Sechs Monate seit Beginn der Proteste in Belarus: „Siegesstrategie“ von Tichanowskaja; der erste Prozess gegen die Journalistinnen Kazjaryna Andrejewa und Darja Tschulzowa; Prozesse als Beweis für rechtliches Vakuum; Verhaftungen und Durchsuchungen am Vorabend der Allbelarusischen Volksversammlung
9. Februar 2021 | Voice of Belarus
Swetlana Tichanowskaja veröffentlichte eine „Siegesstrategie“
Swetlana Tichanowskaja fasste die Ergebnisse der letzten sechs Monate nach der Präsidentschaftswahl in Belarus zusammen und veröffentlichte ihre „Siegesstrategie“.
Die Strategie kombiniert die Aktionen des Stabes von Swetlana Tichanowskaja, des nationales Koordinierungsrates von Belarus, des Zivilgesellschaftlichen Krisenmanagements, des Stabs von Viktar Babaryka und des Stabs von Waleri Zepkalo.
Die Belarus*innen werden sich laut Tichanowskaja an den Verhandlungen und Neuwahlen beteiligen.
Die Vertreter der genannten Strukturen sind der Meinung, dass der Dialog unter Vermittlung internationaler Partner im Mai beginnen sollte. Die Vermittlungen werden die EU, die USA und Russland führen, die „die Regierung zwingen werden, sich an den Verhandlungstisch zu setzen“.
Die Hauptbedingung für den Beginn der Verhandlungen ist die Freilassung politischer Gefangener.
Nach Meinung von Tichanowskaja wird es mehrere Anzeichen dafür geben, dass die Machthaber zu Verhandlungen bereit sind: Die Ordnungskräfte geben die Repressionen auf, und wichtige Beamte, Sicherheitsbeamte und Finanzpartner Lukaschenkos beginnen, Geld abzuziehen, ihre Posten oder das Land zu verlassen.
Sie „bewertete die laufenden Ereignisse positiv“ und forderte dadurch zu nicht sanktionierten Aktionen auf: Zwei Journalistinnen werden wegen Live-Übertragung von einer Kundgebung in Minsk vor Gericht gestellt
Das Gericht in Minsk begann mit der Verhandlung des Falles von Kazjaryna Andrejewa (Bachwalowa) und Darja Tschulzowa, Journalistinnen von „Belsat“, die am 15. November vom „Platz des Wandels“ gesendet hatten. Sie wurden an diesem Abend festgenommen und später eines Verbrechens angeklagt.
Laut der Untersuchung hat Kazjaryna die laufenden Ereignisse „positiv bewertet“ und rief zu nicht sanktionierten Handlungen und dadurch zu „organisierten Aktionen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen“ auf. Das „Verbrechen“ selbst wurde von den Journalisten „mit Hilfe von Mobiltelefonen, Videokameras, einem Stativ und Westen mit der Aufschrift ,Presse‘ begangen“.
Die Gerichtssitzung dauerte mehr als 7 Stunden. Die Pause wird bis zum 16. Februar angekündigt.
Nach Angaben des Belarusischen Journalistenverbandes forderten Journalistenverbände in vielen Ländern sowie das Komitee zum Schutz von Journalisten die Freilassung von belarusischen Journalistinnen, die aus politischen Gründen verhaftet wurden.
Inhaftierungen und Durchsuchungen wurden am Vorabend der Allbelarusischen Volksversammlung intensiviert
Einsatzkräfte verhaften energisch Aktivisten lokaler Telegram-Chats. Menschen werden durchsucht, ihre technische Ausrüstung wird beschlagnahmt.
Die Durchsuchung wurde im Haus von Tazzjana Boika, einer ehemaligen Mitarbeiterin des belarusischen Fernsehens, durchgeführt und ihr Ehemann wurde verhaftet.
Ebenfalls wurde Jaraslau Kot, Professor an der IPM Business School und Dozent an der Belorusischen Staatsuniversität, festgenommen.
Vermutlich ist der Grund für diese Verhaftungen die bevorstehende Allbelarusische Volksversammlung.
Der belarussische Oppositionsaktivist und ehemalige Kämpfer der Spezialeinheiten Igor Makar forderte die Belarus*innen auf, an den Tagen der Volksversammlung keine Massenaktionen abzuhalten – aus Sicherheitsgründen und um Kräfte für den Frühling zu sparen.
Die Justizmaschine hört nicht auf, das Schicksal von Menschen zu zerschlagen
In Hrodna läuft der Prozess zum „Fall Tichanowski“. Die Angeklagten in diesem Fall sind Jauhen Rasnitschenka, Uladsimir Kniha und Dsmitryj Furmanau, die während einer Wahlmahnwache im regionalen Zentrum am 29. Mai letzten Jahres festgenommen wurden.
In Minsk begann man, das Gerichtsverfahren gegen Ljawon Chalatrjan, einem Freiwilligen aus Babarykas Wahlkampfteam, in Betracht zu ziehen. Er wurde am 11. August 2020 festgenommen. Der Artikel der Staatsanwaltschaft ist Standard: Organisation und Vorbereitung von Maßnahmen, die die öffentliche Ordnung schwer verletzen, oder aktive Teilnahme daran. Der Freiwillige des Stabs gibt seine Schuld nicht zu.
Der politische Gefangene Arzjom Sautschuk erhielt vier Jahre in einer Strafkolonie verschärften Regimes für die Teilnahme an der Aktion am 10. August. Laut dem Anwalt war die gesamte Anklage auf der Annahme des Ermittlers aufgebaut.
In Nawahrudak erhielt eine Anwohnerin 10 Tage Arrest, weil sie an einer Führung zum Holocaust teilgenommen hatte. Die Führung wurde ganz offiziell in dem lokalen Museum gebucht, und es nahmen etwa 20 Personen teil.
Am 9. Februar wurden 11 weitere Personen als politische Gefangene in Belarus anerkannt. Derzeit gibt es im Land bereits 239 politische Gefangene.
For more information on the events of 9 February 2020, please visit Infocenter Free Belarus 2020: