Unternehmen, die unter Repressionen gelitten haben, werden vom Koordinierungsrat unterstützt; eine Fahne im Fenster kann zum Freiheitsentzug führen, von einer Blendgranate verwundet zu werden gilt dagegen als „Unfall“; so wird der Tag der Menschenrechte in Belarus begangen
10. Dezember 2020 | BYHelp-Mediagroup
Repräsentanten diplomatischer Vertretungen treffen sich mit dem belarusischen Außenminister: Er bezeichnet ihr Vorgehen als Agitation
Die Leiter der diplomatischen Vertretungen der Europäischen Union und der in Minsk vertretenen EU-Mitgliedsstaaten sowie Großbritanniens, der Schweiz und der Vereinigten Staaten trafen sich am 9. Dezember mit dem Außenminister von Belarus Uladsimir Makej.
Die Diplomaten erkundigten sich nach den Plänen der belarusischen Regierung zur Einhaltung der Bestimmungen der Landesverfassung und der internationalen Verpflichtungen in Bezug auf Grundrechte und Grundfreiheiten sowie Rechtsstaatlichkeit. Diese könnte sich insbesondere folgendermaßen äußern:
- Beendigung der Verhaftungen, der Gewalt und unmenschlicher Behandlung von friedlichen Demonstranten;
- Freilassung aller politischen Gefangenen und zu Unrecht Inhaftierten;
- Strafrechtliche Verfolgung von Personen, die Gewalttaten und unmenschliche Behandlung erlaubt und begangen haben, welche zu Verletzungen, Traumata, Todesopfern und zur Entstehung allgemeiner Gesetzlosigkeit geführt haben;
- Durchführung von freien und fairen Wahlen unter unabhängiger Beobachtung.
Daraufhin bezeichnete Makej die von den Botschaftern geäußerten Forderungen als Agitation.
„Ja, in der Tat hat der Vertreter der Europäischen Union ein Agitationsflugblatt mit den Forderungen verlesen, wie sie in der Mitteilung der Vertretung dargelegt sind. Seltsamerweise stimmen diese Punkte unserer Meinung nach mit den Elementen des Programms der radikalen ausgewanderten Opponenten der amtierenden Regierung überein. […] Obwohl Diplomaten meiner Meinung nach unparteiisch sein sollten und in bestimmten Fragen eine angemessene neutrale Position einnehmen sollten. Aber um Gottes willen, das soll auf ihrem Gewissen bleiben.“
„ZA DELO“ (russ. für „Für die Sache“) – ein neues Projekt für von Repressionen betroffene Unternehmen
Koordinierungsrat startete ein neues Projekt „ZA DELO!“. In diesem Namen steckt ein Wortspiel: Die eine Bedeutung bezieht sich auf den Kampf um das eigene Geschäft (russ. [sa delo]), die andere (russ. [sadelo]) auf das Gefühl, nicht gleichgültig bleiben zu können. Auf der Seite zadelo.co wird eine Datenbank mit Beweisen für politisch motivierten Druck auf Unternehmen zusammengestellt.
„Jeder hat das Recht, geschützt zu werden, auch Unternehmen. „ZA DELO“ ist ein Instrument zur Unterstützung von Unternehmen, mit dessen Hilfe jedes Unternehmen Repressionen melden und damit rechnen kann, in Zukunft entschädigt zu werden“, erläutert Tazzjana Marynitsch, Mitglied des Stammteams des Koordinierungsrates.
Minsker Polizei bezeichnet Fahne im Fenster als Mahnwache
Die Hauptverwaltung für Innere Angelegenheiten erklärte offiziell, dass sie die weiß-rot-weißen Farbkombination an den Fenstern als Mahnwachen einstuft. Dafür kann der Eigentümer der Wohnung eine Geldstrafe von 30 Basissätzen (ca. 300 Euro) bekommen oder verhaftet werden. Gleichzeitig besagt das Gesetz „Über Massenveranstaltungen“ eindeutig, dass „Mahnwachen eine öffentliche Äußerung eines Bürgers oder einer Gruppe von Bürgern von gesellschaftspolitischen, gruppenbezogenen, persönlichen und anderen Interessen oder Protest – einschließlich Hungerstreik – zu einem bestimmten Thema mit oder ohne Verwendung von Plakaten, Bannern und anderen Mitteln“ sind. Das heißt, erklären die Juristen, an der Mahnwache muss unmittelbar ein Bürger, und nicht etwa ein einzelner Gegenstand, der nicht einmal an einem öffentlichen Ort sondern auf privatem Grund hängt, beteiligt sein.
Die Strafverfolgungsbehörden hören jedoch nicht auf die Argumente der Juristen: Mehrere Personen wurden bereits festgenommen und verurteilt, weil sie Fahnen in die Fenster ihrer Wohnungen gehängt hatten.
Belarusen protestieren weiterhin auf alle denkbaren Arten
Unter dem Slogan „Ich gehe spazieren“ marschierten wieder junge Frauen mit weiß-rot-weißen Regenschirmen durch Minsk. Die Teilnehmerinnen der Spaziergänge sind nicht besonders zahlreich, aber ihre Regenschirme sind jede Woche im Zentrum von Minsk zu sehen.
Keine Einleitung des Strafverfahrens auf Antrag von Busfahrer, der durch eine Granate in der Nähe von Metrostation „Puschkinskaja“ verwundet wurde
Pawel Sibileu ist ein Linienbusfahrer in Minsk. Am 10. August war sein Bus aufgrund von Massenprotesten blockiert. Nachdem sie ihre Fahrgäste abgesetzt hatten, warteten Pawel und seine Kollegen aus anderen Bussen und Oberleitungsbussen darauf, dass es weitergeht. Auf dem Rückweg zum Fahrerhaus wurde der Mann durch eine Blendgranate verwundet: Die Granate explodierte in einem Abstand von einem Meter zu ihm. Pawel verbrachte einen Monat im Krankenhaus. Er erlitt eine Explosionsverletzung im Lendenbereich mit ausgedehnten Weichteilschädigungen, eine Schussfraktur der Wirbelfortsätze, mehrere oberflächliche Wunden an der linken Schulter und eine Nierenprellung.
Aber bei der Untersuchung wurde der Vorfall als Unfall gewertet und es wurde kein Vorsatz oder Machtmissbrauch in den Handlungen der Polizei festgestellt, so dass Pawels Antrag, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, abgelehnt wurde.
Eine der größten Universitäten des Landes, Belarusische Nationale Technische Universität, feiert ihr 100-jähriges Bestehen, Dozenten sprechen über ihre Gehälter
Am Tag des 100-jährigen Jubiläums der BNTU besuchte Lukaschenko die Uni, um seine Glückwünsche zu überbringen.
Die Lehrkräfte und Studenten feierten diesen besonderen Tag jedoch auf ihre eigene Weise.
Dozenten zeigten ihre Gehaltsabrechnungen. So arbeitet beispielsweise Doktor der technischen Wissenschaften, Dozent Wadim Grinjou bereits seit acht Jahren an der BNTU und davor war er zwölf Jahre an der Staatlichen Universität Polazk. In einem Monat bekam er etwa 387 Euro. Der BNTU-Absolvent Yury Guminski nahm 2012 sein Promotionsstudium auf und blieb nach dem Abschluss in der Abteilung „Maschinen und Technologie der Gießereiproduktion“. Er arbeitet inzwischen als leitender Dozent. Im Oktober erhielt Yury knapp über 200 Euro. Auch andere Pädagogen haben das gleiche Einkommensniveau.
Die Studenten veröffentlichten ihrerseits eine Videobotschaft und schickten einen Brief an 113 ausländische Partner der Universität mit Informationen „über Repressionen gegen Studenten und Lehrkräfte, Drohungen seitens der Universitätsleitung“ und andere negative Aspekte. Dies meldete Telegram-Kanal „Polytech 97%“.
For more information on the events of 10 December 2020, please visit Infocenter Free Belarus 2020: