Belarus Daily | 4. Dez

Vertreter des offiziellen Belarus bei der UNO wirft Menschenrechtsverteidigern Verfälschung von Informationen vor; inwiefern ist Belarus bereit, von SWIFT abgekoppelt zu werden; Coronavirus überflutet das Land, aber Mediziner werden weiterhin Repressionen ausgesetzt

4. Dezember 2020 | BYHelp-Mediagroup
Die Associated Press veröffentlichte die besten Fotos professioneller Fotografen für das Jahr 2020. Unter den 151 Fotos ist auch die Arbeit der Fotojournalistin Nadseja Bushan von Nascha Niwa.
Source: Nasha Niva

Ob das belarusische Bankensystem von SWIFT abgekoppelt wird und was das mit sich bringt

Source: Charter 97 

Die Abschaltung vom SWIFT-System wird als ein Druckmittel des Westens auf die belarusische Regierung betrachtet. Vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Niedergangs wird die Abtrennung von SWIFT die Funktionsfähigkeit des belarusischen Business erheblich beeinträchtigen und zu einem Druckfaktor auf die gegenwärtige Staatsführung werden. Die belarusische Business-Elite und die russischen Partner werden mit der Tatsache konfrontiert werden: Entweder geht Lukaschenko, oder die Wirtschaftskrise verschärft sich noch weiter, weil er sich mit allen Mitteln an der Macht halten will.

Belarus von SWIFT auszuschließen, ist eine extreme Maßnahme. Bevor solche Schritte unternommen werden, ist es notwendig, die Meinung der belarusischen Gesellschaft und Experten zu analysieren. Deshalb startete das Büro von Swetlana Tichanowskaja am 3. Dezember eine Umfrage unter Belarusen, ob sie die Abschaltung vom SWIFT-System unterstützen. Die Abstimmung findet auf der Plattform „Golos“ statt und läuft noch bis zum 6. Dezember dieses Jahres. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat mehr als eine Viertelmillion Menschen abgestimmt, die Mehrheit der Belarusen ist bereit, den wirtschaftlichen Schaden zu tragen, wohl wissend, dass dies eine vorübergehende Maßnahme ist. Gleichzeitig sind die Abstimmenden besorgt darüber, ob die Abkopplung von SWIFT zu einer Übernahme des belarusischen Bankensystems durch Russland führen wird.

UN-Hochkommissar: Die Menschenrechtssituation in Belarus verschlechtert sich weiter

Source: Radio Free Europe

Auf der heutigen Sitzung des UN-Menschenrechtsrates sagte die Hohe Kommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, dass sich die Menschenrechtssituation in Belarus seit September dieses Jahres weiter verschlechtert habe. Laut der Hohen Kommissarin wurden in den letzten Monaten mehr als 27.000 Belarusen festgenommen, mehr als 900 Menschen, darunter Wahlkämpfer, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und Blogger, wurden in Strafprozesse verwickelt. Mehr als 2.000 Bürger reichten Beschwerden über die Misshandlungen durch Sicherheitskräfte ein. Aber es wurden keine Strafverfahren wegen dieser Tatsachen eingeleitet. Der Kommission liegen zahlreiche und zuverlässige Berichte über die Misshandlungen von Häftlingen durch Polizisten vor.

Swetlana Alexiewitsch, Nobelpreisträgerin für Literatur und Mitglied des Präsidiums des Koordinierungsrates, hielt bei dem Treffen eine Rede. Sie erinnerte an die Verfolgung von Demonstranten in Belarus, Verhöhnung und Folter und forderte die Schaffung spezieller Mechanismen zur Untersuchung von Verbrechen der belarusischen Behörden gegen ihr eigenes Volk.

Im Namen von 41 Ländern gab der Vertreter des Vereinigten Königreichs eine Erklärung zur Unterstützung der verfolgten Journalisten in Belarus ab.

Gleichzeitig beschuldigte der ständige Vertreter des offiziellen Belarus, Juri Ambrasewitsch, die Menschenrechtsaktivisten der Vereinten Nationen, die Situation zu verzerren und sich in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen. Ambrasewitsch zufolge verdient die Menschenrechtssituation in Belarus bei den Vereinten Nationen keine besondere Berücksichtigung. Er sagte, die Proteste seien rückläufig, und forderte die Vereinten Nationen auf, „das Durchspülen der belarussischen Frage“ zu beenden.

Repressionen gegen Ärzte gehen weiter, es gibt einen katastrophalen Fachkräftemangel. Minsker Krankenhäuser stellen die planmäßige Aufnahme aufgrund des Coronavirus ein

Source: National Economic Newspaper

In Minsk wurde aufgrund der schwierigen epidemiologischen Situation die planmäßige  Aufnahme in Kliniken ab heute eingestellt. Alle medizinischen Kräfte werden zur Notfallversorgung herangezogen. Neben Spezialisten werden Medizinstudenten das Coronavirus bekämpfen.

Gestern wurde in Belarus ein Rekordanstieg an Coronavirus-Fällen pro Tag verzeichnet: 1774. Dies ist jedoch die Version der offiziellen Statistik. Inoffiziellen Daten zufolge ist die Zunahme von Infektionsfällen in Belarus viel erschreckender – etwa 6.000 Menschen pro Tag (bei der Bevölkerung von 9.408.400 Menschen). In Polikliniken werden Warteschlangen von bis zu 100 Personen gebildet.

Die Quarantäne wurde im Land nicht eingeführt, da Lukaschenko dies nicht als wirtschaftlich sinnvolle Maßnahme ansah und das Coronavirus als Schutzschirm für die Umgestaltung der Welt bezeichnete. Die einzige Sicherheitsmaßnahme war die Einführung einer Maskenpflicht im Land.

Laut Aussagen der Ärzte fehlt es Krankenhäusern an persönlicher Schutzausrüstung und Ärzte müssen die Einwegmasken mehrmals tragen, es fehlt an medizinischem Personal. Die WHO, die Vereinten Nationen und andere internationale Gremien bestanden auf der Einführung von Quarantänemaßnahmen und beschuldigten das belarusische Gesundheitsministerium, nicht genügend über die Situation mit der Epidemie informiert zu haben.

Gleichzeitig werden die aktiven Repressionen gegen Ärzte fortgesetzt.

Nach Angaben von Belarusian Medical Solidarity Foundation wurden am 24. November 2020 mehr als 180 Mediziner festgenommen und verhaftet, einige wurden körperlich misshandelt. Mehr als 25 Ärzte und Krankenschwestern wurden zu 13 bis 15 Tagen Haft verurteilt. Unter ihnen sind in Belarus bekannte Ärzte, erfahrenste Fachkräfte und Mitglieder internationaler Ärzteverbände.

Mindestens 17 Ärzte, Dozenten und Krankenschwestern wurden entlassen oder unter dem Druck der Behörden zur Kündigung gezwungen. Unter ihnen sind der Direktor des Republikanischen Wissenschaftlichen und Praktischen Zentrums für Kardiologie, die Rektoren von 3 medizinischen Universitäten, der Direktor des Republikanischen Forschungs- und Praxiszentrum für  Pädiatrische Onkologie, Hämatologie und Immunologie, sowie Dozenten der medizinischen Universität.

Sarokin Arzjem, Anästhesist und Reanimatologe des Notfallkrankenhauses, wurde wegen einer Straftat angeklagt. Die Generalstaatsanwaltschaft beschuldigte ihn, medizinische Geheimnisse preisgegeben zu haben: Ethanol-Testergebnisse des ermordeten Raman Bandarenka. Die offizielle Version der Ermittlung, der Ermordete sei betrunken gewesen, wurde gerade durch die obige Analyse widerlegt. Der Arzt befindet sich zurzeit in Haft.

21 Studenten der Belarussischen Staatlichen Medizinischen Universität wurden exmatrikuliert, nach 2 Wochen wurden 15 Personen wieder eingeschrieben. 

4.500 Mediziner unterzeichneten einen offenen Brief an die Behörden mit der Forderung, Gewalt zu beenden, alle Verantwortlichen zu bestrafen, der politischen Verfolgung ein Ende zu setzen und Neuwahlen abzuhalten.

Vorsitzende des Rates der Nationalversammlung der Republik Kotschanowa traf sich mit Studenten des Instituts für Journalismus an der Belarusischen Staatlichen Universität (BSU). Das Lachen über ihre Aussagen in sozialen Netzwerken hört nicht auf

Source: TUT.BY

Nicht alle Studenten wurden zu dem Treffen mit der Vorsitzenden des Rates der Nationalversammlung der Republik, Natalja Kotschanowa, eingeladen, sondern nur diejenigen, die regierungsfreundlich sind, und viele Fragen wurden im Voraus mit den Dozenten vereinbart. Nichtsdestotrotz stellten die Studenten sehr kritische Fragen und Kotschanowa gab mehrere merkwürdige Aussagen von sich, die sich in sozialen Netzwerken verbreiteten. Hier sind einige davon.

Kotschanowa verband die Bombardierung Jugoslawiens mit der Existenz von Pornofilmen im Land:

„Ich gebe euch ein Beispiel aus meinem Leben. 1989. Ich gehe zum ersten Mal ins Ausland. Tolles Land – Jugoslawien… Großartig! In Geschäften gibt es reichlich Waren, das Land ist wunderschön, Menschen, alles ist in Ordnung. Aber gleichzeitig zeigt man pornografische Filme, überall verschwinden Spiritualität und Moral, und nach einigen Jahren wurde das Land einfach zerbombt.“

Über das Vertrauen zu den staatlichen Medien:

„Sie sagen, das Vertrauen zu den staatlichen Medien nimmt stark ab. Es nimmt nicht ab! Nimmt nicht ab! Es wird von dem Teil der Leute geschaut, die das immer tun. Wie ich. Die über 60 sind. Man hat mir Bücher auf dieses Tablet heruntergeladen, aber ich lese sie nicht, ich mag es nicht.“

„Ich habe keine Lügen Staatsfernsehen gesehen. Habt ihr sie gesehen? Dann sagt es mir. … Bis jetzt sehe ich in dem, was ich in den staatlichen Medien sehe, keine Lügen.“

Dialog zwischen einer Studentin und Kotschanowa:

„Wenn Journalisten festgenommen und inhaftiert werden, wer wird dann über alles berichten, was passiert?“

„Und warum muss man darüber berichten?“

Und weiter zu den Medien:

„Journalismus ist kein Verbrechen. Journalisten werden wie andere Menschen wegen  der Beteiligung an nicht genehmigten Aktivitäten strafrechtlich verfolgt.“

„Wenn die Medien Informationen übermitteln, die Feindseligkeit entfachen, dann bin ich der Meinung, dass solche Medien nicht existieren sollten.“


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