleksin.
Source: Dzmitry Brushko, TUT.BY

Zu den Vermögenswerten von Aleksin gehören heute das Unternehmen „Energo-Oil“, die „MTBank“, der Hotel- und Restaurantkomplex „Syabry“, das Fleischwarenwerk „Veles-Meat“ und der nationale Betreiber des Transitverkehrsüberwachungssystems „Belneftegaz“. Der Geschäftsmann hilft belarusischen Bikern, vor allem dem wichtigsten Biker des Landes, Lukaschenkos Sohn Viktar. Letzterer gründete 2012 zusammen mit dem Sohn des damaligen russischen Generalstaatsanwalts Artem Chaika den Elite-Motorradclub „Iron Birds Chapter“. „Iron Birds Chapter“ organisiert Biker-Rallyes in Russland und Belarus, und als Mitorganisator fungiert regelmäßig die Firma „Moto Event“, die dem Russen Alexander Kitaev und dem Belarusen Dmitri Pavlovich gehört. Pavlovich, Direktor von „Energo-Oil“, ist ein Mitarbeiter von Aleksin.

The son of the Prosecutor General of Russia Artem Chaika and Aliaksei Aleksin
Der Sohn des russischen Generalstaatsanwalts Artem Chaika und Aljaksej Aleksin im Mai 2019 bei der Eröffnung der Motorradsaison in Woronesch, an der auch Lukaschenko und sein Sohn teilnahmen.
Source: RIA

Aleksin steht der Lukaschenko-Familie so nahe, dass er im März 2020 vom Nekhta-Telegrammkanal an Bord des Businessjets Gulfstream G550 entdeckt wurde, den Viktar Lukaschenko für Flüge nach Abu Dhabi nutzte. Der Businessjet war in Österreich gemeldet: Er wurde bei der Firma Eolinus Beteiligungsverwaltungs GmbH registriert, die mit einem weiteren einflussreichen belarusischen Geschäftsmann in Verbindung stand: Aleksins Partner Mikalaj Warabej.

Aleksins Profite in der Tabakindustrie sind enorm. Die Sache ist die: Präsident Lukaschenko hat bereits 2017 angeordnet, ein „einheitliches Warenvertriebsnetz“ im Tabaksektor einzurichten. Das bedeutet, dass Zigaretten aus zwei Tabakfabriken des Landes seither über Aleksin vertrieben werden, und 2020 gingen 40% des Inlandsmarktes an ihn. Es war ausgerechnet seine Firma „Energo-Oil“, mit der eine Investitionsvereinbarung geschlossen wurde, woraufhin Aleksins Firma die staatseigenen Verkaufsstände „Tabak“ (ca. 900 Objekte) vermietet bekam und das Recht erhielt, im ganzen Land seine eigenen Tabakstände „Tabakerka“ zu errichten.

Ein Jahr später, im Sommer 2018, erhielt „Energo-Oil“ das Recht auf Import und Vertrieb von ausländischen Zigaretten. Das Unternehmen importierte zunächst, und nun produziert es auf Vertragsbasis Zigaretten der Marken L&M, Parliament und Marlboro. In Anbetracht der Tatsache, dass die Inlandsproduktion von Tabakerzeugnissen in Belarus um ein Vielfaches höher ist als die Inlandsnachfrage, könnten importierte Zigaretten auch nach Russland gelangen.

Und schließlich ist es wichtig zu verstehen, dass kein anderer als Aleksin, neben alldem anderen, auch den Verkehr aller Transitgüter durch Belarus kontrolliert. Auf Lukaschenkos Anordnung wurde „zur Bekämpfung von Schmuggel“ ein System zur Überwachung des Transitverkehrs eingerichtet, das die Bewegung von Lastwagen zu ihrem Ziel in Echtzeit überwacht. An den Fahrzeugen wird ein elektronisches Siegel angebracht, das mit Navigationssystemen verbunden und in die Datenbank der Zollbehörden integriert ist. Der nationale Betreiber des Systems ist das von Aleksin kontrollierte Unternehmen „Belneftegaz“. Entwickelt wurde dieses elektronische System von einem Unternehmen, das ebenfalls von Aleksin kontrolliert wird.

Aleksin lehnte es ab, sich dazu zu äußern.

Wie Belarus den russischen Blumenmarkt übernahm

Es gibt noch eine Branche, bei deren näherer Betrachtung deutlich wird, wie die Entourage von Präsident Lukaschenko von Warenlieferungen nach Russland profitiert. Überraschenderweise ist Belarus bereits seit mehreren Jahren der Hauptlieferant von frischen Blumen nach Russland. In den letzten fünf Jahren hat Belarus das Exportvolumen von Schnittblumen nach Russland mehr als verhundertfacht und die Weltmarktführer Niederlande, Ecuador und Kolumbien überholt. Heute kommt fast jede zweite in Russland verkaufte Blume aus Belarus.

Rizhsky market in Moscow
Rigaer Markt in Moskau.
Source: proekt.media

Der rapide Anstieg der Lieferungen aus Belarus fiel mit den in Russland 2015 und 2016 auferlegten Beschränkungen für den Import von Blumen aus den Niederlanden und der Türkei zusammen. Dies ist jedoch nicht der einzige Grund für den Boom der „belarusischen“ Blumen. Die Sache ist, dass es aufgrund der Besonderheiten bei der Besteuerung profitabel ist, Blumen nach Russland zu importieren.

Durch eine Verordnung von Lukaschenko wurden belarusische Reexporteure beim Import von Waren aus dem Ausland von der Mehrwertsteuer befreit, und wenn sie Blumen nach Russland liefern, wo die Mehrwertsteuer anfällt, wird der angegebene Warenwert um ein Vielfaches verringert.

Schaut man sich die Daten der belarusischen Statistikbehörde Belstat an, so stellt sich heraus, dass Belarus Blumen für 32 bis 36 Cent pro Stück einkauft, was in etwa den Weltmarktpreisen entspricht, dass sie jedoch für 8 bis 12 Cent pro Stück nach Russland verkauft werden. Mit diesem System lassen sich Steuern sparen: bis zu zehntausend Dollar an einem LKW. Im Ergebnis sind belarusische Blumen etwa 20 bis 30 Prozent billiger als jene der Konkurrenz, die direkt nach Russland liefert.

Im Jahr 2019 importierte Belarus fast 900 Millionen Blumen. Ungefähr die gleiche Menge wurde nach Russland exportiert.

In 2019, Belarus imported almost 900 million flowers
Durch den grünen Korridor wird nach Belarus importiert, durch den roten nach Russland exportiert, Millionen von Blumen.
Source: proekt.media

Die russischen Blumenzüchter sagen, dass belarusische Importe ihr Geschäft zerstören: Neue Gewächshäuser werden im Land praktisch gar nicht mehr gebaut, Investitionen in alte Blumenfabriken wurden eingestellt, das Land verliert 6 bis 8 Milliarden Rubel im Jahr.

Wie im Falle von Tabak sind die Hauptabnehmer von Blumen in Russland ebenfalls kleine Unternehmen oder Einzelunternehmer. Der als Käufer getarnte „Projekt“-Reporter rief bei den größten Großhandelsunternehmen an: Die Betreiber der Unternehmen „Sem’ Cvetov“, „Floreksim“, „Euroflor“ und „Cvety ot Machelyuka“ gaben an, dass sie ihre Waren über Belarus liefern lassen und dass es derzeit keine anderen Optionen gebe. Auf dem Rigaer Markt, dem wichtigsten Blumenmarkt in Moskau, betreiben sie Halbgroßhandel: Ihre Käufer sind vor allem Händler, die die Blumen in Wohngebieten verkaufen. Der „Projekt“-Reporter befragte die Verkäufer auf dem Rigaer Markt, und einige von ihnen gaben ebenfalls an, dass die Waren aus Belarus stammten, konnten aber nicht genau sagen, wie sie die Grenze passierten.

Die Mitarbeiterin eines der größten Transportunternehmen, das Schnittblumen für russische Großhändler transportiert, erzählte, das Unternehmen beziehe diese über die belarusischen Logistikunternehmen „Beltamozhservice“ und „Globalalkastom“: „Niemand wird dieses System ändern, und es kostet das Dreifache, direkt aus Ecuador liefern zu lassen.“

Wer in Belarus an Blumen verdient

Studiert man die Liste der belarusischen Schnittblumenlieferanten, erkennt man drei führende Unternehmen: „Globalalkastom“, „Logeks“und „Gaz Venture“. Auch das staatliche Logistikunternehmen „Beltamozhservice“ ist in dieser Liste zu finden.

Alle genannten Unternehmen sind eng mit der Führung des Landes verbunden. „Niemand kann einfach so in diesen Markt eintreten. Das wird einfach nicht zugelassen“, erklärt ein Manager eines der belarusischen Blumenunternehmen.

„Globalalkastom“ wurde 2015 gegründet, unter den Miteigentümern waren damals gewisse Anna Pushkareva und Anna Khmelevskaya. Es ist schon lange klar, dass diese Unternehmen einen besonderen Schutz der belarusischen Behörden genießen. „Im Jahr 2017 wurde in Russland ein Lastwagen gestoppt, der laut Dokumenten Webstoffe, in Wirklichkeit jedoch Markenbekleidung geladen hatte“, berichtete der unabhängige belarusischen Sender „Belsat“. Moskau forderte Minsk auf, die Sache zu klären. In Belarus begann ein Gerichtsverfahren. Während des Verfahrens stellte sich heraus: Eigentümer der Fracht war die Firma „Globalalkastom“, die die Waren in Belarus verzollte und von verringerten Zollkosten profitierte, um sie dann an ihre eigene Tochterfirma zum Verkauf nach Moskau zu schicken. Dennoch verzichtete das Gericht darauf, „Globalalkastom“ anzuklagen, und gab sich mit der Erklärung des Unternehmens zufrieden, dass dieses zahlreiche Lieferungen zu verwalten und einfach vergessen habe, einige Lastwagen zu überprüfen. Letztendlich wurden der Fahrer und der Besitzer des beschlagnahmten Lastwagens verurteilt.

Die ursprüngliche Mitinhaberin von „Globalalkastom“, Anna Pushkareva, ist eine Bekannte von Lukaschenkos Assistent für besondere Aufgaben, seinem langjährigen Weggefährten und Leiter der Präsidialverwaltung Viktar Sheiman.

Alexander Lukashenko and Viktar Sheiman
Alexander Lukaschenko und Viktar Sheiman.
Source: proekt.media

Momentan befinden sich die mit „Globalalkastom“ verbundenen juristischen Personen laut Dokumenten im Besitz von Evgeny Zhovner und Alexander Romanovsky. Letzterer ist Geschäftspartner von Dmitry Pobyarzhin, dem ehemaligen Pressesprecher des belarusischen KGB. Nichtsdestotrotz ist „Globalalkastom“ nach wie vor mit Sheiman verbunden, und zwar auf ganz offensichtlichste Weise. Das „Globalalkastom-Management“ besitzt 75% von „Belgeopoisk“, einem Bergbauunternehmen, und die restlichen 25% gehören „Belzarubezhtorg“, einer Firma, die dem Leiter der Präsidialverwaltung gehört. Die Zollabfertigungsstellen von „Globalalkastom“ befinden sich im Industriepark „Velikiy Kamen’“, in den Handels- und Logistikzentren „Beltamozhservice“ und „Ozertso-Logistics“, die ebenfalls dem Leiters der Präsidialverwaltung gehören. Eröffnet wurde die Zollabfertigungsstelle von „Globalalkastom“ in „Velikiy Kamen’“ von Sheiman persönlich.

Warum der Leiter der Präsidialverwaltung von Belarus als Geschäftsmann tätig ist

Die Präsidialverwaltung von Belarus ist eine staatliche Verwaltungsbehörde, die Alexander Lukaschenko persönlich untersteht. Sie wurde 1994 gegründet. In 25 Jahren hat sie sich von einer kleinen Abteilung, die für die materiell-technische Versorgung und Service der höchsten Staatsorgane zuständig war, zu einer großen, in zahlreichen Branchen tätigen Holding entwickelt.

Die Struktur der Präsidialverwaltung umfasst über 100 Organisationen in Belarus und im Ausland. Zu ihrer Zuständigkeit gehören vier Nationalparks („Belovezhskaya Pushcha“, „Narochansky“, „Pripyatsky“, „Braslavskie ozera“) und das Biosphärenreservat Berezino, Sanatorien in Belarus, im Kaukasus, auf der Krim und in den baltischen Ländern, die Minsker Hotelkomplexe „President-otel“, „Minsk“, „Planeta“und „Yubileiny“, Agrarindustrie-, Bau-, Transport- und Handelsunternehmen. Ihrer operativen Verwaltung unterstehen ca. 400 Staats- und Verwaltungsgebäude. Der Ertrag der Unternehmen der Präsidialverwaltung im Jahr 2020 belief sich auf 2,6 Milliarden belarusische Rubel (über 1 Milliarde US-Dollar).

Die von der Präsidialverwaltung kontrollierten Unternehmen erhielten vom Staat Vergünstigungen bei der Einfuhr von Importwaren und brachten diese ungehindert über die Grenze nach Russland. So erteilte ihnen Lukaschenko Mitte der 90er Jahre per Anordnung Steuervorteile, die sie von Steuern befreiten, angeblich um die Bevölkerung kurz vor Jahreswechsel mit Waren zu versorgen. In Wirklichkeit wurden alle Waren nach Russland verkauft. Folglich wurden dem Staatshaushalt Mittel entzogen, und der Erlös aus dem Verkauf in Russland ging auf das Konto der Präsidialverwaltung. In den frühen 2000er Jahren wurde der Handel mit beschlagnahmten Waren zu einem neuen Tätigkeitsfeld der Präsidialverwaltung: Waren aus anderen Ländern, die der belarusische Zoll an der Grenze beschlagnahmte. So wurden im Jahr 2003 Waren im Wert von 250 Millionen US-Dollar beschlagnahmt.

Der zweite große Blumenlieferant, die Firma „Logeks“, ist mit dem Geschäftsmann Alexander Shakutin und dessen Sohn Alexander Shakutin Jr. verbunden. Die Familie Shakutin ist Lukaschenko außerordentlich treu ergeben. Shakutin Sr. war als einer der wenigen Geschäftsleute bei der geheimen Amtseinführung des belarusischen Präsidenten auf dem Höhepunkt der Straßenproteste im Jahr 2020 anwesend. Im vergangenen Jahr verhängte die EU Sanktionen gegen Shakutin.

Alexander Lukashenko and Aliaksandr Shakutsin Sr
Alexander Lukaschenko und Alexander Shakutin Sr.
Source: Pressedienst des Präsidenten von Belarus

Der dritte Lieferant, „Gaz Venture“, ist mit dem Logistikunternehmen „Bremino Group„ verbunden. Das Unternehmen baut an der Grenze zu Russland einen großen Logistikkomplex mit LKW-, Eisenbahn- und Flugzeugterminals. Der Aufbau einer Blumenbörse ist ebenfalls geplant. Für den Logistikkomplex von „Bremino Group“ ordnete Lukaschenko persönlich die Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone im Gebiet Orscha an: „Bremino Orscha“, die im Grunde eine Steueroase darstellt. Die „Bremino Group“ gehört auf paritätischer Grundlage dem hier bereits mehrfach genannten Aljaksej Aleksin und seinen langjährigen Partnern Mikalaj Warabej und Alexander Zaitsev, die der Familie Lukaschenko ebenfalls außerordentlich nahe stehen.

Zaitsev ist ein ehemaliger Beamter, der als Assistent von Viktar Lukaschenko tätig war. Die Geschäftsinteressen von Warabej konzentrieren sich maßgeblich auf die Ölindustrie. Die ihm unterstellte „New Oil Company“ wurde kürzlich durch einen Beschluss der Machthaber zum Sonderexporteur von belarusischen Ölprodukten – nach demselben Muster, nach dem Aleksin den Zigarettenexport zugeteilt bekam. Auch Warabej wurde von der EU wegen Unterstützung des Lukaschenko-Regimes mit Sanktionen belegt.