Strafverfahren gegen Menschenrechtszentrum „Viasna“; Berlinale-Sondervorführung: Film über belarusische Proteste „Courage“; Swetlana Tichanowskajas Besuch in Portugal
6. März 2021 | Voice of Belarus
Strafverfahren gegen Menschenrechtszentrum „Viasna“ eröffnet
Stellvertretender Vorsitzender des Menschenrechtszentrums „Viasna“ Valjanzin Stefanowitsch bestätigte, dass das Ermittlungskomitee von Belarus ein Strafverfahren gegen das Menschenrechtszentrum wegen des Verdachts der „Organisation und aktiven Teilnahme an Gruppenaktionen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen“ eröffnet hat (Artikel 324 des Strafgesetzbuchs). Den Ermittlungen zufolge soll „Viasna“ illegale Massenveranstaltungen finanziert und anderweitig materiell unterstützt haben. Das Zentrum teilt mit, dass Durchsuchungen in den Büros seiner regionalen Niederlassungen sowie in den Wohnungen seiner Mitglieder durchgeführt wurden. Darüber hinaus wurden Menschenrechtsverteidiger und Freiwillige des MZ „Viasna“ Marfa Rabkowa, Andrej Tschapjuk, Leanid Sudalenka und Tazzjana Lasiza in Gewahrsam genommen.
Das Menschenrechtszentrum „Viasna“ ist eine nichtstaatliche Menschenrechtsorganisation, die Menschen, die bei Kundgebungen inhaftiert wurden, und ihre Familien unterstützt. Rund 200 Freiwillige des Zentrums sind im ganzen Land tätig. Im April dieses Jahres feiert die Organisation ihr 25-jähriges Bestehen.
In all den Jahren war „Viasna“ dem Druck, der Einschüchterung und Schikanen gegenüber ihren Mitgliedern wegen ihres Einsatzes für die Menschenrechte ausgesetzt. Menschenrechtsaktivisten betonen, dass „Viasna“ niemals Organisator von gewalttätigen Aktionen war und sich immer für die friedliche Verwirklichung der bürgerlichen und politischen Freiheiten eingesetzt hat.
Belarusische Nichtregierungsorganisationen gaben eine Erklärung im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Verfolgung der Aktivisten des Zentrums ab. In dieser Erklärung, die auf der Website des Zentrums veröffentlicht wurde, drückten Menschenrechts- und andere zivilgesellschaftliche Organisationen in Belarus ihre Solidarität mit „Viasna“ und ihrer Arbeit aus und bezeichneten die strafrechtliche Verfolgung „ausschließlich als Verfolgung für aktive Menschenrechtsarbeit“. Die Erklärung wurde von sieben Organisationen unterzeichnet: dem Zentrum für rechtliche Transformation (Lawtrend), dem Belarusischen Helsinki-Komitee, dem belarusischen Journalistenverband, der Vereinigung der demokratischen Nichtregierungsorganisationen, der Rechtsinitiative, der FORB-Initiative [Freedom of Religion or Belief, Anm.] und dem Beratungszentrum Human Constanta.
Swetlana Tichanowskajas Besuch in Portugal: Aus Haftanstalt „Akreszina“ wird im neuen Belarus ein Museum für Widerstand und Freiheit – genauso wie Gefängnis Aljube
Während ihres Besuchs in Portugal traf sich Swetlana Tichanowskaja mit Premierminister António Costa, Außenminister Augusto Santos Silva sowie mit José Manuel Barroso und anderen portugiesischen Politikern.
Bei den Treffen ging Tichanowskaja auf wichtige Themen für Belarus und Europa ein:
- Das Problem der belarusischen politischen Gefangenen, die Verfolgung von Menschenrechtsverteidigern und Mitarbeitern von „Viasna“, neue Strafverfahren und der Angriff auf unabhängige Medien;
- Eine Aufforderung an Portugal, das zur Zeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, der Lösung der Krise in Belarus Vorrang einzuräumen. Zu diesem Zweck sollten im Herbst 2021 in Belarus Neuwahlen stattfinden.
- Ein Vorschlag, den nächsten Europäischen Rat für Auswärtige Angelegenheiten (am 22. März 2021) unter Beteiligung von Vertretern der demokratischen Bewegung von Belarus abzuhalten;
- Sie betonte, wie wichtig es sei, das Lukaschenko-Regime zu isolieren und Druck darauf auszuüben. Es ging darum, wie Sanktionen effektiver und spürbarer für das Regime gemacht werden können;
- Mögliche Einrichtung einer Sondermission des Europäischen Parlaments, die sich mit der Krise in Belarus befassen soll;
- Details des umfassenden Plans zur Unterstützung von Belarus sowie über die konkrete Hilfe für unabhängige Medien, Arbeitnehmer, Anwälte und Vertreter von Religionsgemeinschaften, die durch das Regime geschädigt wurden.
Bei dem Treffen mit Sergio Sousa Pinto, dem Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und portugiesische Gemeinschaften, besprach Swetlana Tichanowskaja die Gründung einer Arbeitsgruppe im portugiesischen Parlament, die Belarus helfen soll, indem sie sich um politische Gefangene kümmert und die Zivilgesellschaft unterstützt.
Swetlana Tichanowskaja besuchte das Museum Aljube – ein ehemaliges Gefängnis für portugiesische politische Gefangene von 1926 bis 1965. Während der vierzigjährigen Herrschaft des Diktators Salazar wurden dort bis zu 50.000 Menschen festgehalten. Die Diktatur von Salazar war die längste in Europa, aber sie konnte dem Willen des Volkes nicht standhalten. Swetlana Tichanowskaja sagte, dass aus der Haftanstalt Akreszina im neuen Belarus ein Museum für Widerstand und Freiheit wird – genauso wie das Gefängnis Aljube.
Film „Courage“ über belarusische Proteste bei der Berlinale
Bei den Berliner Filmfestspielen fand am 5. März 2021 eine Sondervorführung des Spielfilmdebüts „Courage“ des Dokumentarfilmers Aliaksei Paluyan statt. Der Film erzählt von den aktuellen Protesten in Belarus und von den Künstlern, die sich für die Freiheit einsetzen. Gezeigt werden Szenen, die bei den Proben und Aufführungen der Schauspieler von Belarus Free Theatre, bei den Massenprotesten im Spätsommer und Frühherbst 2020 in Minsk und in der Nähe des Haftzentrums Akreszina gedreht wurden. Außerdem ist Archivmaterial aus den 1990er Jahren von Protesten und Gedenkveranstaltungen für die verschwundenen Oppositionellen zu sehen.
„Dies ist ein Film über die Wahrheit. Wer sie ausspricht, nimmt Repressalien und sogar den Tod in Kauf“, heißt es auf der Berlinale-Website. Der Film kann laut Pressedienst des Filmfestivals nicht ohne Schmerz gesehen werden, „gerade weil er mit anhaltender Ruhe und Geduld den fragilen Handlungsspielraum der Demonstranten misst“. Er erklärt, warum die Belarus*innen beschlossen haben, Widerstand zu leisten. „Wer als Mensch leben und überleben will, braucht Mut“, hebt die Rezension des Films hervor.
Aliaksei Paluyan ist ein belarusischer Filmemacher, der in Deutschland lebt und arbeitet. Sein Kurzfilm „See der Freude“, basierend auf dem Roman des belarusischen Schriftstellers Viktor Martinowitsch, erhielt eine Reihe europäischer Auszeichnungen, war 2020 für den Europäischen Filmpreis nominiert und wurde 2021 in die Longlist für die Oscar-Verleihung aufgenommen.
Der Regisseur selbst sagt, dass „Courage“ die Geschichte derjenigen erzählt, die von der Angst zur Furchtlosigkeit gehen. „Die Belarus*innen fühlen sich jetzt verlassen. Sie sind unter dem Teppich versteckt, so dass niemand sie hören oder sehen kann“. Seiner Meinung nach ist es die Kunst, die ihnen eine Stimme geben und „den Teppich anheben“ kann. Leider ist das Bild, das sich dem Betrachter unter diesem Teppich öffnet, äußerst traurig und freudlos. Furchtlose Menschen, die ihre Gesundheit, Zeit und sogar ihr Leben opfern, sind der organisierten Gewalt der Behörden ausgesetzt und verlieren ihre Hoffnung und ihr Glauben. Paluyans Film hat kein Ende, so wie es auch kein Ende gibt bei dem, was jetzt in Belarus passiert.
For more information on the events of 6 March 2021, please visit Infocenter Free Belarus 2020: